Papst Franziskus macht sich um diese Welt ernsthaft Sorgen. Für ihn ist die Corona-Pandemie so etwas wie die letzte Warnung. Der "harte und unerwartete Schlag dieser außer Kontrolle geratenen Pandemie" habe uns dazu gezwungen, wieder an "alle zu denken anstatt an den Nutzen einiger", schreibt der Papst in seiner dritten Enzyklika. Es habe wieder das Bewusstsein gegeben für "eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot".
"Ich habe die Enzyklika vor Gott gebracht am Grab des Heiligen Franziskus, von dem ich inspiriert wurde, wie schon bei meiner zweiten Enzyklika "Laudato Si"." Papst Franziskus
Pandemie: "Beziehungen" und "Lebensstile" überdenken
Doch das Virus hat auch schonungslos die wunden Punkte offengelegt. Papst Franziskus nennt die Unfähigkeit, gemeinsam zu handeln und er schreibt: "Wir haben gesehen, was mit den älteren Menschen an einigen Orten der Welt aufgrund des Corona-Virus geschehen ist. Sie sollten nicht auf diese Weise sterben". Für den Papst ist die Pandemie ein Weckruf, "unsere Lebensstile, unsere Beziehungen, die Organisation unserer Gesellschaft und vor allem den Sinn unserer Existenz zu überdenken".
Papst Franziskus: Kritik an Populisten
Der Titel dieser Enzyklika ist umstritten: Mit "Fratelli tutti" zitiert Franziskus seinen Namenspatron, den Heiligen Franz von Assisi, der "alle Brüder" ansprach. Der Text schließt dann die Schwestern mit ein. Es ist vor allem von "Geschwisterlichkeit" die Rede - als Gegenentwurf zu einer Welt, in der der Papst "verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen wieder aufleben" sieht und neue Formen des Egoismus.
"Die Zeichen der Zeit weisen eindeutig daraufhin, dass die menschliche Geschwisterlichkeit und die Sorge für die Schöpfung, den einzigen Weg darstellen zu einer ganzheitlichen Entwicklung und zum Frieden." Papst Franziskus
Ohne Politiker wie Trump oder Autokraten wie Putin oder Erdogan beim Namen zu nehmen, kritisiert der Papst klar und deutlich populistische Tendenzen. An einer Stelle scheint der Pontifex unmittelbar in den amerikanischen Wahlkampf hineinzusprechen: "Was bis vor wenigen Jahren von niemandem gesagt werden konnte, ohne den Respekt der gesamten Welt ihm gegenüber aufs Spiel zu setzen, das kann heute in aller Grobheit auch von Politikern geäußert werden, ohne dafür belangt zu werden". Die Kirche müsse sich immer ein "kritisches Gespür" gegenüber "engstirnigen und gewalttätigen Nationalismen" bewahren.
Appell an Solidarität
Franziskus propagiert in "Fratelli tutti" eine "offene Welt". Unterschiede in Hautfarbe oder Religion dürften nicht für die "Privilegien einiger zum Nachteil der Rechte aller" missbraucht werden. Er appelliert an die "Solidarität", soll heißen, dass jeder sich für die Schwäche anderer verantwortlich fühlt. So wie im biblischen Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, das Franziskus ins Zentrum seiner Enzyklika stellt. Ganz konkret wird der Text dort, wo es um die Aufnahme und den Schutz von Migranten geht. Ausdrücklich nennt Franziskus nicht nur die Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Naturkatastrophen fliehen. Auch andere seien "mit vollem Recht auf der Suche nach Chancen für sich und ihre Familien". In schweren humanitären Krisen müsste eine größere Zahl von Visa ausgestellt werden. Und die Verfahren für Asylanträge sollten vereinfacht werden. Franziskus fordert "humanitäre Korridore" für die am stärksten gefährdeten Flüchtlinge.
Papst stützt seine Ausführungen auf Papier mit Großimam
Immer wieder zitiert Franziskus aus der Erklärung von Abu Dhabi, die er im Februar 2019 gemeinsam mit dem Großimam der al-Azhar-Universität von Kairo, Scheich Ahmad al-Tayyeb, verfasst hat. Dass eine muslimische Autorität auf diese Weise zum Kronzeugen eines päpstlichen Lehrschreibens wird, das gab es noch nie und zeigt, wie wichtig Franziskus die Verständigung unter den Religionen ist. "Gottes Liebe ist für jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion", so zitiert sich Franziskus in dem Text selbst.
Der Satz stammt aus dem Dokumentarfilm, den Wim Wenders über den Papst gedreht hat. Im interreligiösen Dialog beruft sich Franziskus allerdings auch auf den Heiligen Franziskus. Deshalb die feierliche Unterzeichnung der Enzyklika gestern an dessen Grab. Es berühre ihn, schreibt der Papst, wie der Heilige Franziskus vor achthundert Jahren dazu einlud, "jede Form von Aggression und Streit zu vermeiden und auch eine demütige und geschwisterliche 'Unterwerfung' zu üben, sogar denen gegenüber, die seinen Glauben nicht teilten".
"Möge Franziskus den Weg der Geschwisterlichkeit begleiten, in der Kirche, zwischen den Gläubigen aller Religionen und allen Völkern." Papst Franziskus
Die Enzyklika richtet sich ausdrücklich an alle. Nicht nur an Katholiken, innerkirchliche Themen greift der Papst in dem Schreiben kaum auf. Heute Mittag aber, bevor er den Text vorgestellt hat, nahm er indirekt Bezug auf den Finanzskandal, der den Vatikan in diesen Tagen erschüttert. Kardinal Angelo Becciu musste seinen Rücktritt einreichen, weil gegen ihn wegen der Veruntreuung von Geldern ermittelt wird. Es sei schlimm zu sehen, wenn in der Kirche Menschen mit Verantwortung ihre eigenen Interessen verfolgten, so Papst Franziskus.
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