Claudia Kemfert
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Claudia Kemfert (Bild vom Juni 2020)

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Energie-Expertin zu Uniper-Rettung: Bitterer Tag für Deutschland

Der Bund stützt den Gasversorger Uniper mit Milliarden – für Energie-Expertin Claudia Kemfert ein notwendiges, aber "sehr, sehr teures Übel". Im Gespräch mit BR24 erläutert sie, welche billigeren Möglichkeiten es gegeben hätte und was nun zu tun ist.

Die Bundesregierung übernimmt ein Drittel der Anteile des kriselnden Energiekonzerns Uniper. Das haben das Düsseldorfer Unternehmen und sein finnischer Mutterkonzern Fortum sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekannt gegeben. Demnach einigten sich beide Seiten auf eine Beteiligung des Bundes in Höhe von 30 Prozent im Rahmen einer Kapitalerhöhung, die nur der deutschen Regierung offensteht. Die ersten Reaktionen fallen gemischt aus.

Verdi begrüßt Rettung

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sprach von einem "guten Tag für die Energiewirtschaft, die Versorgungssicherheit und die Beschäftigten bei Uniper". Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hingegen sagte im Interview bei "BR24live", dies sei ein "bitterer Tag für Deutschland". Ähnlich wie bei der Finanzkrise müsse man zwar aufpassen, dass der Markt nicht zusammenbricht. Doch die Rettung sei auch eine Folge der Abhängigkeit von Russland und einer aus Kemferts Sicht falschen Energiepolitik: "Wir zahlen jetzt wirklich den Preis der verschleppten Energiewende."

Die Geschäftspolitik von Uniper bewertet Kemfert ebenfalls kritisch: Der Konzern sei stark verbandelt mit Russland, setze auf fossile Energien, habe Fehler begangen. "Mit teurem Steuergeld müssen wir jetzt unternehmerische Fehlentscheidungen bezahlen." Es hätte preiswertere Möglichkeiten gegeben, diese "Problem mit Ansage" zu vermeiden.

In dem Zusammenhang fordert die Energie-Fachfrau nun, die staatlichen Hilfen an Bedingungen zu knüpfen: die Atomgeschäfte von Uniper müssten beleuchtet werden, der Konzern dürfe keine hohen Gewinne erzielen und keine Boni auszahlen, müsse Klagen zurücknehmen.

Reicht das Tempo der Regierung?

Doch auch an der aktuellen Bundesregierung übt Kemfert Kritik, spricht mit Blick auf die Energieversorgung von einer schwierigen Situation. Das "Eiltempo" beim Flüssiggas sei zwar nicht falsch – doch diese hohe Geschwindigkeit wäre anderswo ebenso wichtig und hätte früher eingeschlagen werden sollen, im März, direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. "Beim Ausbau der Erneuerbaren und beim Sparen". Wichtig sei neben diesen beiden Maßnahmen jetzt, die Gasspeicher zu füllen und verstärkt Gas aus anderen Ländern zu beziehen. Und das zügig.

"Wir sind spät dran mit Maßnahmen." Claudia Kemfert, DIW

Auch wenn durch die Pipeline Nord Stream 1 nun wieder ein Teil der früheren russischen Gaslieferungen käme, dürfe man sich nicht in Sicherheit wiegen. Allerdings beruht die Abhängigkeit beim Gastransfer laut Kemfert auf Gegenseitigkeit. Auch Russland könne sich einen Wegfall der Lieferungen finanziell nicht leisten. Präsident Putin sei aber weiter daran gelegen, mit solchen Drohungen Deutschland und Europa in Angst und Schrecken zu versetzen.

Verlängerung der AKW-Laufzeiten? Kemfert zweifelt am Ertrag

Speziell beim Ausbau der Erneuerbaren Energien verlangt Kemfert nun in Deutschland einen "Booster", besonders bei der Biomasse. Und in Bayern sollte man insbesondere über den Ausbau der Windenergie sprechen. Von einer längeren Laufzeit der Atomkraftwerke, wie sie unter anderem die CSU fordert, hält sie dagegen wenig: Die Atomkraft helfe nicht wirklich, etwa nicht bei der Wärmeproduktion. Außerdem sei eine Verlängerung teuer: Genehmigungsverfahren seien ausgelaufen; das Atomgesetz müsste geändert und Brennelemente gekauft werden; Jobs in den AKWs fielen weg. Also stünden "Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis".

Verbrauchern drohen hohe Nachzahlungen

Doch was kommt nun auf die Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland zu? Das fragen sich derzeit viele – und Saidi Sulilatu vom Geldratgeber "Finanztip" hat sich damit besonders intensiv befasst. Bei "BR24live" erläuterte er, dass der Preisanstieg auch jene treffen werde, die nicht primär mit Gas heizen: auch bei Fernwärme sei Gas meist einer der Hauptlieferanten, ein Teil des Stroms werde in Gaskraftwerken produziert, die Industrie (wie etwa die Lebensmittelbranche) gebe Gaspreis-Steigerungen an Kunden weiter.

Schon im Mai seien wegen der stark gestiegenen Energiepreise hohe Mehrkosten bei den Verbrauchern aufgelaufen und deshalb seien mit Blick auf das Gesamtjahr hohe Nachzahlungen zu erwarten. Egal ob über die höheren Nebenkosten oder die Abschlagszahlungen, es werde "den meisten etwas Vierstelliges blühen".

Im günstigen Szenario müsse eine Person mit Zusatzzahlungen von rund 2.000 Euro rechnen, womöglich könnte es aber noch deutlich teurer werden. Familien müssten in einem schlechten Fall mit 4.000 bis 5.000 Euro rechnen. Von einer "richtig dicken Rechnung" spricht Sulilatu – sagt aber auch: Vielleicht kommt es nicht so schlimm. So oder so empfiehlt der Energie- und Verbraucher-Experte allen, Rücklagen zu bilden. Diese Gelder sollte man am besten auf ein Tagesgeldkonto einzahlen.

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