Ein Baby klammert sich an den Finger seiner Mutter.
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Die Impfung für Stillende ist derzeit in Deutschland nicht generell empfohlen. Fachgesellschaften und Berufsverbände fordern aber die Freigabe.

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#Faktenfuchs: Können stillende Frauen sich impfen lassen?

Immer mehr Menschen in Deutschland sind geimpft. Für manche Gruppen ist die Impfung aber nur eingeschränkt empfohlen: zum Beispiel für stillende Mütter. Sind sie selbst gefährdet oder hat die Impfung Auswirkungen auf die Säuglinge? Ein #Faktenfuchs.

"Schwangere und stillende Frauen können (...) nicht geimpft werden." Das steht auf einer offiziellen Einladung, die ein Impfzentrum in Niedersachsen verschickt hat. Jasmin Wintjen lebt in der Nähe von Hannover und stillt ihren vier Monate alten Sohn. Die offizielle Einladung, aus der die 32-Jährige zitiert und die sie auf Twitter gepostet hat, war an ihre Mutter gerichtet.

Sie findet es nicht in Ordnung, dass sie selbst von der Impfung ausgeschlossen wird, sagt sie im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: "Wenn ich dann lese, ich darf mich nicht impfen lasse, dann ärgert mich das natürlich."

Lügen für eine Corona-Impfung?

Nicht nur Wintjen macht sich Gedanken. In den sozialen Netzwerken wird das Thema "Corona-Impfung während der Stillzeit" diskutiert.

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Im Internet berichten Frauen davon, dass sie ihre Stillzeit vor der Impfung verschwiegen hätten.

Das Beispiel aus Niedersachsen ist kein Einzelfall. Auf Twitter berichtet eine Frau, in Baden-Württemberg würden Stillende auch nicht geimpft. Eine andere Mutter aus Bayern schreibt: Drei Ärzte hätten ihr von einer Impfung während der Stillzeit abgeraten, sie werde abstillen.

Dürfen Stillende geimpft werden?

In den bayerischen Impfzentren ist eine "Impfung nur dann möglich (...), wenn eine Empfehlung zur Impfung vom Haus- oder Facharzt vorliegt", schreibt das bayerische Gesundheitsministerium auf Anfrage des #Faktenfuchs. Diese Empfehlung "muss dann zum Impftermin mitgebracht werden". Bei der Registrierung für die Impf-Zentren in Bayern kann man derzeit angeben, dass diese Empfehlung vorliegt.

Andere Frauen fragen deswegen auf Twitter: "Soll ich einfach lügen, um zu einer Impfung zu kommen?" Auch Jasmin Wintjen sagt: "Wenn ich mich auf die Warteliste setzen kann für das Landes-Impfzentrum, dann wäre es tatsächlich so, dass ich nicht sagen würde, dass ich stille, weil ich dann die Sorge hätte, dass ich nicht geimpft werde."

StiKo empfiehlt stillenden Frauen nicht generell eine Impfung

Dass Frauen in der Stillzeit nicht uneingeschränkt geimpft werden, hat einen einfachen Grund: Die Ständige Impfkommission (StiKo) empfiehlt das derzeit nicht. Und Impfzentren und Ärzte richten sich in der Regel nach den Empfehlungen der StiKo.

"Bei der Entscheidung über eine Impfung beachten Mediziner natürlich diese Empfehlungen", sagt Professorin Regina Ensenauer, Kinder- und Jugendmedizinerin und Vorsitzende der Nationalen Stillkommission (NSK) in Deutschland, im Gespräch mit dem #Faktenfuchs.

Die StiKo zögert, weil ihrer Ansicht nach zu wenige Studien vorliegen. Die Münchner Frauenärztin Marianne Röbl-Mathieu, die auch Mitglied der StiKo ist, sagt in einem Youtube-Video der StiKo: "Zur Anwendung der Impfung in der Stillzeit liegen keine ausreichenden Daten vor. Und deshalb wird die Impfung für Stillende nicht generell empfohlen." Auch für Schwangere empfiehlt die StiKo eine generelle Impfung nicht, die Datenlage sei hier ebenfalls nicht ausreichend.

Zugleich betont Röbl-Mathieu: "Die StiKo hält es aber für unwahrscheinlich, dass von der Impfung der stillenden Frau ein Risiko für den gestillten Säugling ausgeht. Dafür gibt es auch keine biologisch plausiblen Mechanismen." Auch bei schwangeren Geimpften gebe es derzeit keine Hinweise auf schädliche Auswirkungen.

