Deutsche Bundespolizisten beobachten an der Grenze zu Österreich auf der Autobahn A93 den Verkehr.
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Grenzkontrollen im Schengen-Raum dürfen nicht einfach ohne neuen Anlass immer wieder verlängert werden, urteilte der EuGH. (Symbolbild)

    EuGH: Grenzkontrollen dürfen nicht beliebig verlängert werden

    Grenzkontrollen im Schengen-Raum dürfen nicht immer weiter verlängert werden, urteilte der Europäische Gerichtshof am Dienstag. Das sorgt für neue Diskussionen um die bayerische Grenzpolizei. Kritiker fordern die Auflösung.

    Grenzkontrollen im Schengen-Raum immer wieder zu verlängern verstößt nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen das Europarecht. Nur wenn eine neue ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit bestehe, dürften solche Kontrollen verlängert werden, urteilte der EuGH am Dienstag.

    Das Urteil betrifft zwar die Grenzkontrollen zwischen Österreich und Slowenien, doch auch in Deutschland sorgt es für Diskussionen. Besonders im Fokus: Die bayerische Grenzpolizei.

    EuGH-Richter: Bedrohungslage bei Verlängerung muss neu sein

    Ein entscheidendes Detail im Wortlaut des EuGH-Urteils ist das Wort "neu". Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums sind also aus Sicht der Richter durchaus gerechtfertigt, wenn ein Land seine innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bedroht sieht. Sie dürfen rechtskonform für sechs Monate angeordnet werden.

    Werden sie nach diesen sechs Monaten aber verlängert, so muss die Bedrohungslage neu sein. Ein bloßes Fortbestehen der ursprünglichen Gefahr reicht demnach nicht aus. Der Grund für eine Verlängerung der Grenzkontrollen muss sich also nachweislich von der vorangegangenen Begründung unterscheiden. Der Gesetzgeber habe einen Zeitraum von sechs Monaten für ausreichend gehalten, um einer Bedrohung angemessen zu begegnen, so das Gericht.

    Endgültige Entscheidung fällt Gericht in Österreich

    Im vorliegenden Fall habe Österreich wohl nicht nachgewiesen, dass eine neue Bedrohung vorliege, erklärten die EuGH-Richter weiter. Eine abschließende Entscheidung liegt jedoch beim zuständigen Gericht in Österreich (Rechtssachen C-368/20 und C-369/20).

    Hintergrund der Entscheidung ist ein Verfahren, bei dem sich ein Slowene nach Einführung der Kontrollen an der Grenze zu Österreich zweimal geweigert hatte, seinen Pass zu zeigen. Er erhielt dafür eine Geldstrafe von 36 Euro. Der Kläger war jedoch der Meinung, dass die Kontrollen gegen EU-Recht verstießen und klagte vor einem Gericht in Österreich.

    Seit der Flüchtlingskrise 2015 immer wieder Grenzkontrollen

    Eigentlich gibt es im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören, keine stationären Personenkontrollen an den Grenzen. In den vergangenen Jahren hatten aber mehrere Staaten eine Ausnahmeregelung genutzt und wieder teilweise Grenzkontrollen eingeführt. Deutschland kontrolliert seit Herbst 2015 an der Grenze zu Österreich, nachdem sich Zehntausende Flüchtlinge und andere Migranten von Griechenland über die Balkan-Route auf den Weg nach Westeuropa gemacht hatten.

    Die Bundesregierung habe das Urteil zur Kenntnis genommen, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. "Die Auswertung und Prüfung etwaiger Auswirkungen auf die von Deutschland angeordneten vorübergehenden Binnengrenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Landgrenze dauert an", fügte er hinzu.

    CSU: Migrationsdruck steigt, Kontrollen seien wichtig

    "Seit letztem Jahr steigt der Migrationsdruck auf Deutschland deutlich an, daher wäre es fahrlässig, die Kontrollen auslaufen zu lassen", sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Zudem finde in Bayern dieses Jahr der G7-Gipfel in Elmau statt.

    Österreichs Innenminister Gerhard Karner verwies darauf, dass sein Land stark von Migration betroffen sei, und dass auch dieses Jahr viele Menschen auf illegalem Weg eingereist seien. "Wenn es notwendig ist, die Bevölkerung und die Grenzen zu schützen, dann werden wir das auch in Zukunft tun", sagte der konservative Politiker bei einem Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Vít Rakušan in Prag.

