Der ehemalige Papst Benedikt XVI.
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Schriften aus dem Nachlass des an Silvester verstorbenen ehemaligen Papstes Benedikt XVI. sind nun veröffentlicht worden.

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Düsteres Kirchenbild: Das letzte Werk von Joseph Ratzinger

Schriften aus dem Nachlass des verstorbenen früheren Papstes Benedikt XVI. sind veröffentlicht worden. Darin zeichnete er ein Bild der katholischen Kirche, der von allen Seiten Gefahr droht. Zu Lebzeiten befürchtete er ein "mörderisches Geschrei".

Am Silvestermorgen starb der ehemalige Papst Benedikt XVI. Gut einen Monat nach seinem Tod sind in Italien Schriften aus seinem Nachlass veröffentlicht worden. "Fast ein geistliches Testament" heißt das Buch im Untertitel. Joseph Ratzinger hatte verfügt, dass die Texte erst nach seinem Tod veröffentlicht werden sollten. Er befürchtete, dass das Buch für Wirbel sorgen könnte – vor allem in Deutschland.

Benedikt befürchtetet "mörderisches Geschrei"

Der deutsche Papst und die Deutschen: Das war eine Leidensgeschichte, zumindest aus der Perspektive Joseph Ratzingers: "Die Wut der Kreise, die in Deutschland gegen mich sind, ist so stark, dass das Erscheinen eines Wortes von mir sofort ein mörderisches Geschrei ihrerseits provoziert." So zitiert Elio Guerriero den Papst im Ruhestand. Neben dem italienischen Autor firmiert auch Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein als Herausgeber des Buches. Erscheinen sollte das Werk erst nach seinem Tod, und zwar auf Italienisch. Das "mörderische Geschrei" aus Deutschland wollte Ratzinger sich und "der Christenheit ersparen".

Natürlich gab es immer auch Kritik am Theologen Joseph Ratzinger, sagt der evangelische Theologe Volker Leppin. Aber: "Das sind jeweils respektvolle theologische Auseinandersetzungen gewesen, die ich dort beobachten konnte." Trotzdem gebe es laut Leppin in Deutschland auch viele Verehrer und Anhänger von Ratzinger. "Da wird mit einer Pauschalität über Deutschland gesprochen, die von einer Verzerrung der Wirklichkeitswahrnehmung zeugt", sagt Volker Leppin.

Auch Text aus 2019 mit Kritik an 68-ern im Sammelband

Vielleicht waren es die Reaktionen auf seine letzten Publikationen, die Ratzinger so nachhaltig verstört haben. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2019 beispielsweise, in dem er das Klima der 68er-Jahre für den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche mitverantwortlich macht. Auch dieser Text findet sich in dem Sammelband und muss auch zukünftig kritisch gelesen werden, findet der Bochumer Theologe Thomas Söding.

"Die wissenschaftliche Erforschung genauso wie die juristischen Gutachten haben diese These falsifiziert. Ja, es gibt diesen gesellschaftlichen Kontext, aber es gibt eben auch klerikale Gründe für den Machtmissbrauch und die Vertuschung. Und da muss man einfach sagen: Hier sind deutliche Grenzen in der kritischen Analyse von Joseph Ratzinger", sagt Thomas Söding.

Dürfen evangelische Christen an Messfeier teilnehmen?

Auch zum Thema Ökumene hat sich der emeritierte Papst in seinem Altersruhesitz in den Vatikanischen Gärten Gedanken gemacht und dabei eine in Deutschland besonders virulente Frage aufgeworfen: Dürfen evangelische Christen an der katholischen Messfeier teilnehmen, und umgekehrt Katholiken am evangelischen Abendmahl? Der ehemalige Papst hält das für ausgeschlossen, da Abendmahl und Messe grundverschieden seien und sich von ihrem Wesen her ausschließen würden.

Eine evangelisch-katholische Kommission, an der auch der protestantische Theologe Volker Leppin von der Yale University mitgearbeitet hat, kommt zu einem anderen Schluss. Was Leppin aber noch mehr irritiert, ist das Zerrbild, das Joseph Ratzinger von der evangelischen Kirche entwirft. "Es geht so weit, dass die evangelische Theologie falsch dargestellt wird - in einer Weise falsch, dass ich mich fragen muss: Hat wirklich der langjährige Präfekt der Glaubenskongregation und langjährige Papst, der so viel Einfluss auf die Ökumene hatte, so wenig Kenntnis von der evangelischen Theologie, wie das in diesem Buch durchschlägt?"

Benedikt sieht eine Kirche, der von allen Seiten Gefahr dort

Es ist ein eher düsteres Kirchenbild, das Joseph Ratzinger in seinem letzten Werk zeichnet. Er sieht eine katholische Kirche, der von allen Seiten Gefahren drohen, von modernen westlichen Gesellschaften genauso wie vom interreligiösen Dialog mit dem Islam. Thomas Söding hat eine Vermutung, warum Benedikt das so gesehen hat: "Die Kirche ist lebendig, sie entwickelt sich, es gibt neue Aufbrüche. Und jemand, der sich so intensiv in der kirchlichen Tradition auskennt, sieht darin doch sehr viel Abbrüche und weniger Aufbrüche", meint Thomas Söding.

Auch Joseph Ratzinger hat zu diesem Buch noch ein Vorwort verfasst, am 1. Mai 2022. Darin schreibt er rückblickend auf seinem Rücktritt vor zehn Jahren. Zu erschöpft sei er damals gewesen, um weitere Arbeiten planen zu können. Nach der Wahl seines Nachfolgers habe er dann seine theologische Arbeit langsam wiederaufgenommen. Das Ergebnis liegt seit einer Woche in italienischen Buchläden aus.

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