Stillende wurden aus den Zulassungs-Studien ausgeschlossen

In der Praxis führt das zu dem Durcheinander, das stillende Frauen beschreiben. In manchen Fällen erhalten sie eine Impfung, in anderen nicht. Die Vorsitzende der Nationalen Stillkommission, Ensenauer, sagt: Ärztinnen und Ärzte würden diese Empfehlungen unterschiedlich auslegen. Der eine beachte mehr die fehlenden Daten, der andere mehr den möglichen Nutzen der Impfung.

Die Datengrundlage über Stillende ist deswegen schlechter, weil sie in den klinischen Studien zur Zulassung der Corona-Impfstoffe ausgeschlossen waren. Regina Ensenauer sagt: “Menschen in sensiblen Lebensphasen wie Schwangere oder Stillende sind nicht generell Teil jeder Studie. Dieses Prozedere würde auch bei anderen Medikamenten-Studien so ablaufen und hat nichts mit dem Impfstoff zu tun.” Ensenauer erwartet, dass in einem halben bis einem Jahr mehr Berichte zur Impfung bei stillenden Frauen vorliegen.

Fachgesellschaften fordern schon jetzt Impfung für Stillende

Die deutschen Fachgesellschaften und Berufsverbände für Frauen- und Geburtsmedizin wollen nicht so lange warten. Sie fordern bereits jetzt eine Freigabe der Impfung für stillende Frauen. Elf Organisationen teilten am 03. Mai mit: "Die Covid-19-Impfung von Stillenden mit mRNA-basierten Impfstoffen weist eine gleichwertige Antikörperbildung und ein ähnlich geringes Nebenwirkungsprofil wie in der Schwangerschaft und bei nicht-schwangeren Frauen auf. Es wird empfohlen, stillenden Frauen eine mRNA-basierte Impfung (Anm. d. Red: Biontech/Pfizer und Moderna) gegen COVID-19 anzubieten und zu ermöglichen."

Auch Professor Christoph Scholz, Chefarzt der Frauenkliniken Neuperlach und Harlaching der städtischen München-Klinik, ist der Meinung, dass die StiKo die Impfung für Stillende empfehlen sollte: "Es gibt natürlich nicht so viele Daten, weil eben prinzipiell immer in den Studien die Schwangerschafts- und die Stillzeit primär rausgenommen wird. Es gibt aber eben inzwischen auch Daten, Sekundäranalysen, die die Sicherheit durchaus nachweisen - auf einem für dieses Kollektiv sehr gutem Niveau."

Erste Studien zeigen keinen Unterschied zwischen Stillenden und Nicht-Stillenden

Scholz bezieht sich zum Beispiel auf eine israelische Studie, die im April im "Journal of the American Medical Association" erschienen ist. Dabei wurden 84 stillende Frauen untersucht. Diese wurden alle mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff vollständig geimpft. Bei keiner der Frauen oder der Säuglinge traten ernste gesundheitliche Störungen auf.

Bei den Müttern waren teilweise impftypische Symptome wie lokaler Schmerz, Müdigkeit oder Fieber zu beobachten. Vier von 84 Säuglingen entwickelten Fieber-Symptome während des Beobachtungszeitraums. Drei dieser Säuglinge wurden ohne Behandlung wieder gesund, in einem Fall musste mit Antibiotika behandelt werden. Es ist aber schlicht nicht klar, ob dieses Fieber der Säuglinge in einem Zusammenhang mit der Impfung steht.

Eine andere Studie kommt aus den USA und wurde im März im "American Journal of Obstretics Gynecology" veröffentlicht. Dabei wurden insgesamt 131 Frauen mit Berufen im medizinischen Bereich untersucht, die mit Biontech/Pfizer- oder Moderna-Impfstoff geimpft worden waren. 84 Frauen waren schwanger, 31 stillten ihr Kind und 16 waren nicht schwanger. Das Ergebnis: Die Menge an Covid-19-spezifischen Antikörpern, die nach der Impfung auftraten, war in allen drei Gruppen gleich.

Diese Studie wurde von mehreren Gesundheits-Instituten und auch der Bill & Melinda-Gates-Stiftung finanziell unterstützt. Sie gehört zu den größten privaten Stiftungen der Welt, hat auch in den Impfstoff-Entwickler Biontech investiert und unterstützt regelmäßig medizinische Studien, auch zum Corona-Virus.

Für den Chefarzt Christoph Scholz gibt es im Moment keine Hinweise darauf, dass eine stillende Frau anders auf Impfung reagiert als eine nicht-stillende Frau: "Und damit macht es eben keinen Sinn, den Zeitraum einfach prinzipiell auszunehmen. Das ist einfach nicht begründet und damit ist es eine Schlechterstellung von Stillenden und von Frauen letztendlich." Im regulär laufenden deutschen Monitoring für Impf-Nebenwirkungen gebe es auch keine gehäuften Berichte über besondere Nebenwirkungen für Stillende, sagt Scholz.

