Impfstoff von Biontech wird auf eine Spritze aufgezogen
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Corona-Impfung: Desinformation durch Ärzte und Apotheker

Einige Ärzte, Apotheker und Psychotherapeuten wollen sich nicht an der Unterstützungsaktion für eine Corona-Impfung beteiligen. Das begründen sie in einem offenen Brief an Apotheker- und Ärztekammern mit vielen Falschbehauptungen. Ein #Faktenfuchs

In einem offenen Brief an die Bundesärzte- und die Bundesapothekerkammer haben sich Ärzte, Apotheker und Psychotherapeuten gegen eine Unterstützung der Impfaktion gegen SARS-CoV-2 ausgesprochen. Der Brief enthält viele Falschbehauptungen. In dem offenen Schreiben äußern sie Bedenken, sich dem Aufruf der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Ärzte – und Apothekerkammern anzuschließen, die Impfaktion gegen SARS-CoV-2 zu unterstützen.

Dieser Brief, der gefährliche Nebenwirkungen der Impfung suggeriert, zirkuliert aktuell vor allem in alternativen Medien und wird über soziale Netzwerke weiterverbreitet. Auf die Inhalte einiger Behauptungen ging bereits dieser #Faktenfuchs zu Fehlinformationen rund um die Corona-Impfstoffe ein.

Neuropsychiatrische Erkrankungen durch Impfung?

Der offene Brief stellt die Behauptung auf, dass eine Impfung gegen SARS-CoV-2 einen Einfluss auf die Ausbildung neuropsychiatrischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Schizophrenie haben könnte. Auf Nachfrage beim Bundesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft antwortet Professor Ralf Gold, Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der DMSG, dem#Faktenfuchs schriftlich: "In mehr als 20 Jahren MS-Forschung und Therapie habe ich oft erlebt wie – vergeblich – nach Auslösern der MS durch Viren oder Impfungen gesucht wurde. Die ‚genetische Impfung‘ setzt im Körper ein nicht vermehrungsfähiges Eiweiß frei, dessen Verbindung zur MS bisher in keiner Weise gezeigt wurde."

Zu der Behauptung, nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 könnte sich eine Schizophrenie entwickeln, schreibt Dr. Sabine Köhler, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte, dem #Faktenfuchs, dass es keine Daten zu einer Häufung von Depressionen oder schizophrenen Erkrankungen durch die Impfung gibt. "Psychische Erkrankungen sind Erkrankungen des Gehirns. Der mRNA-Wirkstoff, der zu einer Ausbildung von Antikörpern gegen das Virus führt, erreicht das Gehirn gar nicht." Dafür müsste die Blut-Hirn-Schranke überwunden werden, was aber aufgrund der Größe der Moleküle nicht möglich sei.

Irreführende Verbindung zu Nebenwirkung von Schweinegrippe-Impfung

Darüber hinaus weisen die Verfasser des offenen Briefs auf unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln hin und führen als Beispiel die Nebenwirkungen der Pandemrix-Impfung gegen H1N1-Viren aus dem Jahr 2009 hin, der Impfung gegen die sogenannte "Schweinegrippe". Die Nebenwirkung, das Auftreten von Narkolepsie, sei letztlich weitaus schlimmer gewesen, als der Nutzen der Impfung, so das Schreiben.

Dadurch wird suggeriert, dass der mögliche Schaden einer Impfung gegen SARS-CoV-2 größer als ihr Nutzen sei. Das ist irreführend. Bereits im Dezember ging der #Faktenfuchs der Frage nach, ob eine Impfung gegen SARS-CoV-2 ähnlich schwere Nebenwirkungen wie die bei der Schweinegrippe-Impfung hervorrufen könnte.

