Friedenstaube
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Friedenstaube steigt an weiß-blauen Luftballons empor.

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Der Ukraine-Krieg und wir: "Wird nicht mehr so wie früher"

Feind statt Freund, Aufrüstung statt Abrüstung, Kriegsangst statt Zukunftsfreude. Die Folgen des Ukrainekriegs treffen die Gesellschaften als ganzes. Wie viel Kraft steckt noch in uns nach zwei Jahren Pandemie? Ein Blick in unsere mögliche Zukunft.

Zeitenwende. Dieser Begriff scheint über allem zu schweben, was seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine passiert ist. Dabei bedeutet es wohl nichts anderes als: Es wird nicht mehr so sein wie früher.

Aufrüstung statt Abrüstung, Feind statt Freund und Angst vor einem Atomkrieg statt Freude auf das, was das Leben noch bringen mag. Der Krieg in der Ukraine verändert auch uns persönlich. Welche Gesellschaft werden wir sein, wenn dieser Krieg mal vorbei ist? Ein Blick in die Zukunft mit den Sozialpsychologen Prof. Andreas Zick und Sebastian Winter.

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Prof. Andreas Zick, Sozialpsychologe und Konfliktforscher

Was macht dieser Krieg mit uns als Gesellschaft?

Zick: Das versetzt die Menschen in eine maximale Unsicherheit und wenn Menschen in Unsicherheit verfallen, dann suchen sie andere und versuchen sich zu vergewissern. Wir nähern uns anderen, aber wir nähern uns vor allen Dingen anderen, die ähnliche Meinungen haben. Deswegen führt so ein Konflikt dann auch zu Polarisierung, da bilden sich Lager.

Wir merken, die Konflikte geraten in unsere Gesellschaft. Es gibt die ersten Gruppen, die sich pro-russisch melden, dann gibt es Gruppen, die sich pro-ukrainisch, das ist die absolute Mehrheit, melden. Dann setzt aber in so einer Schockstarre etwas ein, was die Gesellschaft für solche Situationen vorher vorgesehen hat. Das sind Rituale: Demonstrationen, Solidaritätsbekundungen, Spenden ...

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Teilnehmer einer Demonstration protestieren in Berlin gegen den Krieg und den russischen Angriff auf die Ukraine.

"Auf einmal ist Russland der Aggressor und dann aktivieren wir Stereotype. Dann kann es passieren, dass wir aus den Stereotypen in Vorurteilsmuster verfallen, in eine motivierte Abwertung des Aggressors. Und weil wir Putin nicht erreichen können, gucken wir uns um." Andreas Zick zu den Anfeindungen russischstämmiger Bürger in Deutschland

Erst die Corona-Pandemie, nun der Ukrainekrieg. Schaffen wir das?

Zick: Also ich glaube, das ist genau die Frage, die schwer zu beantworten ist, aber auf die es ankommt: Hat diese Demokratie, in der wir leben, die Stärke mit zwei großen Krisen und einer dritten, der Klimakrise, die ja auch bevorsteht [fertigzuwerden]?

Was wir jetzt sehen, ist schon, dass wir Stabilität gewonnen haben. Wir können jetzt Kräfte reaktivieren, die wir gesehen haben in der Zivilgesellschaft aus der Bewältigung der Flucht-Zuwanderung, die 2015 einsetzte. Das funktioniert schneller. Es gibt massive Solidaritätsbekundungen. Wir sind etwas besser aufgestellt, Propaganda besser zu lesen.

Aber tatsächlich haben wir eine Situation, in der wir - glaube ich - alle spüren, da rollen noch viel weitere Konflikte auf uns zu. Und jetzt kommt eine große Schwierigkeit auf uns zu: Haben wir ein Konzept, wie denn unsere Friedensordnung [nach dem Ukrainekrieg; Anm. d. Red.] aussieht?

"Ein demokratisch orientierter Frieden, der bedeutet ja, dass wir eine Gewaltkontrolle haben, dass wir Rechtmäßigkeit haben, dass wir Friedensverträge haben. All das ist in weiter Ferne. Jetzt geht es erst mal nur um diesen kalten Frieden, wo man sich nicht leiden können muss, wo man auch keine kooperativen Projekte zwischen den Kriegsparteien hat, aber wo zumindest die Waffen ruhen." Andreas Zick zum Konzept des kalten Friedens.

Wird es wieder so wie früher?