Alle gängigen Impfungen in Deutschland gegen andere Krankheiten als Covid-19, mit der einzigen Ausnahme Gelbfieber, empfiehlt die StiKo übrigens uneingeschränkt für Stillende. Für diese Impfungen gibt es natürlich jahrzehntelange Erfahrungen.

Covid-19-Antikörper in der Muttermilch nachgewiesen

Bei anderen Krankheiten gibt es aber erwiesenermaßen einen sogenannten "Nestschutz", wenn eine immunisierte Mutter ihr Baby stillt. Die Mutter schützt ihr Kind durch das Stillen vor einer Erkrankung. Dieser Nestschutz hält unterschiedlich lange, bei Masern zum Beispiel höchstens sechs Monate.

Diese Hypothese gibt es auch für Covid-19: Antikörper in der Muttermilch schützen die Neugeborenen vor der Krankheit. Regina Ensenauer von der Nationalen Stillkommission sagt dem #Faktenfuchs: "Die Annahme ist, dass der Säugling dadurch passiv immunisiert wird."

In der erwähnten israelischen Studie wurde nämlich regelmäßig die Muttermilch der geimpften Frauen untersucht. In der Milch fanden sich Covid-19-spezifische IgA- und IgG-Antikörper. Das sind dieselben Antikörper, die sich nach der Impfung im Blut der Mutter aufbauen. Regina Ensenauer sagt dazu: "Diese Antikörper könnten möglicherweise einen Nutzen für das Kind bedeuten."

In den USA teilen deswegen bereits geimpfte Frauen in Eigeninitiative ihre Muttermilch mit anderen Säuglingen oder geben sie älteren Kindern - als Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung. Es gibt sogar Berichte über einen regelrechten Markt für Muttermilch von Geimpften.

Für Nestschutz-Nachweis fehlen noch genügend Daten

Diese Hypothese müsse sich für Covid-19 aber erst noch erhärten, sagt Ensenauer: "Den Effekt dieser Übertragung von Antikörpern können wir noch nicht ausreichend beurteilen." Denn um die Auswirkungen eines solchen Nestschutzes wissenschaftlich nachzuweisen, braucht es weitere Daten zu den Verläufen bei Säuglingen.

Die passive Immunisierung für Säuglinge ist ein komplexes Feld, in dem es viele Abstufungen gibt. Es gibt auch Fälle, in denen Säuglinge geimpfter Mütter an Covid-19 erkrankten. Dabei könnten die Anzahl aufgenommener Antikörper durch die Muttermilch oder die Menge der aufgenommenen Coronaviren einen Einfluss auf die Erkrankung haben.

Fazit

Da die Ständige Impfkommission noch keine eindeutige Empfehlung abgegeben hat, herrscht in der Praxis Unsicherheit, ob stillende Mütter sich impfen lassen können. In den bayerischen Impfzentren benötigen sie dafür eine Bescheinigung eines Arztes.

In ersten kleineren Studien wurden aber keine Unterschiede zwischen Stillenden und nicht-Stillenden nach einer Impfung festgestellt - und auch bei den Säuglingen gab es wenige Auffälligkeiten. Diese Studien umfassen aber nur wenige Frauen. Die Daten-Grundlage ist deswegen weiterhin noch gering und nicht vollständig aussagekräftig. Die deutschen Fachgesellschaften für Frauen- und Geburtsmedizin sind aber derzeit der Meinung, dass stillende Frauen geimpft werden sollten. Es gebe keine Hinweise auf Sicherheitsrisiken.

Möglicherweise schützen geimpfte Frauen, die stillen, mit ihrer Muttermilch ihre Kinder vor einer Covid-19-Erkrankung. Darauf deuten Antikörper gegen Covid-19 in der Muttermilch hin. Für diesen "Nestschutz" fehlen aber noch ausreichende Beweise.

08.05.2021, 18.35 Uhr: Im Fazit des Textes wurde der Absatz zur Aussagekraft der erwähnten Studien überarbeitet und auf die geringe Anzahl an Probandinnen sowie die generelle Daten-Grundlage hingewiesen. Im Text-Abschnitt zu den beiden Studien wurde ein Satz mit dem Hinweis auf das deutsche Impf-Monitoring ergänzt. Der Absatz zur US-amerikanischen Studie wurde mit dem Hinweis auf die Unterstützung der Studie durch die Bill & Melinda-Gates-Stiftung ergänzt.

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