Erdbeben in der Türkei: Medien unter Druck
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Erdbeben in der Türkei: Medien unter Druck

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Erdbeben in der Türkei: Wer Kritik übt, hat es schwer

Beim Erdbeben in der Türkei und Syrien sind Zehntausende Menschen gestorben. Doch türkische Medien sollen darüber nur so berichten, wie es die Regierung will. Viele tun das auch. Kritische Berichterstatter haben es jedoch schwer.

Erkan Arikan war zufällig in der Türkei, als Anfang Februar die Erde in der türkisch-syrischen Grenzregionen bebte.

Der Leiter der Türkeiredaktion der Deutschen Welle hat auch schon das große Erdbeben 1999 in Istanbul miterlebt. Doch was er jetzt von Kolleginnen und Kollegen hörte und in den sozialen Netzwerken beobachtete macht ihn fassungslos. Das betreffe schon die Tatsache, dass Menschen sich nicht frei hätten äußern dürfen, nicht hätten fragen können: Wo sind die Leute? Warum helft ihr uns nicht, wo sind Soldaten, die uns bei den Aufräumarbeiten helfen können?

"Allein diese Tweets, diese Posts in den Sozialen Medien waren Anlass dafür", sagt Arikan, "dass Sicherheitskräfte gekommen sind und Menschen verhaftet haben oder sie für kurze Zeit in Gewahrsam genommen haben, ist ein Indiz dafür, dass die Regierung Erdoğan alle diejenigen mundtot machen will, die in irgendeiner Weise Kritik äußern."

90 Prozent der Medien regierungsnah

In der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 149 von 180. Mindestens 24 Journalistinnen und Journalisten sind laut Reporter ohne Grenzen derzeit in Haft. Der langjährige ARD-Hörfunkkorrespondent Christian Buttkereit erklärt: "Es gibt 90 Prozent der Medien, die auf Erdoğan-Linie sind, das betrifft sowohl die Zeitungen als auch die Fernsehsender. Es gibt immer noch Medien, die relativ unabhängig agieren können, die auch noch nicht verboten wurden. Aber unabhängiger Journalismus, wie wir uns das vorstellen, ist relativ selten."

Erkan Arikan sagt: In den von der Regierung kontrollierten Medien sei ein völlig falsches Bild entstanden. Es wurde gezeigt, wie die Katastrophenschutzbehörde half und angeblich alles Mögliche in die Wege leitete.

Doch die Realität, so Arikan, war eine andere.

Viele Erdbebenopfer seien bestürzt und traurig gewesen, dass bis zu 48 Stunden nach der Katastrophe immer noch keine Sicherheits- oder Katastrophenkräfte in den einzelnen Erdbebengebieten eingetroffen seien. Und was am meisten beklagt wurde, "dass viele Bewohner zu ihren Wohnungen und Häusern oder zu ihren Verwandten gegangen sind und deren Schreie und deren Rufe gehört haben - 'helft uns, helft uns!' -, aber niemand da war, um in irgendeiner Weise zu helfen. Solch ein Bild wurde natürlich nicht in den türkischen Mainstreammedien gezeigt."

App zur Denunzierung

Reporter ohne Grenzen berichtet außerdem, dass mindestens vier Journalisten kurzfristig festgenommen und dann wieder freigelassen wurden. Zudem seien Journalisten physisch an der Arbeit gehindert worden. Die türkische Regierung wollte und will immer noch das Narrativ kontrollieren. Dazu passt die kurzzeitige Abschaltung von Twitter und die Verhaftung von Menschen, die sich kritisch auf Twitter äußerten.

Erkan Arikan erklärt, dass schon zwei Tage nach dem Beben eine App veröffentlich wurde, um Fake News zu deklarieren oder, wie es Arikan sagt, Menschen anzuschwärzen. Er meint: "Allein, dass die Regierung so etwas nötig hat: Zwei Tage, nachdem das verheerende Erdbeben war, sich mit anderen Sachen zu beschäftigen." Da würden kritische Töne sofort versucht, "mundtot zu machen". Und das sei "ein Umstand, dem wir in den letzten Jahren sehr, sehr häufig leider begegnet sind".

Wahlen in der Türkei

Bald sind Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei. Welchen Einfluss das Erdbeben und das Katastrophenmanagement auf die Wahl haben wird ist Experten zufolge noch nicht absehbar. Christian Buttkereit, langjähriger Türkeikorrespondent für die ARD weist auf eine neue Umfrage hin. Demnach sagen 15 Prozent, dass die Katastrophe ihr Wahlverhalten beeinflussen wird.

Angesichts noch immer steigender Opferzahlen und der enormen Zerstörung im Erdbebengebiet seien das nicht sonderlich viele Menschen, meint Buttkereit. Es geht im Moment auch um die Deutungshoheit nach der Katastrophe. Klar ist, dass die Regierung Erdoğan keinerlei Kritik wünscht und hart dagegen vorgeht. Gegen Journalistinnen und Journalisten aber auch gegen "ganz normale" Leute, die auf Twitter Kritik üben.

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