Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, Strafverfahren zu beschleunigen - um die Justiz zu entlasten. So heißt im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD unter anderem: "Wir ermöglichen in besonders umfangreichen Strafverfahren die gebündelte Vertretung der Interessen von Nebenklägern durch das Gericht."
Im Klartext: Bei großen Verfahren mit vielen Geschädigten soll die Zahl der Opferanwälte eingeschränkt werden. Vermutlich wird es darauf hinauslaufen, dass die Gerichte den Nebenklägern Anwälte zuweisen - das wäre aber ein Verstoß gegen das Recht, seinen Anwalt frei zu wählen, kritisiert Rechtsanwalt Sebastian Scharmer:
"Das ist tatsächlich dann eine aufoktroyierte Anwaltswahl. Man stelle sich das vor bei Prozessen mit Sexualstraftaten, man stelle sich das vor bei einem Angeklagten, der vielleicht 20 bis 30 Fälle von Vergewaltigung oder Kindsmissbrauch vorliegen hat. Und dann wird dem Opfer wird zugemutet, einen Anwalt zu nehmen, den ihm ein Gericht zugeordnet hat." Sebastian Scharmer, Rechtsanwalt
NSU-Prozess ein Negativbeispiel
Sebastian Scharmer ist Nebenklage-Vertreter im NSU-Prozess - jenem Mammut-Verfahren, das wegen seiner Länge oft als Negativbeispiel für ausufernde Gerichtsprozesse genommen wird, und damit auch als Rechtfertigung für die geplante Änderungen der Strafprozessordnung (StPO).
Zu Unrecht, findet Scharmer, schließlich sei der NSU-Komplex mit seinen zehn Morden, drei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen eben auch etwas ganz besonders. Und sein Nebenklage-Kollege Alexander Hoffmann ergänzt:
"Es ist natürlich absurd einen Jahrhundertprozess zu nehmen, um daraus Folgen für die alltägliche Arbeit am Gericht, die Veränderung der StPO abzuleiten, das ist wirklich absurd." Alexander Hoffmann, Rechtsanwalt
Mehr Aufklärer als Nebenkläger
Scharmer und Hoffmann gehören zu den aktivsten der über 60 Nebenklage-Vertreter im NSU-Prozess. Gemeinsam mit ihren Kollegen haben sie zahlreiche Beweisanträge gestellt, haben selbst intensiv recherchiert und Zeugen ausführlich befragt. Und sie haben - was für Nebenkläger durchaus außergewöhnlich ist - immer wieder die Anklagebehörde - also die Bundesanwaltschaft harsch kritisiert, ihr unter anderem mangelnden Aufklärungswillen vorgeworfen.
Sie haben ihre Rolle als Opferanwälte also weit ausgelegt - ganz im Sinne ihrer Mandanten. Manchem Kollegen ging das allerdings zu weit - so etwa Bernd Behnke, auch er Nebenklagevertreter im NSU-Prozess:
"Ich kann es mir nicht vorstellen, dass es dem Rechtsstaat dienlich ist, wenn Dutzende von Nebenklagevertreter da sitzen, die als dritte Kraft oder vierte Kraft so einen Prozess beeinflussen können. Dann ist auch die Gefahr des Missbrauchs relativ groß. Und das wird man in Zukunft wahrscheinlich verändern müssen." Bernd Behnke, Rechtsanwald
Neue Erkenntnisse durch die Nebenkläger
Dass die Nebenklage den NSU-Prozess beeinflusst hat, ist unstrittig. Aber nicht im Negativen, findet Anwalt Sebastian Scharmer:
"Wir haben in diesem Prozess eine Reihe von Beweisanträgen gestellt, wo das Gericht dem nachgekommen ist, haben sich neue Erkenntnisse ergeben, die insbesondere der Generalbundesanwalt selbst in seinem Plädoyer für eine Verurteilung zugrunde gelegt hat. Also es waren sinnvolle Anträge, denen auch sinnvoll nachgegangen wurde. Der Punkt ist, dass wir in der Tat seit ungefähr zwei Jahren in diesem Verfahren einen Stillstand haben, das liegt aber nicht an der Nebenklage, sondern an vielen Problemen, die die Verteidigung hervorruft." Sebastian Scharmer, Rechtsanwalt
Tatsächlich war es in den vergangen zwei Jahren vor allem die Verteidigung, die den NSU-Prozess dominiert hat. Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann, selbst auch Strafverteidiger, hält Einschränkungen der Verteidigerrechte jedoch für den falschen Weg - und betont: Dass sich der NSU-Prozess zuletzt so dahinschleppte, daran sei auch der Strafsenat selbst nicht ganz unschuldig:
"Ein Teil des Problems ist, dass das gesamte Oberlandesgericht sich viel Zeit genommen hat, um bestimmte Anträge zum Beispiel Befangenheitsanträge abzuarbeiten - das könnte man sicherlich auch in kürzerer Zeit machen. Das hätte dem Gericht gut zu Gesicht gestanden." Alexander Hoffmann, Rechtsanwalt