Ein Mann im vom Erdbeben getroffenen Kahramanmaras
Bildrechte: REUTERS/Suhaib Salem

Ein Mann im vom Erdbeben getroffenen Kahramanmaras

  • Artikel mit Video-Inhalten

Erdbeben-Katastrophe: Welche Hilfe jetzt sinnvoll ist

Tausende Tote und Verletzte, viel Zerstörung: Millionen Menschen im türkisch-syrischen Erdbebengebiet brauchen jetzt Hilfe. Vielerorts in Bayern werden Sachspenden gesammelt. Zahlreiche Organisationen bitten um Geldspenden. Welche Hilfe ist sinnvoll?

Sie haben Angehörige verloren, Familienmitglieder sind verletzt, ihr Zuhause ist ein Trümmerhaufen. Sie wissen nicht wohin, es schneit, die Temperaturen liegen um dem Gefrierpunkt. Unter diesen katastrophalen Bedingungen benötigen die Menschen nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien dringend lebenswichtige Güter.

In Bayern haben sich deshalb spontan vielerorts Initiativen gebildet, die vor allem warme Kleidung, Decken und Schlafsäcke sammeln, aber auch Baby-Nahrung und Windeln. Häufig soll der Transport in die Türkei und nach Nord-Syrien dann auf eigene Faust organisiert werden. Die Hilfsbereitschaft ist riesig, Helfer berichten von vollen Lagern schon nach wenigen Stunden. In vielen bayerischen Städten wie München, Nürnberg, Regensburg und Schweinfurt gibt es immer mehr Hilfs-Aktionen und Sammelstellen für Sachspenden.

Transport von Sachspenden schwierig

Experten finden solche direkten Sachspenden allerdings nicht ganz unproblematisch:

Das Bayerische Rote Kreuz sagt, damit Hilfe tatsächlich ankomme, sei es wichtig, dringend benötigte Logistik- und Hilfeleistungsstrukturen nicht unnötig zu belasten oder gar zu blockieren. "Gut gemeinte, aber nicht abgestimmte Hilfslieferungen füllen Lagerhäuser, binden Transport- und Sortierkapazitäten. Sie helfen leider nicht, sie behindern die humanitäre Arbeit vor Ort."

Auch der Kabarettist Christian Springer, der sich mit seinem Verein "Orienthelfer" seit vielen Jahren auch in Syrien engagiert, hält entsprechende Aufrufe nach Sachspenden nicht für zielführend: "Hier zwei Matratzen, dort drei Decken. Das ist alles wahnsinnig toll und mitfühlend, bringt aber nichts, weil die müssen an den Mann gebracht werden. Man braucht große Margen."

Ähnlich äußert sich Jacqueline Flory, Münchner Gründerin des Vereins "Zeltschule", der seit 2016 den Aufbau von Schulen in Syrien und dem Libanon organisiert: "Sachspenden sind absolut unmöglich, jetzt dorthin zu transportieren. Und selbst wenn es möglich wäre, würde es viel zu lange dauern."

Skeptisch zeigt sich auch Johannes Peter, Vorstandvorsitzender des Vereins "Humedica" aus Kaufbeuren: "Einzelne Sachspenden sind teilweise sehr, sehr schwierig zu erfassen, weil man gewissen Standards für den Import unterliegt, auch noch in solchen Katastrophen." Die sogenannte "Letzte Meile" vor Ort sei dabei das Herausforderndste.

Professionelle Hilfe schneller und effektiver

Aus den genannten Gründen ist aus Sicht des Experten-Trios professionelle Hilfe vor Ort unabdingbar. Humedica will am Mittwoch ein erfahrenes, dreiköpfiges Sondierungsteam in das Katastrophengebiet entsenden, um weitere Hilfe vorzubereiten. "Wir haben selber Hilfsgüter auf Lager, sind da auch schon gerade am vorbereiten, aber werden jetzt aber vor allem vor Ort einkaufen, weil wir einfach schnell dort aktiv werden wollen", sagt der Humedica-Vorstandsvorsitzende Peter. Der Verein aus Kaufbeuren ist dafür laut ihm bereits im Gespräch mit der zuständigen Katastrophenschutzbehörde AFAD in der Türkei.

Die Organisation vor Ort sei nur über Hilfsorganisationen möglich, bekräftigt Christian Springer, gerade die großen seien in der jetzigen Situation "wahnsinnig wichtig". Sein Verein "Orienthelfer" habe in Beirut 6.000 Decken im Lager. Diese sollen so schnell wie möglich in Flüchtlings-Camps an Bedürftige verteilt werden.

Zeltschulen im Erdbebengebiet zerstört

Neun Zeltschulen und mehrere Wohnzelte sind durch das Erdbeben zerstört worden, berichtet "Zeltschulen"-Gründerin Jacqueline Flory. Ihren Verein hatte sie erst nach 2016 in der syrischen Region Idlib errichtet, die jetzt mit am schwersten betroffen ist. Dank der Zeltkonstruktionen seien in ihren Einrichtungen keine Menschen durch Trümmerteile verletzt oder getötet worden.

Trotzdem bezeichnet Flory die Situation als dramatisch, denn die die Betroffenen hätten jetzt nichts, um sich vor Schnee und Minustemperaturen zu schützen. Sie will mit ihrem Verein deshalb so schnell wie möglich die Zelte wieder aufbauen, was aber unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht so einfach sei.

Spenden gebraucht: "Money, money, money"

"Wir brauchen jetzt alle money, money, money", so bringt Christian Springer die Situation im Namen aller Hilfsorganisationen auf den Punkt. Der Münchner ist gerade selbst zufällig im Libanon und hat die Ausläufer des Erdbebens auch in Beirut gespürt, etwa 300 Kilometer vom Epizentrum entfernt. Zu Geldspenden ruft auch Jacqueline Flory auf, am besten an "Organisationen, die bereits vor Ort vertreten sind, die vor Ort schon länger arbeiten, die vor Ort Kontakte haben und jetzt sofort mit dem Geld helfen können."

Auch das Bayerische Rote Kreuz spricht davon, dass Geldspenden eine "deutlich effektivere Art der Hilfe" seien. Der große Vorteil von Geldspenden sei, dass die bedachte Organisation damit die Möglichkeit hat, die Verwendung der Mittel flexibel sich ändernden Verhältnissen und einer sich verändernden Bedarfslage in den betroffenen Gebieten anzupassen.

In türkischen und syrischen Gemeinden in München sammeln Helfer gerade Spenden.
Bildrechte: BR

In türkischen und syrischen Gemeinden in München sammeln Helfer gerade Spenden.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!