Viele Asylbewerber in Belgien und den Niederlanden leben seit Monaten unter erbärmlichen Umständen. Weil es in Asylwohnheimen nicht genug Platz gibt, schlafen Tausende in Zelten oder provisorischen Notunterkünften.
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Viele Asylbewerber in Belgien und den Niederlanden leben seit Monaten unter erbärmlichen Umständen.

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EU-Innenminister wollen mehr Migranten abschieben

Nur jeder fünfte Ausländer ohne Bleiberecht wurde im vergangenen Jahr aus der EU abgeschoben. Dabei bemühen sich die Staaten seit Jahren, diese Quote zu steigern. Uneins sind sich die zuständigen Innenminister bei der Frage, wie das gelingen soll.

Die Europäische Union unternimmt einen neuen Anlauf, damit mehr ausreisepflichtige Ausländer in ihre Heimat abgeschoben werden. "Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschritte machen können", sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Donnerstag bei einem Treffen mit den EU-Innenministern in Stockholm.

Umstritten ist allerdings, wie viel Druck die EU auf Herkunftsländer ausüben sollte, mit denen die Kooperation schwierig ist, und wie sehr andererseits Anreize für Zusammenarbeit geschaffen werden sollten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich dagegen aus, die EU-Visapolitik offensiv als Druckmittel zu verwenden. Die schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard sagte nach dem Treffen dagegen, die EU-Staaten seien sich einig, dass dies ein wichtiges Instrument sei.

Weniger Rückführungen während Corona-Pandemie

Die EU versucht schon seit Jahren, mehr Ausländer ohne Bleiberecht abzuschieben, kommt aber kaum voran. 2021 befand der Europäische Rechnungshof, das bestehende System sei in hohem Maße ineffizient und bewirke "das Gegenteil dessen, was es eigentlich soll: Statt abzuschrecken, leistet es illegaler Migration Vorschub."

In Zahlen sieht das so aus: 2019 lag die Quote ausreisepflichtiger Menschen, die die EU tatsächlich verließen, bei 29 Prozent. 2021 waren es - wohl auch pandemiebedingt - nur 21 Prozent. Dabei hatte die EU-Kommission noch 2018 ein Ziel von rund 70 Prozent ausgerufen. Auch die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP kündigte im Koalitionsvertrag eine "Rückführungsoffensive" an.

Mit Rückführungen gegen überlastete Kapazitäten

Mehr Rückführungen wären aus Sicht vieler EU-Staaten auch deshalb wichtig, weil die Asylsysteme vieler Länder völlig überlastet sind. Die Zahl der Asylanträge stieg im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent auf 924.000. Rund 60 Prozent der Antragsteller hätten kein Recht auf internationalen Schutz und überlasteten die Aufnahmekapazitäten, sagte EU-Innenkommissarin Johansson. Hinzu kämen die vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in der EU kein Asyl beantragen müssen.

Die schwedische Ratspräsidentschaft betrachtet die Visapolitik als Schlüsselinstrument. Artikel 25a des Visakodex könne "eines der wichtigsten Instrumente sein, um die Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Rückkehr und Rückübernahme zu verbessern", heißt es in einem Papier zu dem Treffen. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass die Frist zur Bearbeitung der Visum-Anträge aus bestimmten Ländern verlängert wird oder Gebühren angehoben werden. Als Länder, mit denen die Zusammenarbeit schwierig ist, gelten etwa Marokko, Tunesien und Algerien.

Ohne Ausweis keine Rückführung

Probleme bei der Rückführung kann es etwa dann geben, wenn die Heimatländer bewusst keine Ausweisdokumente für ihre Bürger ausstellen, weil sie die Menschen nicht zurücknehmen wollen. Ebenso kann es vorkommen, dass Drittstaaten die von EU-Ländern ausgestellten Dokumente nicht anerkennen. Eine Rückführung ist in solchen Fällen nicht möglich, weil Fluggesellschaften die Migranten dann nicht mitnehmen. Weil das viele der Asylsuchenden wissen, entsorgen oder verstecken sie schon vor Antragstellung ihre Ausweisdokumente und erschweren damit Abschiebungen.

Auch Johansson betonte, dass der Visa-Hebel funktioniere. Die EU müsse geschlossen handeln, um Druck auf Drittstaaten auszuüben. Zudem solle die Grenzschutztruppe Frontex mehr für Abschiebeflüge eingespannt werden. Andere Druckmittel gegen Drittstaaten gebe es in der Handelspolitik und Entwicklungshilfe.

Tatsächlich hat die EU-Kommission bislang nur für vier Länder vorgeschlagen, den Visa-Hebel anzuwenden: Bangladesch, Irak, Gambia und Senegal. Die EU-Staaten wiederum haben den Vorschlag nur für Gambia angenommen. Aus der EU-Kommission heißt es, der Sinn von Artikel 25a sei nicht dessen Anwendung - sondern vor allem die Drohung damit. So sei die Zusammenarbeit mit Bangladesch bereits besser geworden. Johansson kündigte am Donnerstag an, weitere Vorschläge unter dem Mechanismus zu machen.

