Wohnhaus in München
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Streit um Erbschaftsteuer: Zahlen Mieter die Zeche?

In Städten wie München können sich viele Vermieter die Erbschaftsteuer nicht mehr leisten. Oft werden Mieten deshalb erhöht oder die Häuser an Investoren verkauft. Dies trifft vor allem finanziell schwache Mieter.

Über dieses Thema berichtet: report München am .

Ruth Grießer aus München ist besorgt, dass sie sich ihre Wohnung bald nicht mehr leisten kann: Ihre Vermieterin starb im vergangenen Jahr. Die Erbin des Hauses im Herzen Münchens kann die Erbschaftsteuer nicht aufbringen: Die liegt im Millionenbereich, mit Mieteinnahmen alleine lässt sich das nicht finanzieren. Nun soll das Haus verkauft werden.

München: Erbschaftsteuer als Gentrifizierungstreiber

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisiert, in teuren Lagen wie München sorge die Erbschaftsteuer für Mieterhöhungen und beschleunige die Gentrifizierung. Denn wegen der in München hohen Bodenwerte könnten viele Erben die Steuer nicht bezahlen.

"Diese Objekte werden dann an internationale Investorenkonsortien verkauft. Und dann geht es nur noch um Shareholder Value, dann geht es nur noch ums Geld. Dann werden die Mieten natürlich dramatisch steigen", sagt Reiter im Gespräch mit dem ARD-Politikmagazin "report München". Die Münchner SPD-Stadträtin Simone Burger, zugleich stellvertretende Vorsitzende des Münchner Mietervereins, fordert von der Bundesregierung Regelungen, soziale Vermieter steuerlich besserzustellen. Die Erbschaftsteuer orientiere sich nicht an realen Mieten, sondern an "Bodenpreisen, die rein spekulativ sind".

Hauseigentümer legen Erbschaftsteuer oft auf Mieter um

Wolfgang Donhärl, Hauseigentümer in vierter Generation, erbte 2017 ein denkmalgeschütztes Mietshaus in einem Münchner Traditionsviertel. Fällig wurde eine Erbschaftsteuer im Millionenbereich. Der Grund: Die Berechnung der Erbschaftsteuer orientiert sich unter anderem am Wert des Bodens – und der ist im Zentrum von München besonders hoch.

Donhärl nahm einen Kredit auf, die Abzahlung finanziert er zum Teil über höhere Mieten: "Wir mussten die Mieten erhöhen, denn ansonsten hätten wir die Erbschaftsteuer nicht bezahlen können." Donhärl wird seinen Kredit abstottern, bis er 80 Jahre alt ist. Nun fehlt ihm Geld für die Instandhaltung.

Auch Ein- und Zweifamilienhäuser betroffen

Aber auch viele Eigentümer von kleinen Ein- und Zweifamilienhäusern ächzen unter hohen Erbschaftsteuern, zum Beispiel die Familie Stadler aus Bad Wiessee am Tegernsee. Die Familie hat sich das Zweifamilienhaus in Jahrzehnten erarbeitet, auf vieles verzichtet, immer alles ins Haus gesteckt. Nun soll das Haus von den Eltern auf die beiden Kinder übertragen werden.

Für die Tochter, die nicht im Haus wohnt und als Erzieherin arbeitet, wird voraussichtlich eine Zahlung in sechsstelliger Höhe fällig. Einer der Gründe für die hohe Steuer ist die teure Nachbarschaft mit vielen hochpreisigen Immobilien, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. "Das wird jetzt hier auf das Grundstück, hier auf das Haus übertragen. Und somit geht der Wert hier auch rasant nach oben, auch wenn wir nicht verkaufen wollen", erklärt Sohn Christian Stadler.

Verkaufswelle bei Immobilien wegen Erbschaftsteuer befürchtet

Das Haus der Familie Stadler am Tegernsee ist kein Einzelfall, sondern wird mit den neuen Bemessungsgrundlagen für die Immobilienbewertung, die seit dem Jahreswechsel gelten, bei der Erbschaftsteuer deutschlandweit immer häufiger vorkommen, wie Kai Warnecke, Präsident von Haus und Grund, sagt: "Zum einen führt die Neubewertung dazu, dass wesentlich mehr Menschen erbschaftsteuerpflichtig werden. Und zum anderen werden die meisten Erben nach unseren Berechnungen circa 50 bis 100 Prozent mehr Erbschaftsteuer bezahlen müssen als bisher."

