Martin Schirdewan und Janine Wissler, Parteivorsitzende Die Linke
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Martin Schirdewan und Janine Wissler, Parteivorsitzende Die Linke

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Halberneuert in die Zukunft: Die Linke nach dem Parteitag

Eine neue Doppelspitze, ein verschlankter Vorstand und klare Kante im Umgang mit dem Putin-Regime – die Linke hat beim Parteitag in Erfurt viel von dem erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Aber reicht das, um aus der Krise zu kommen?

Es sind wohl die längsten Minuten ihrer Karriere. Janine Wissler sitzt am Samstagnachmittag in der ersten Reihe der Erfurter Messehalle. Vor ihr hat sich eine Wand von Fotografen und Kameraleuten aufgebaut. Sie wollen den Moment einfangen, der über die politische Zukunft der Linken-Chefin entscheidet.

Dann gibt die Sitzungsleitung das Ergebnis der Vorstandswahl bekannt: 57,5 Prozent der Stimmen für Wissler. Kein überragendes Ergebnis – bei ihrer erstmaligen Wahl zur Parteivorsitzenden vor anderthalb Jahren waren es mehr als 80 Prozent. Aber es reicht, damit sich Wissler an der Parteispitze halten kann.

Wissler entscheidet Kampfkandidatur für sich

Wissler lächelt erleichtert, verkneift sich aber jede Sieges-Geste. Denn einen Triumph hat die 41-Jährige nicht eingefahren – und das weiß sie natürlich. Aber am Ende komme es darauf an, was man aus so einem Ergebnis mache, findet Wissler. Außerdem verweist sie darauf, dass sie diesmal zwei Gegenkandidatinnen hatte.

Tatsächlich trat mit Heidi Reichinnek eine Bundestagsabgeordnete gegen sie an, der Chancen auf einen Sieg bei der Vorstandswahl eingeräumt wurden. Doch die knapp 60 Prozent für Wissler bedeuten eben auch: 40 Prozent der Delegierten wollten sie nach der Serie von Wahlniederlagen auf Bundes- und Landesebene nicht mehr an der Doppelspitze sehen. Diese führt nun einen auf 26 Mitglieder verkleinerten Vorstand an, was seine Schlagkraft erhöhen soll.

Neu an der Linken-Spitze: Martin Schirdewan

Zusammen mit Martin Schirdewan muss Wissler nun beweisen, dass sie die Partei aus der Krise führen kann. Der Europaabgeordnete ist das neue Gesicht der Doppelspitze. Er bekommt bei der Wahl zum nicht-quotierten Platz 61,3 Prozent – und liegt damit weit vor seinem schärfsten Konkurrenten Sören Pellmann.

So sehr freut sich Schirdewan über das Ergebnis, dass er beide Fäuste in die Höhe reckt, als es bekanntgegeben wird. Er habe Erfahrungen damit, "eine bunte Ansammlung von Linken zu lenken und zu führen", sagt Schirdewan. Als Co-Fraktionschef im Europaparlament muss er eine Gruppe zusammenhalten, deren Mitglieder aus mehr als einem Dutzend Länder kommen. Jetzt will er die deutsche Linke einen.

Linke will sich wieder um "Brot-und-Butter-Themen" kümmern

"Wir haben verstanden", sagt Schirdewan bei einem ersten Statement der neuen Doppelspitze. Die Partei werde sich wieder um "Brot-und-Butter-Themen" kümmern, die die Menschen bewegten – beispielsweise steigende Energie- und Lebensmittelpreise. Wissler freut sich nach eigenen Worten auf die Zusammenarbeit mit dem Neuen an ihrer Seite: "Wir kennen und wir mögen uns. Und wir wissen, wo wir hinwollen."

Linke verurteilt russischen Angriffskrieg

Ein wesentliches Ziel der beiden: Sie wollen die Vielstimmigkeit beenden, die die Partei an den Tag legt – selbst in zentralen Fragen wie dem Umgang mit dem russischen Regime. Der Parteivorstand hat den rund 570 Delegierten in Erfurt einen Leitantrag vorgelegt, in dem der russische Angriff auf die Ukraine scharf verurteilt wird. "Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen", heißt es in dem Papier, das der Parteitag am Sonntag beschließt. Darin wird dem Putin-Regime eine imperialistische Politik vorgeworfen. So weit, so klar.

