Israel betrachtet das iranische Nuklearprogramm seit vielen Jahren als die potenziell größte Sicherheitsbedrohung. Laut Internationaler Atomenergiebehörde IAEO verfügt das Mullah-Regime inzwischen über erhebliche Mengen an hochangereichertem Plutonium.
Atomverhandlungen mit Iran am Nullpunkt
Der Iran stehe an der Schwelle zur Gewinnung von ausreichendem, atomwaffenfähigen Material, heißt es in den jüngsten Berichten der IAEO. Parallel dazu sind die Atomverhandlungen mit dem Iran faktisch gescheitert, die im vergangenen Jahr in Wien von Großbritannien, Frankreich, Deutschland, China, Russland und – indirekt – von den USA geführt worden sind. Das Regime habe im letzten Herbst einen fertig ausgehandelten Kompromissvorschlag verworfen, wie es einhellig von den beteiligten westlichen Regierungen hieß.
2018 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump das drei Jahre zuvor unterzeichnete Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Kurz darauf vollzog der Iran den gleichen Schritt und sah sich nicht mehr daran gebunden, die Plutoniumanreicherung herunterzufahren. Im Gegenzug war dem Land eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen in Aussicht gestellt worden. Davon ist nicht mehr die Rede.
Seit mehreren Monaten herrscht in Washington, London, Paris und Berlin die gleiche Einschätzung: Der diplomatische Weg zur Eindämmung des iranischen Nuklearprogramms steckt in einer Sackgasse.
Weltweites Rätselraten über Drohnenangriff
Vor diesem Hintergrund erregten die Meldungen der beiden großen US-Zeitungen "New York Times" und "Wall Street Journal" großes Aufsehen: Unter Berufung auf amerikanische Regierungskreise berichteten die renommierten Zeitungen, dass Israel in der Nacht zum Sonntag den Drohnenangriff auf einen Rüstungsbetrieb in der Großstadt Isfahan durchgeführt habe. Auch die Nachrichtenagentur Reuters erhielt aus US-Kreisen eine Bestätigung für diese Meldung.
Die israelischen Streitkräfte lehnten jede Stellungnahme zu den Medienberichten ab. Dies entspricht der üblichen Reaktion Israels auf Anfragen nach Militäraktionen, die den israelischen Streitkräften zugeschrieben werden. Die US-Regierung erklärte, sie habe mit dem Vorfall nichts zu tun.
Rüstungsindustrie in Isfahan im Visier
Welche Waffensysteme in dem getroffenen Rüstungsbetrieb produziert wurden, war zunächst ebenso unklar wie das Ausmaß der Zerstörung. Isfahan sei eines der Zentren der iranischen Rüstungsindustrie. Dort würden, so meldet die New York Times, auch die Mittelstreckenraketen vom Typ Shahab hergestellt, die Israel erreichen könnten. Zudem liefere der Iran seit Monaten bereits Drohnen und Mittelstreckenraketen an Russland, die Moskau gegen die Ukraine einsetze. So lautet die übereinstimmende Analyse der ukrainischen und amerikanischen Regierung.
Namentlich nicht genannte US-Regierungsvertreter werden von der New York Times mit der Einschätzung zitiert: Der Drohnenangriff habe nicht den Raketenexporten nach Russland gegolten, sondern sei auf eigene israelische Sicherheitsinteressen zurückzuführen.
Stille Übereinkunft zwischen Russland und Israel
Zwischen Israel und Russland herrscht mit Blick auf Syrien eine Art stille Übereinkunft: Seit vielen Jahren, noch lange vor dem russischen Militäreinsatz in Syrien ab 2015, geht die israelische Luftwaffe gegen mutmaßliche Waffenlieferungen des Iran an ihren libanesischen Ableger, die Hisbollah-Milizen, vor. Dabei werden vor allem diejenigen iranischen Waffensysteme ins Visier genommen, die von Israel als besonders gefährdend für die eigene Sicherheit betrachtet werden.
Russland, das das Assad-Regime durch den jahrelangen brutalen Luftwaffeneinsatz gegen die Gegner des Regimes stabilisiert hat, tolerierte die israelischen Einsätze über dem syrischen Luftraum. Ohne dieses Stillschweigen Moskaus wären die israelischen Luftangriffe auf iranische Waffenlieferungen nach Syrien und in den Libanon nur sehr schwer durchzuführen.
Erst in der Nacht zum vergangenen Sonntag wurde ein Lastwagenkonvoi von einer Drohne im Osten Syriens getroffen. Der Konvoi habe, so die syrische Beobachtungstelle für Menschenrechte, "iranische Waffen" transportiert. Dieser Drohnenangriff erfolgte nahezu zeitgleich mit dem Drohnenangriff im Iran.
Im Gegenzug zum russischen "Stillhalten" gegenüber israelischen Militäraktionen in Syrien verhielt sich Israel nicht zuletzt deshalb gegenüber dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine weitestgehend neutral.
Moskau spricht von "Provokation"
Dass Moskaus Außenministerium jetzt mit einer scharfen Verurteilung des Drohnenangriffs im Iran reagiert, kann als Anzeichen dafür gewertet werden, dass die "stille Übereinkunft" mit Israel gefährdet sein könnte: Bei dem Drohnenangriff habe es sich um eine "Provokation" gehandelt. Solche "zerstörerischen Aktionen können unvorhersehbare Konsequenzen für den Frieden und die Stabilität im Nahen Osten haben", so die Erklärung des russischen Außenministeriums.
Der Iran ist für Russland mittlerweile zu einem der wichtigsten Waffenlieferanten geworden. Vor diesem Hintergrund dürfte Moskau nunmehr die israelischen Luftangriffe auf iranische Waffenlieferungen in einem anderen Licht betrachten. Nicht verwundern konnte in diesem Zusammenhang der Tweet eines Beraters des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, in dem der Drohnenangriff mit den Worten kommentiert wurde: "Die Logik des Krieges ist unerbittlich und mörderisch. Und er stellt den Urhebern und Komplizen harte Rechnungen auf."

Inmitten einer neuen Welle der Gewalt in Nahost ist US-Außenminister Blinken nach Israel und in die Palästinensergebiete gereist.
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