Im Auftrag des Eigentümerverbandes hat das Meinungsforschungsinstitut Civey eine aktuelle Umfrage unter Immobilienbesitzern und künftigen Erben durchgeführt. Ergebnis: 37,5 Prozent der Befragten fürchten, ihre Immobilie wegen der Erbschaftsteuer verkaufen zu müssen. Die Hausverkäufe könnten die Preisspirale für Immobilien und damit auch für Mietwohnungen weiter nach oben treiben.

Freibeträge bei der Erbschaftsteuer zu niedrig?

500.000 Euro für Ehepartner und 400.000 Euro für jedes Kind - das sind die Freibeträge für die Erbschaftsteuer, seit 2009 wurden sie nicht erhöht. Eine Anpassung an die gestiegenen Bodenrichtwerte fordert neben "Haus und Grund" auch Münchens Oberbürgermeister Reiter im Interview mit "report München": "Die Bundesregierung muss sich etwas einfallen lassen, wie man damit umgeht, dass wir durch den Prozess des Erbens und Vererbens bezahlbaren Wohnraum in unseren Städten verlieren."

Bayerns Finanzminister kündigt Verfassungsklage an

Die bayerische Staatsregierung will deshalb vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das hat Finanzminister Albert Füracker (CSU) im BR24 "Thema des Tages" bekräftigt. Der Minister betonte, Bayern kämpfe dafür, dass die Freibeträge bei der Erbschaftsteuer regionalisiert werden - also angepasst an die Lage auf dem jeweiligen Immobilienmarkt. Er wundere sich, dass die anderen Bundesländer dabei nicht mitziehen, so Füracker: "Und deswegen: Wenn nichts hilft, wenn niemand uns unterstützen will, dann strengen wir die Klage an vor dem Bundesverfassungsgericht. Wir bereiten das im Moment vor."

Der Finanzminister betonte, man wolle nicht, dass die Steuern durch die Hintertür erhöht werden. Nach seinen Worten wäre es "eine Sache der Fairness", bei der Erbschaftsteuer darauf zu achten, dass Erben von Immobilien nicht über die Maßen belastet werden.

Freistaat scheitert im Bundesrat

Im Bundesrat war ein entsprechender Vorstoß Bayerns zur Erbschaftsteuer Mitte Dezember bereits gescheitert: Der Freistaat fand dafür keine Mitstreiter unter den anderen Ländern.

Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer fließen allein den Ländern zu. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium Katja Hessel (FDP) verwies darauf, dass es für eine Erhöhung der Freibeträge eine Mehrheit bei den Ländern brauche. Minister Christian Lindner (FDP) hatte eine Erhöhung um 25 Prozent vorgeschlagen.

Das Bundesfinanzministerium teilt auf Anfrage mit, es gebe keine weiteren Überlegungen, Freibeträge der Erbschaftsteuer zu erhöhen oder die Erbschaftsteuer regional anzupassen und verweist auf die Verantwortlichkeit der Länder: "Der Bundesminister der Finanzen hat sich bereits für eine Erhöhung der Freibeträge ausgesprochen. Sollten die Länder eine entsprechende Initiative ergreifen, wird der Bundesfinanzminister diese unterstützen."

Bayerns Finanzminister Albert Füracker
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Bayerns Finanzminister Albert Füracker

Experten: Soziale Schieflagen im Erbschaftsteuergesetz

Eine grundlegende Reform des Erbschaftsteuerrechts mahnt der Steuerrechtsprofessor Gregor Kirchhof aus Augsburg an. Niedrige Steuersätze, lange Zahlungsfristen, Steuererleichterungen und Freibeträge für soziale Vermieter und die Weitergabe innerhalb der Familie, das wäre für Kirchhof die Lösung: "Die Erbschaftsteuer darf Erben nicht zum Verkauf zwingen", sagt der Experte für Steuerrecht. "Laut Verfassung und in solchen Fällen brauchen wir Ausnahmeregelungen, weil sonst die Erbschaftsteuer unzumutbar bei den Erben zugreifen."

Fest steht: Die Neubewertung der Berechnungsgrundlage hat jetzt schon zu einem Auftragsboom bei Notaren, Fachanwälten und Gutachtern geführt. Denn die Steuerfestsetzung des Finanzamts wollen viele Erben durch ein Gegengutachten anfechten, um die Steuerlast zu mindern.

  • Mehr zum Thema "Streit um Erbschaftsteuer" in der Sendung report München am 10.01.2023 um 21:40 Uhr im Ersten oder in der ARD Mediathek.

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