Russland-Debatte offenbart innerparteiliche Risse

Doch die Debatte über den Leitantrag zeigt, dass angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine ein Riss durch die Linke geht. Eine Gruppe um die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht wollte in Erfurt Änderungen durchsetzen. Mit dem Ziel, dass der Text im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auch auf die Nato-Osterweiterung eingeht.

Kritikerinnen wie Wagenknecht machen die Expansion des westlichen Bündnisses für die Entwicklung in der Ukraine mitverantwortlich. Und auch in der Debatte waren solche Stimmen zu hören: Ja, der russische Angriff sei zu verurteilen. Aber er habe eben eine Vorgeschichte.

Scharfe Kritik von Delegierter mit ukrainischen Wurzeln

Es sind Äußerungen wie diese, für die manche in der Partei nach vier Monaten Krieg kein Verständnis mehr haben. Sofia Fellinger ist eine von ihnen. Sie stammt aus der Ukraine – und fällt in Erfurt durch einen zornigen Redebeitrag auf, in dem sie mit dem Wagenknecht-Lager abrechnet. Auch bei diesem Parteitag habe sie Anträge und Wortbeiträge erlebt, die das durch den Krieg erzeugte Leid relativierten, sagt Fellinger. Solche Äußerungen spiegelten zwar nicht die Mehrheitsmeinung in der Partei wider, aber sie würden fortlaufend getätigt – ohne Konsequenzen.

Historisch gewachsene Nähe der Linken zu Russland

Warum eigentlich tut sich die Linke so schwer damit, sich geschlossen vom russischen Regime zu distanzieren? Der Politikwissenschaftler Torsten Oppelland führt das im Gespräch mit BR24 auf das Verhältnis der Linken zu den USA zurück. "Wenn man eine Partei des demokratischen Sozialismus sein will, ist das der ideologische Gegner", sagt er.

Auch Russland empfinde sich als Gegenspieler zu Washington, was eben eine gewisse Solidarität erzeuge. Die Nähe der Linken zu Russland ist historisch gewachsen – und Teile der Linken wollen sie offenkundig nicht aufgeben. Auch nicht bei diesem Parteitag, von dem doch eigentlich ein klares Signal der Geschlossenheit ausgehen sollte.

Wagenknecht-Lager erleidet Niederlagen auf Linken-Parteitag

Klar ist: Um die Vielstimmigkeit der Partei zu beenden, müsste etwa Sahra Wagenknecht eingebunden werden. In einer der vorderen Stuhlreihen der Messehalle ist ein Platz für die Bundestagsabgeordnete reserviert, aber krankheitsbedingt kann sie in Erfurt nicht dabei sein.

Und ist doch allgegenwärtig. Denn es gibt Zweifel daran, ob Wagenknecht ihre mediale Strahlkraft in Zukunft im Sinne der Berliner Parteizentrale einsetzen wird, nur weil ein Parteitag einen Leitantrag verabschiedet hat. In der Vergangenheit hat sie in Talkshows und Interviews immer wieder herausgestellt, dass sie mit der Parteispitze über Kreuz liegt.

Dieser Parteitag bedeutet für Wagenknecht jedenfalls eine doppelte Niederlage: Der Änderungsantrag zum Umgang mit Russland wird abgelehnt. Und mit Sören Pellmann unterliegt der Kandidat für den Parteivorsitz, den sie unterstützt hat. Wagenknecht hat vor dem Treffen in Erfurt von der vielleicht letzten Chance der Linken gesprochen, die Weichen neu zu stellen. Sollte sie nun zu dem Schluss kommen, dass genau das passiert sei: Es wäre die vielleicht größte Überraschung bei diesem Parteitag.

Parteitag der Linken: Wissler und Schirdewan sind neue Chefs
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Parteitag der Linken: Wissler und Schirdewan sind neue Chefs

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