Aus den Reihen der Grünen und der Union heißt es, die FDP habe schon am Sonntagmorgen den Versuch unternommen, die Union zu überreden, aus den Sondierungen auszusteigen.
Langjährige Berlin-Korrespondenten berichten, so eine Stimmung hätten sie noch nie erlebt: Konsternierte Verhandler und gerade noch Fassung wahrende Parteivorsitzende. Berlin perplex.
"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“
Mit diesem Satz zog kurz vor Mitternacht FDP-Chef Lindner in Berlin vor den Kameras die Reißleine bei den Sondierungen. Seine Formulierungen ließen keinen Zweifel. Dies ist keine Verhandlungstaktik mehr, dies ist das Ende der wochenlangen Bemühungen, ein Vierbündnis aus CDU, CSU, FDP und Grünen zu schmieden. Es fehle eine politische „Trendwende“, so Lindner.
Grüne und Unionspolitiker - zusammen kopfschüttelnd vor dem Fernseher
Jürgen Trittin berichtete, Grüne, CDU und CSU hätten zusammen kopfschüttelnd vor dem Fernseher gesessen, als Lindner vor die Presse trat. Jetzt seien Neuwahlen fällig, außer die „komplette Politikverweigerung“ der SPD habe ein Ende, so Trittin. Um ein Uhr nachts traten dann CDU-Chefin Merkel und CSU-Chef Seehofer vor die Presse, sichtlich erschöpft. Merkel bezeichnete die Grünen als „gewöhnungsbedürftig“, aber man habe „nichts unversucht“ gelassen, um eine Lösung zu finden. Alle Parteien seien „sehr große Wege“ gegangen. Sie werde am Montag den Bundespräsidenten über die abgebrochenen Gespräche informieren. Im Kreis der Verhandler der Union wurde die Hoffnung geäußert, Steinmeier wirke auf die SPD ein, sich für Sondierungen zu öffnen. CSU-Chef Seehofer sprach von einer „Belastung“ für Deutschland. Wie die Kanzlerin sagte er nachts, selbst eine Einigung bei der Zuwanderung hätte es mit den Grünen geben können. Der Erfolg sei „zum Greifen nah“ gewesen. Die Statements der Union beendete er mit dem Satz: „Der Dank an die Bundeskanzlerin ist immer ein Schlusspunkt.“
Die CSU gebeutelt, kaum Bewegungsspielraum in der Flüchtlingsfrage
Richtig! Schlusspunkt! Nicht nur die Jamaika-Koalition ist am Ende, beschädigt gehen alle Parteispitzen aus den Sondierungen. Sie haben es nicht vermocht, ein Bündnis zu schmieden, das einem Aufbruch hätte gleichkommen können. Die Voraussetzungen waren gleichwohl ungemein schwierig: Kernproblem der Jamaika-Parteien war es, dass ihre Profile weit auseinander liegen. Die CSU, gebeutelt von einem historisch schlechten Wahlergebnis, hatte kaum Bewegungsspielraum in der Flüchtlingsfrage. Dies hatte sie früh erkennen lassen. Schon der Kompromiss mit CDU im Vorfeld der Sondierungen ging an die Substanz der CSU. Und allen war bewusst, dass Horst Seehofer hier keinen Manövriermasse hat, will er seine politische Karriere nicht unmittelbar nach den Verhandlungen an den Nagel hängen.
Das Einlenken der Grünen kam spät - die FDP hatte den Glauben an Jamaika da schon verloren
Hier machten die Grünen den entscheidenden Fehler, der die Verhandlungen bis zum Ende belastete. Sie zeigten sich kompromissbereit beim Klimaschutz und blieben viel zu lange hart bei der Flüchtlingsthematik. Hätten Sie es andersherum einfädelt - hart beim Klima, gesprächsbereit beim Thema Flüchtlinge - dann hätte es früher eine Einigung mit der Union gegeben. Am Ende waren die Grünen schließlich machtbewusst genug, um doch noch einen Kompromiss in der Flüchtlingsfrage zu zimmern. Aber zu spät, die FDP hatte den Glauben an Jamaika längst verloren. Ob kalkulierter Ausstieg der FDP oder nicht. Jamaika hatte zu viel Trennendes. Zu wenige Schnittmengen.
Das Scheitern der Kanzlerin
Angela Merkel ist bei Jamaika als Verhandlungsführerin gescheitert. Dies ist eine herbe Niederlage, vielleicht ihre größte. Kann sie jetzt nicht die SPD für eine große Koalition gewinnen, schwindet ihre Machtbasis zunehmend. Die CDU käme ins Schlingern.
Bleibt es beim Nein der SPD?
Die SPD kann nun Verantwortung zeigen. Verweigert sie sich jeden Gesprächen, dürfte auch sie von Wählern aus der Mitte erneut abgestraft werden. Neuwahlen sind mit Sicherheit ein großes Risiko für die etablierten Parteien. Wie sich die Wähler entscheiden, mag niemand vorhersagen. Deutschland steht vor schwierigen Wochen und wohl auch Monaten. Es hat in dieser Nacht an Stabilität verloren.