    Auch die Bundesregierung begründete die Kontrollen einem Dokument der EU-Kommission zufolge zuletzt immer wieder mit sogenannter Sekundärmigration von einem EU-Land ins andere und mit der Situation an den EU-Außengrenzen.

    Grüne fordern sofortiges Ende der bisherigen Praxis

    Die Grünen, etwa die bayerische Europaabgeordnete Henrike Hahn, der bayerische Vertreter im Innenausschuss, Leon Eckert, und der Landtagsabgeordnete Toni Schubert forderten ein sofortiges Ende der bisherigen Praxis.

    "Die Grenzkontrollen, die der ehemalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) eingeführt hat, müssen jetzt auf deutscher Seite zügig eingestellt werden. Das Urteil des EuGH ist ein klarer Fingerzeig, dass vom Grundsatz des Schengener Abkommens nicht leichtfertig abgewichen werden darf", so Eckert.

    "Die Kontrollen bestehen nun seit 2.416 Tagen, sie sind also seit 2.235 Tagen rechtswidrig und dürfen keinen Tag länger bestehen bleiben", erklärte Schubert. Hahn fügte hinzu, antieuropäisch auf Abschottung zu setzen, schade zusätzlich der deutsch-österreichischen Grenzregion und Bayern.

    Bayerischer Flüchtlingsrat begrüßt EuGH-Urteil

    Der Bayerische Flüchtlingsrat begrüßte das Urteil ebenfalls. Es bestätige die langjährige Kritik des Flüchtlingsrats an den Grenzkontrollen. Zwar beziehe sich der EuGH auf einen österreichischen Fall, aber für die bayerischen Kontrollen an den Grenzen zu Österreich und Tschechien gelte dasselbe.

    "Auch hier wurden und werden die Grenzkontrollen immer weiter verlängert, ohne dass eine neue ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit geltend gemacht werden kann. Wir fordern Bundesinnenministerin Nancy Faeser und den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann auf, die Grenzkontrollen an den Grenzübergängen zu Österreich und Tschechien umgehend zu beenden. Es gibt hierfür keine tragfähige rechtliche Grundlage, sie verstoßen gegen Europarecht", sagte Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats.

    Diskussion um Grenzpolizei flammt wieder auf

    Im Zuge des EuGH-Urteils flammt auch die Diskussion um die 2018 von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wieder eingeführte bayerische Grenzpolizei erneut auf. Die Grenzpolizei ist Teil der Landespolizei. Ihre Aufgaben sind unter anderem die Grenzüberwachung, die Grenzfahndung und die Abwehr von Gefahren.

    Nach einer Klage der Grünen stellte der Bayerische Verfassungsgerichtshof 2020 fest, dass der Artikel 29 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes ("Befugnisse für Aufgaben der Grenzkontrolle und Sicherung von Anlagen") teilweise verfassungswidrig sei. Die Diskussion um die Verfassungskonformität liegt auch daran, dass keine Vereinbarung nach § 2 Abs. 3 des Bundespolizeigesetzes mit dem Bundesinnenminister getroffen wurde.

    Denn das hätte zur Folge gehabt, dass Bayern die Bundespolizei an der Grenze wieder komplett ersetzen hätte müssen, was unter anderem dauerhaft einen erheblichen Personal- und Kostenaufwand nach sich gezogen hätte.

    Abschaffung von bayerischer Grenzpolizei gefordert

    Der Flüchtlingsrat forderte nun die bayerische Staatsregierung auf, "die bayerische Grenzpolizei aufzulösen. Eine Truppe, deren Aufgabe vom EuGH für europarechtswidrig erklärt wurde, ist schlicht überflüssig". Henrike Hahn (Grüne) sagte dazu, Bayern heble mit der eigenen Grenzpolizei Bundeszuständigkeiten aus.

    Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs gibt es zwar noch eine als Bayerische Grenzpolizei benannte Struktur, sie verfügt jedoch nicht mehr über spezielle Befugnisse zur Kontrolle an den Grenzen. Als Aufgabe bleibt ihr nur noch die Schleierfahndung im weiteren Grenzgebiet.

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