Zick: Ich glaube, es wird tatsächlich nicht mehr so sein wie früher, weil wir eine neue Friedensordnung brauchen, weil wir neue Verträge brauchen. Dieser Krieg zerstört Kulturen, dieser Krieg zerstört die Wirtschaft, dieser Krieg hat zur Folge, dass wir Jahre brauchen werden, um neue Verträge schließen zu können und dieser Krieg bringt ein maximales Misstrauen in die Gesellschaft zurück. Das heißt, die Zukunft wird ungewisser als wir es gedacht haben und wir müssen mit dieser Ungewissheit umgehen können. Dafür brauchen wir eine Idee.

Die Rettung, mit Militär und Wirtschaft Frieden herzustellen, hat sich jetzt auch entpuppt als kein Weg. Da muss etwas dazukommen. Und das bedeutet eben der demokratische Austausch, die Kooperation, ein Friedensplan für Europa und der schließt Ost-, wie Westeuropa mit ein.

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Dr. Sebastian Winter, Sozialpsychologe Universität Hannover

Welche Gesellschaft werden wir in vielen Jahren mal sein, wenn dieser Krieg vorbei ist?

Winter: Krieg ist nie gut für eine Gesellschaft, weil er eine Logik aufzwingt, eine Kriegslogik, eine Gewaltlogik, die zutiefst der Logik widerspricht nach der Gesellschaften funktionieren sollten. Es ist ja auch nicht so, dass es jetzt zum ersten Mal einen Krieg gibt, auch nicht in Europa. Es gab den Jugoslawienkrieg. Trotzdem passiert aktuell eine stärkere Durchdringung der Gesellschaft mit Militärlogik und ich glaube, ein zentrales Moment, auf das sehr geachtet werden muss in den nächsten Jahren ist: Wir dürfen nicht so werden wie der Feind, den wir bekämpfen.

Es ist notwendig und unvermeidlich, die Freund-Feind-Logik, die Kriegslogik ein Stück weit zu übernehmen in der Situation, wo der Krieg und seine Logik an einen herangetragen und einem aufgezwungen wird. Trotzdem darf man sie sich nicht komplett zu eigen machen. Das ist mit einer zivilen Gesellschaft, wie sie sein sollte, einer tatsächlich friedlichen Gesellschaft, die Pluralität und Konflikte aushält, nicht verträglich.

"Wir dürfen nicht so werden wie der Feind, den wir bekämpfen." Sebastian Winter zum Thema Freund-Feind-Logik
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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Putin vs. Selenskyj: Erleben wir die Rückkehr des männlichen (Anti-)Helden?

Winter: Eine wichtige Frage. Der Krieg zeigt zunächst einmal die Auswirkungen einer Männlichkeit, wie sie Putin repräsentiert, eine sehr narzisstisch-maskuline Männlichkeit voller Verachtung, voller Homophobie für den verweichlichten Gegner. In seiner Kriegserklärung hat Putin geredet von einer Entartung der menschlichen Natur im dekadenten Westen, gegen deren zersetzende Kraft er Krieg führen müsse.

Was sich gerade etabliert, ist eine neue Gegenüberstellung von guten Männern und bösen Männern. Es gibt einerseits die mutigen, auch einfühlsamen, bodenständigen, beschützenden Helden wie Selenskyj versus die verrückten Machos wie Putin. Diese Gegenüberstellung hat auch eine gewisse Realität.

Diese entschlossene Selbstbehauptung und die Willensstärke, die Selenskyj repräsentiert und die landläufig mit Männlichkeit assoziiert sind, verdienen jede Achtung, Dankbarkeit und Unterstützung in diesem Kampf um politische Freiheit. Doch trotzdem trägt eine solche männliche Haltung auch immer den Kern des Potenzials in sich, in Hass und Verachtung, nicht nur auf den Feind, sondern auch auf Feiglinge, Schwächlinge, Uneindeutige, Verräter umzukippen.

Männlichkeit ist nie so in sich ruhend und heroisch, wie sie gerne wäre, sondern immer fragil, weil sie auf der Abwehr und Abhängigkeit von Weiblichkeit beruht. Deshalb ist immer angelegt, zumindest als Potenzial, die Verachtung von Schwäche, von Feigheit etc." Sebastian Winter zum Thema männliche (Anti-)Helden im Krieg

Sanktionspoker - Wie stoppen wir Putin?

Der Krieg in der Ukraine steht auch weiterhin im Mittelpunkt unserer Berichterstattung. In der Münchner Runde, am morgigen Mittwoch um 20:15 Uhr im BR Fernsehen und im Stream auf BR24, debattieren wir mit Gästen wie der Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Pittel und dem Sicherheitsexperten Markus Kaim über die Frage "Sanktionspoker - Wie stoppen wir Putin?"

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