"Man schweigt sich auseinander. Und man diskutiert sich zusammen."
Diesen Tweet hatte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kurz vor dem Ende der fast dreißigstündigen Mammut-Verhandlungen im Koalitionsausschuss abgesetzt. Die Zeilen erinnern an ein Gedicht von Erich Kästner, "Gewisse Ehepaare" ist es überschrieben. Dort ist auch zu lesen, "Man sprach sich aus. Man hat sich ausgeschwiegen", Szenen einer Ehe, die auch die Verbindung dieser Ampel beschreiben könnten.
"Sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse" kündigt der Kanzler an
Als die Vertreter und Vertreterinnen der drei Ampel-Parteien nach insgesamt dreißig Stunden Verhandlungen vor die Presse treten, ist der Kanzler längst woanders. Olaf Scholz, der große Mediator, als der er zumindest zu Beginn dieser Koalition von allen Seiten gewürdigt wurde, hat sich bereits am frühen Nachmittag aus der Runde verabschiedet. Der kenianische Präsident William Ruto ist zu Besuch und soll ganz offensichtlich nicht warten. Schließlich ist Deutschland das erste Land, das Kenias Unabhängigkeit vor sechzig Jahren anerkannt hat, das muss gewürdigt werden. Immerhin lässt Scholz auf der anschließenden Pressekonferenz mit seinem Gast bereits durchblicken, dass man sich auf ein "Gesamtwerk, das die viele Mühe gelohnt haben wird", freuen kann. Untypisch für Scholz hört man ihn von "sehr, sehr, sehr guten Ergebnissen" schwärmen.
Ruppiger Ton, zufriedener Durchbruch
Noch einmal zweieinhalb Stunden später stehen da also Christian Lindner, FDP-Chef, Lars Klingbeil, der SPD-Vorsitzende und Grünen-Chefin Ricarda Lang unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes und erklären, warum es so lange gebraucht hat, und was es mit dem Gesamtwerk auf sich hat. Von dem Scholz noch gesagt hat: "Es geht um die größte Modernisierung der Volkswirtschaft, die vor uns liegt." Und auch, dass es diese Koalition sei, die das machen müsse. Stichwort "Fortschrittskoalition". Klar sei der Ton manchmal ruppig gewesen, gibt Ricarda Lang (Grüne) zu Protokoll, während Christian Lindner (FDP) sich über den "Durchbruch" freut und auch Lars Klingbeil (SPD) "hochzufrieden" mit dem Ergebnis ist.
Neuvermessung der Ampelkoalition
Die Koalition will sich selbst neu vermessen. Und sie will Unsicherheiten ausräumen – beim Austausch von Öl- und Gasheizungen etwa: ausreichende Übergangszeiträume sind hier geplant und das Abfedern sozialer Härten. Wie ist die Transformation des Landes zu schaffen: Ausbau von Autobahnen nur dann, wenn an der Strecke erneuerbare Energien installiert sind. Die LKW-Maut wird erhöht, um das Geld in den Ausbau der Schiene zu stecken. Die FDP bekommt ihren Willen bei den Klimazielen: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) muss nicht so viel einsparen, dafür werden andere zur Kasse gebeten. "Offene Enden im Koalitions-Vertrag, die geschlossen werden mussten", nennt das Christian Lindner, der als Finanzminister großes Interesse daran hat, dass die Enden nicht zu viel Geld für seinen Haushalt bedeuten. Die Ausgaben sind schließlich enorm, für den kommenden Haushalt 2024 rechnet Lindner mit einem Defizit zwischen 14 und 18 Milliarden Euro. Die Beschlüsse am Abend dürften Lindner daher zufriedenstellen: Angeblich werden keine zusätzlichen Kosten im Bundeshaushalt anfallen.
Ampelkoalition als Spiegelbild der Gesellschaft
Dass die Stimmung nicht immer die beste war, will keiner der drei verschweigen. Scholz hatte bereits am Nachmittag erklärt, es müssten Dinge besprochen werden, die nicht alle schon geklärt seien. Ein mühseliger Arbeits- und Verhandlungsprozess, den sich die Koalitionsparteien und seine Regierung jetzt vorgenommen hätten, stellvertretend für die ganze Gesellschaft auf ihrem Weg in eine wirtschaftlich erfolgreiche Moderne. Und das würde eben dauern.
Sehr lange hatte es überhaupt nicht nach einem solchen Ergebnis ausgesehen, die Opposition stichelte lautstark über "Regierungsunfähigkeit" (Alice Weidel, AfD) und "Regierungskrise" (Friedrich Merz, CDU) und "Zerrüttung" (Alexander Dobrindt, CSU) . Auch die Linkspartei meldete sich zu Wort, da war noch kaum etwas aus dem Ausschuss nach draußen gedrungen. Fraktionschefin Mohamed Ali sprach von "verantwortungslosem Getue" und einem "erbärmlichen Bild", das die Bundesregierung abgebe.
Kästners Gedicht "Gewisse Ehepaare" endet übrigens damit, dass sich das Paar komplett annähert, "Sie sind einander zum Erschrecken ähnlich". Das kann und wird den Ampelkoalitionären nicht passieren. So sehr man sich die letzten knapp dreißig Stunden auch ausgesprochen und ausgeschwiegen hat.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!