Faeser setzt auf Migrationsabkommen

Faeser äußerte sich dagegen skeptisch. "Ich bin damit zurückhaltend. Ich glaube, dass der Weg über Migrationsabkommen der bessere ist." Solche Abkommen sollen Erleichterungen bei der legalen Migration mit Kooperation bei der Rücknahme verbinden. Deutschland hat dazu kürzlich mit Indien eine Vereinbarung getroffen. Weitere sollen folgen. Faeser will dazu im Frühjahr mit ihrem französischen Kollegen Gérald Darmanin nach Nordafrika reisen.

Bislang hat die SPD-Politikerin auf dem Gebiet der Rückführungen nur wenig Fortschritt vorzuweisen. 2022 wurden 12.945 Menschen aus Deutschland abgeschoben. 2019 waren es noch mehr als 22.000 gewesen. Für Faeser ist das Thema auch deshalb schwierig, weil es zu einem Großteil in der Verantwortung der Bundesländer liegt.

Allerdings ist auch die Zahl der Herkunftsländer gestiegen, in die wegen massiver Menschenrechtsverletzungen oder aus anderen Gründen aktuell nicht oder nur sehr eingeschränkt abgeschoben werden kann. In Afghanistan etwa haben wieder die militant-islamistischen Taliban das Sagen. Auch der Iran, wo derzeit Demonstranten hingerichtet werden, ist kein Land, in das man Menschen zurückschickt.

Bayern fordert Verbesserungen des europäischen Asylsystems

Der Präsident des Landesamts für Asyl und Rückführungen in Bayern, Axel Ströhlein, erwartet sich von den Innenministern der Länder schnelle Schritte zur Verbesserungen des europäischen Asylsystems. Ströhlein sagte dazu im Interview mit BR24, es brauche Solidarität unter den Mitgliedsstaaten, es brauche ein funktionierendes Dublin-System, es brauche Antworten auf die Fluchtursachen auf europäischer Ebene und eine Stärkung des Außengrenzschutzes über Frontex. Wichtig sei auch die Kooperation der Herkunftsländer, dass diese im Falle einer bestehenden Ausreisepflicht ihre Staatsangehörigen wieder zurücknehmen würden.

Ströhlein nannte es ein "gutes Ergebnis“, dass im vergangenen Jahr von rund 39.000 ausreisepflichtigen Menschen in Bayern etwa 2.000 zurückgeführt werden konnten. Coronabedingt habe es zuvor im Luftverkehr und durch erforderliche PCR-Tests starke Einschränkungen gegeben.

Den immer wieder erhobenen Vorwurf, es würden häufig die falschen Menschen abgeschoben, die bereits integriert seien und sich um Arbeit bemühten, wies Ströhlein zurück. "Es wird jeder Einzelfall geprüft. Erst wenn die Gerichte auch entschieden haben, im Normalfall bei einer ablehnenden Entscheidung des BAMF, erst dann wird im Einzelfall nochmal angeschaut, ob Integrationsleistungen da sind." Bei Rückführungen liege der Fokus vor allem auf ausreisepflichtigen Straftätern.

Axel Ströhlein, Präsident des Landesamts für Asyl und Rückführungen in Bayern: "Ausreisepflichte werden nach Einzelfallprüfung zurückgeführt."
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Axel Ströhlein, Präsident des Landesamts für Asyl und Rückführungen in Bayern: "Ausreisepflichte werden nach Einzelfallprüfung zurückgeführt."

EU-Sondergipfel soll über Verteilung von Flüchtlingen beraten

Dabei sind Rückführungen nicht das einzige Problem in der EU. So streiten die Mitgliedstaaten schon seit Jahren erbittert über die Verteilung von Flüchtlingen. Weil es hier nicht weitergeht, konzentriert man sich mittlerweile vor allem auf den Grenzschutz. Österreichs Innenminister Gerhard Karner forderte in diesem Zusammenhang erneut, dass die Kommission Grenzzäune finanziert. Bislang hatte die EU-Kommission dies aus Prinzip abgelehnt. Nun ließ Johansson jedoch ein leichtes Einlenken erkennen, prinzipielle Ablehnung äußerte sie auch auf Nachfrage nicht. Stattdessen sagte die Schwedin: "Ich bin eine sehr pragmatische Person."

Die Diskussion darüber dürfte beim EU-Sondergipfel im Februar fortgesetzt werden. Am Donnerstagabend legte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit Blick auf diesen Gipfel in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU ihre Vorstellungen dar, wie kurzfristige Erfolge in der Migrationspolitik erzielt werden könnten. Dabei betonte auch sie unter anderem den Schutz der Außengrenzen, schnellere Rückführungen und eine lückenlose Registrierung von Migranten, die die EU erreichen.

Mit Informationen von dpa

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