Pfarrer Manfred V. in der 1998 ausgestrahlten BR-Doku über dessen Einsatz als Auslandsseelsorger in der Ukraine.
Bildrechte: BR

Pfarrer Manfred V. in der 1998 ausgestrahlten BR-Doku über dessen Einsatz als Auslandsseelsorger in der Ukraine.

  • Artikel mit Audio-Inhalten

"Das System hat versagt": Missbrauch bei Hilfswerk Renovabis

Der Priester Manfred V. war über das Hilfswerk Renovabis im Ausland tätig, trotz Verurteilung wegen Missbrauchs in seinem Heimatbistum Trier. Renovabis wusste es, der BR nicht, der den Auslandspriester damals porträtierte. Wie ist der Fall zu werten?

"Das Elend ist in so großem Maße hier, dass man als Einzelner oder auch als kleine kirchliche Gruppe gar nicht helfen kann", sagt Manfred V. zu Beginn der BR-Reportage "Mit Geld und Liebe". Sie wird am 24. Mai 1998 erstmals in der ARD ausgestrahlt. Bei seinen Worten läuft der ins ukrainische Cherson entsandte Priester über eine Müllhalde.

Er, der mit Hilfe des kirchlichen Hilfswerks Renovabis hier ist, um gegen das Elend etwas zu tun, hat in ganz anderer Weise Elend angerichtet. Wie die "Süddeutsche Zeitung" und BR24 unlängst berichtet hatten, war Manfred V. im Jahr 1994 wegen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen in seinem Heimatbistum Trier zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. In der Ukraine vergeht er sich erneut an Kindern.

Renovabis-Chef wusste von Missbrauch

Von all dem wissen die BR-Verantwortlichen nichts, als die Doku gedreht und später ausgestrahlt wird. Anders Renovabis: Laut den Dokumenten, die dem BR vorliegen, hat der damalige Hauptgeschäftsführer des kirchlichen Osteuropa-Hilfswerks, Pater Eugen Hillengass, gewusst, dass Pfarrer Manfred V. wegen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt worden war.

Nach Darstellung von Renovabis ist Pfarrer Manfred V. Mitte der 1990er Jahre vom Bistum Trier für einen Auslandseinsatz empfohlen worden. Er habe einige Monate ehrenamtlich bei dem Hilfswerk gearbeitet, dann sei er in die Ukraine gewechselt – allerdings nicht als Mitarbeiter von Renovabis, sondern als vom Bistum Trier entsandter Geistlicher. Projekte von ihm seien aber finanziell bezuschusst worden.

Betroffenen-Initiative: "Fahrlässiger Umgang" mit Tätern

Für Matthias Katsch, Mitbegründer der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch", ist das symptomatisch für den Umgang der Kirche mit Missbrauchstätern in der Kirche: "Wir fühlen uns natürlich ein Stück weit bestärkt in der Einschätzung, wie fahrlässig mit Tätern und auch Täterinnen in der Vergangenheit umgegangen worden ist." Statt das Risiko für Minderjährige an erste Stelle zu setzen, stellt Katsch Haltung bei den Hilfswerken fest: "Wir haben da einen schwierigen Täter, den wir irgendwo unterbringen und versorgen müssen."

Manfred V. wurde dem BR sogar von Renovabis für eine Reportage vorgeschlagen – ohne dabei seine Missbrauchsgeschichte zu erwähnen. Davon erfährt die zuständige Redaktion erst durch den Brief eines Zuschauers, der die Ankündigung für die Reportage gesehen hatte, den Pfarrer aus Trier wiedererkannte und die Ausstrahlung des Films verhindern wollte. Das Schreiben war an den Intendanten gerichtet, dessen Büro leitete es weiter.

Brief von Missbrauchsopfern erreicht BR-Redaktion zu spät

In der Redaktion "Kirche und Welt" kam der Brief einen Tag nach Ausstrahlung in der ARD an, der damalige Redaktionsleiter Hubert Schöne schreibt daraufhin an Hillengass mit der Bitte um schriftliche Erklärung, weshalb dieser die Vorstrafe des porträtierten Priesters wider besseren Wissens verschwiegen habe. "Außerdem bitten wir Sie um eine schriftliche Information darüber, ob Renovabis aus den nun bekannten Informationen die entsprechenden Schlüsse zieht und geeignete Schritte einleitet, um zu verhindern, dass Pfarrer V. und die Jugendlichen von Cherson (weiterhin) in gefährliche Situationen geraten, die unter Umständen mit einer weiteren Straftat verbunden sind", heißt es in dem Brief weiter.

Im Antwortbrief versichert Pater Eugen Hillengass, dass die zuständigen Bischöfe in Deutschland und der Ukraine nun informiert worden seien. Pfarrer V. habe ihm zudem schriftlich versichert, dass kein Rückfall eingetreten sei. Der damalige Hauptgeschäftsführer übernimmt die Verantwortung: "Im vorliegenden Fall habe ich einen schwerwiegenden Fehler gemacht und dies von Anfang an zugegeben." Hillengass wolle jedoch, so schreibt er in seinem Brief, vermeiden, "dass dies der Organisation als solcher zur Last gelegt wird"; das erscheine ihm "ungerechtfertigt", weil bei "Tausenden von Projekten" der Hilfsorganisation "trotz aller Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden kann, dass schwere Fehler geschehen".

Katsch: "Kirche fehlt Personalmanagement"

Für Matthias Katsch vom "Eckigen Tisch" zeigt der Fall, dass die kirchlichen Kontrollmechanismen weiter ausbaufähig sind. "Kirche hat offensichtlich kein Personalmanagement für ihr geistliches Personal, was verhindern könnte, dass jemand, der an einer Stelle bereits straffällig geworden ist, unbeobachtet an einer anderen Stelle zum Einsatz kommen könnte."

Der BR sagte damals die geplante, zweite Ausstrahlung der Reportage ab. Öffentlich gemacht wird der Fall nicht. Es gibt keine weitere Berichterstattung zum Thema. Für Matthias Katsch weist das auf ein gesamtgesellschaftliches Problem hin.

"Wir haben einen hohen Respekt vor der Kirche und vor ihren sozialen Werken. Und ich befürchte, das führt dazu, dass man davor zurückschreckt, solche verbrecherischen Zusammenhänge wirklich auch zu skandalisieren." Matthias Katsch, "Eckiger Tisch"

"In voller Kenntnis" hätte es den Film "nie geben dürfen"

Nach Bekanntwerden der Straftaten von Pfarrer Manfred V. befragt "Kirche und Welt"-Redaktionsleiter Hubert Schöne die beiden Autorinnen des Films nach deren Eindrücken. Während des Drehs hätten beide keinen Verdacht geschöpft; man habe V. für einen liberalen, engagierten Pfarrer gehalten.

Schöne ist inzwischen verstorben, nach der Veröffentlichung über die Reportage schrieb er: "In voller Kenntnis der Zusammenhänge hätte es diesen Film nie gegeben und vor allem nie geben dürfen." Nach Informationen des Hilfswerks wurde Pfarrer Manfred V. Ende Oktober 1998 vom Bistum Trier aus der Ukraine abgezogen – fünf Monate, nachdem die Reportage über ihn in der ARD gesendet wurde.

Nach der aktuellen Berichterstattung der "Süddeutschen Zeitung" hatte V. um Entlassung aus dem Klerikerstand gebeten. Diesem Wunsch hat Papst Franziskus inzwischen entsprochen: Seit 22. April dieses Jahres ist der Täter kein Priester mehr.

Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.