Proteste gegen den Ukraine-Krieg in München
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EU und Ukraine: Solidarität ja, schneller Beitritt nein

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will, dass sein vom Krieg betroffenes Land im Eilverfahren EU-Mitglied wird. Verfahrenstechnische und politische Gründe sprechen aber dagegen.

Es waren Worte, die Erwartungen wecken und Hoffnung machen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen hat in einem Interview mit dem Sender "Euronews" Ende Februar die engen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine gewürdigt. Dabei sagte sie wörtlich: "Im Laufe der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns, sie sind einer von uns und wir wollen sie drin haben."

Dieser Satz enthält zwei Aussagen, die man zusammenlesen muss. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hebt aber nur auf das "drinnen sein" am Schluss ab. Er verlangt angesichts des russischen Einmarsches ein Sonderverfahren, um sein Land schnell in die Europäische Union aufzunehmen. Das sei gerecht und das hätten die Ukrainer auch verdient, erklärte Selenskyj in einer Videoansprache.

Die EU-Kommission verweist darauf, was ihre Chefin zu Beginn des Satzes sagt: "Im Laufe der Zeit…". Nach den Worten eines Kommissionssprechers gelten für die Ukraine nämlich trotz des Krieges und des Leids der Bevölkerung die gleichen Bedingungen wie für andere Länder auch: Sie müssen vor einem etwaigen Beitritt einen langwierigen Prozess durchlaufen, um sich an den Werte- und Rechtsrahmen der EU anzupassen. Das kann Jahrzehnte dauern.

Schon jetzt besondere Beziehungen zwischen EU und der Ukraine …

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den militärischen Angriff auf das Nachbarland ausdrücklich damit begründet, dass die Ukraine sich nach Westen orientiert - dass eine Mehrheit der Bevölkerung in die Europäische Union strebt und die Regierung in Kiew eine Nato-Mitgliedschaft anvisiert. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sehen ihre Zukunft im Westen, das haben sie seit den Massenprotesten auf dem Maidan in Kiew immer wieder deutlich gemacht.

Dem fühlt sich die EU verpflichtet und das drückt sich in besonderen Beziehungen aus, welche die Gemeinschaft vor allem nach der russischen Annexion der Krim 2014 zu Kiew aufgebaut hat. Es gibt ein Assoziierungsabkommen, das enge wirtschaftliche Zusammenarbeit vorsieht, vor allem im Energiebereich. Für ukrainische Bürgerinnen und Bürger gilt Visafreiheit bei Reisen in die EU. Seit dem russischen Einmarsch leistet die EU massive Direkthilfe und politische Unterstützung - durch ein beispielloses Sanktionspaket und Waffenlieferungen im Umfang von 450 Millionen Euro.

… aber kein EU-Beitritt im Eilverfahren

Eine formelle Anfrage von Seiten der Ukraine gibt es nach Angaben der EU-Kommission bisher nicht. Über die EU-Mitgliedschaft entscheiden nach den Worten des Kommissionssprechers die 27 Staats- und Regierungschefs. Sie haben dafür klare Bedingungen formuliert. Dazu gehören die Achtung der EU-Werte, eine funktionsfähige Wirtschaft, die zum Binnenmarkt passt, und die Übernahme des gemeinsamen Rechtssystems.

Ein Anwärterstaat muss in einem langen Verfahren nachweisen, dass er diese Kriterien erfüllt. Entsprechend zurückhaltend ist Außenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf einen raschen EU-Beitritt der Ukraine. Das sei nichts, was man in einigen Monaten vollziehe, sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. EVP-Fraktionschef Manfred Weber sprach sich in einem Gastbeitrag in der FAZ zwar dafür aus, der Ukraine wirtschaftlich schnell einen ähnlichen Status zu geben wie die Schweiz oder Norwegen. In Sachen EU-Mitgliedschaft verwies aber auch Weber auf die geltenden Voraussetzungen.

Schwierige Debatte zur falschen Zeit

Die EU-Kommission versucht deshalb, die europäische Perspektive der Ukraine und die Solidarität mit den Opfern der russischen Aggression zu betonen, gleichzeitig aber Missverständnissen vorzubeugen, die der Satz ihrer Präsidentin auslösen könnte. Politisch ist eine Beitrittsdebatte im Augenblick nicht opportun: Sie könnte die Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen beiden Seiten erschweren.

Der Kreml nennt als Bedingung für eine mögliche Vereinbarung mit Kiew, dass Russlands Sicherheitsinteressen berücksichtigt werden. Dazu gehören aus Moskaus Sicht die Anerkennung der Souveränität der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim und eine Entmilitarisierung der Ukraine. Eine Nato-Mitgliedschaft des Landes steht faktisch nicht zur Debatte. Denn die sehen einige der 30 Mitglieder der Allianz kritisch. Außerdem gilt die Regel, dass das Bündnis keine Staaten aufnimmt, die ungeklärte Konflikte mit ihren Nachbarn haben.

Was wäre, wenn?

Als EU-Mitglied hätte die Ukraine direkten Zugang zu den üppigen Fonds der Gemeinschaft, unter anderem denen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Allerdings ist das Land der EU schon jetzt so eng verbunden wie kaum ein anderer Drittstaat und hat seit 2014 massive Direkthilfen erhalten, die seit Beginn des Krieges noch aufgestockt wurden.

Natürlich hätten es Flüchtlinge aus der Ukraine leichter, wenn ihr Heimatland EU-Mitglied wäre. Unionsbürgerinnen und -bürger genießen das Recht auf Freizügigkeit: Sie können frei reisen und sich niederlassen, wo sie wollen. Aber auch ohne EU-Mitgliedschaft soll für ukrainische Flüchtlinge eine Sonderregelung gelten, um unbürokratisch kommen und bleiben zu können.

Militärisch würde sich für die Ukraine wenig ändern, wenn sie EU-Land, aber nicht in der Nato wäre. Zwar ist in den EU-Verträgen festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Verteidigungspolitik aufbauen. Artikel 42 Absatz 7 sieht sogar vor, dass sie sich gegenseitig "alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung" schulden, falls ein Partner angegriffen wird. Ob das allerdings über die Lieferung von Waffen und Ausrüstung hinausgehen würde würde, die einzelne EU-Länder auch jetzt der Ukraine der leisten, ist fraglich. Eine EU-Armee gibt es nicht.

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