Eigentlich wohnt Gaia Celeste in einer schönen Wohnung im römischen Stadtteil San Lorenzo. Aber vor ein paar Wochen hat die 31-Jährige ihre Koffer gepackt, ist ins Auto gestiegen und zurück zu ihren Eltern gezogen, in ihr altes Kinderzimmer. Wegen der Pandemie und wegen der strikten Ausgangsbeschränkungen: Ihre Eltern sind beide Corona-Risikopatienten, beide chronisch krank. Ihre Mutter kann sich nicht mehr alleine versorgen.
"Normalerweise haben wir Hilfe, also Pfleger, die nach Hause kommen und eine Tagesklinik, in die wir meine Mutter bringen", erzählt Gaia. Aber seit sich die Situation so verschärft habe, sei das nicht mehr möglich. "Um meinen Vater zu unterstützen, der die Hauptlast der Pflege übernimmt, bin ich zu ihnen gezogen, um ihnen zu helfen. "
Kaum Privatsphäre, kaum Momente für sich selbst
Beim Einkaufen unterstützt sie ihre Schwester, für den Rest ist jetzt Gaia zuständig. Momentan arbeitet sie im Homeoffice, vor und nach der Arbeit und in der Mittagspause kümmert sie sich um ihre Eltern. Privatsphäre hat sie kaum. Und auch wenig Zeit, über all das nachzudenken, was gerade passiert. Wenn sie dann aber doch mal einen Moment für sich hat, spürt sie die psychische Belastung deutlich. Sie ist normalerweise eine fleißige Leserin, aber in diesen Zeiten fällt ihr das Lesen schwer. Wenn sie ein Buch aufschlägt, beginnt ihr Kopf zu arbeiten. Sie sagt: "Lesen ist mein Thermometer geworden. Ich merke, wie hoch mein Stresslevel ist, wenn ich ein Buch öffne und es nicht schaffe, zu lesen."
Gaia versucht sich abzulenken – zum Beispiel mit Meditationstechniken. Schon vor der Pandemie war sie immer wieder bei einer Psychologin, um Unterstützung zu bekommen, für das Leben mit ihren schwerkranken Eltern. Die Psychologin hat die Sitzungen jetzt ins Internet verlegt, sagt Gaia. Und: Es geht jetzt auch um die besonderen Belastungen durch das Virus und die strikten Ausgangsbeschränkungen. Die Skype-Sitzungen helfen ihr, vor allem um die Angst- und Stresssymptome, die Beklemmung und die Beunruhigung zu kontrollieren.
Psychische Probleme wegen der Pandemie häufen sich
So wie Gaia geht es vielen Italienern. Maddalena Castelletti ist Psychologin. Sie betreut eine Art Erste-Hilfe-Hotline für Menschen, die wegen der Pandemie psychische Probleme haben. Sie sagt, das häufigste Symptom sei Angst, oft kommen Panikattacken und affektive Störungen dazu, also zum Beispiel Stimmungsschwankungen oder Depressionen. Betroffen seien nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder. Schwierig ist, dass die Italiener momentan nur in Ausnahmefällen aus dem Haus dürfen.
"Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt bei dieser Pandemie eine Stunde Bewegung im Freien für Kinder und dreißig Minuten für Erwachsene. Natürlich widerspricht diese Empfehlung den Ausgangsbeschränkungen, die richtig und verständlich sind." Maddalena Castelletti, Psychologin
Wer Hilfe braucht, kann sie bekommen
Nach der Pandemie werde es Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen geben, befürchtet Maddalena Castelletti. Sie sagt aber auch: Menschen können einige Zeit isoliert überleben und trotzdem bei psychischer Gesundheit bleiben. Wer Hilfe braucht, könne die bekommen – mehr als 4000 Psychologen in Italien bieten momentan gratis ihre Unterstützung an. Ein Problem gebe es aber: Genau die Leute, denen es am schlechtesten geht, haben erfahrungsgemäß die größten Schwierigkeiten, nach Hilfe zu fragen.
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