Das Ergebnis: Schon bei der Schweinegrippe kamen schwere Nebenwirkungen nur äußerst selten vor. In diesem Zusammenhang wird immer wieder von Adjuvantien gesprochen, Impfstoff-Verstärkern, die die Immunreaktion des Körpers verstärken. Bei der Impfung gegen die Schweinegrippe ist ein solcher Wirkverstärker eingesetzt worden. Ob die Nebenwirkungen der Pandemrix-Impfung tatsächlich auf das eingesetzte Adjuvans zurückzuführen sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Bei vielen SARS-CoV-2 Impfstoffen werden hingegen gar keine Adjuvantien verwendet. Die bisher in Deutschland zugelassenen Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca enthalten laut einer von der WHO geführten Liste zu allen Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 keine Adjuvantien.

Doch auch wenn sie zum Einsatz kommen, dürfte die Gefahr inzwischen gering sein: Sie sind mittlerweile seit Jahren im Einsatz und dementsprechend gut erforscht, so der #Faktenfuchs aus dem Dezember 2020.

Welche Risiken gehen von genetischen Impfstoffen aus?

Neben dem vermeintlichen Zusammenhang zu Nebenwirkungen des Schweinegrippe-Impfstoffs führen die Verfasser noch weitere Argumente auf, die gegen eine Sars-CoV-2 Impfung sprechen sollen. So wird vor der Anwendung von genetischen Impfstoffen gewarnt, da diese bisher noch nicht zur Anwendung beim Menschen zugelassen wurden.

Die bisher in Deutschland zugelassenen genbasierten Impfstoffe bestehen aus einer Messenger-RNA. Dieser #Faktenfuchs hat gezeigt, dass Experten eine DNA-Veränderung durch mRNA-Impfstoffe für so gut wie unmöglich halten. Die mRNA befindet sich außerhalb des Zellkerns, sie hat andere Bausteine als die DNA und kann daher nicht ohne weiteres von dieser integriert werden. Um in den Zellkern zu gelangen, bräuchte die mRNA spezielle Enzyme, die aber im Impfstoff nicht enthalten sind. Laut Paul Ehrlich Institut gibt es keinen Hinweis darauf, dass die von den Körperzellen nach der Impfung aufgenommene mRNA in DNA umgeschrieben wird.

Für DNA-Impfstoffe gibt es laut Paul Ehrlich Institut bis heute in Deutschland und weltweit noch keine Zulassung. Laut WHO-Liste zu Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 befinden sich aber aktuell zehn Hersteller in der Entwicklung eines DNA-basierten Impfstoffes in unterschiedlichen klinischen Phasen.

Mögliche allergische Reaktionen?

Und noch einer Behauptung aus dem offenen Brief ging der #Faktenfuchs bereits im Dezember nach: Der Inhaltsstoff Polyethylenglycol (PEG) erhöhe das Risiko einer schweren allergischen Reaktion. Polyenthylenglycol ist eine Verbindung von Makromolekülen, die in den mRNA-Impfstoffen enthalten ist. PEG kann allergische Reaktionen auslösen, die gesundheitliche Verträglichkeit des Stoffes wird bis heute kontrovers diskutiert. Allerdings ist in den mRNA-Impfstoffen viel weniger PEG enthalten als in vielen anderen Dingen, die viele Menschen täglich konsumieren. So ist PEG zum Beispiel in Salben und Kosmetika zu finden.

Die Verfasser des offenes Briefes behaupten außerdem, bei der Impfung gäbe es noch weitere Risiken, wie das "Antibody Dependant Enhancement" (ADE). Im #Faktenfuchs aus dem Dezember wurde schon auf dieses mögliche Risiko eingegangen.

In seltenen Fällen kann es bei Impfstoffen nach der ersten Impfung zur Bildung sogenannter "infektionsverstärkender Antikörper" ("antibody dependent enhancement") kommen. Diese können die Krankheit verschlimmern, wenn der Körper das zweite Mal mit dem Virus in Kontakt kommt, entweder durch eine zweite nötige Dosis oder durch eine Infektion. In den groß angelegten Phase-III-Studien zur Zulassung für die SARS-CoV-2-Impfstoffe, an denen jeweils mehr als 30.000 Freiwillige Probanden teilgenommen haben, ist dieser Effekt bisher nicht aufgetreten.

Neben den bisher genannten Behauptungen zu Risiken beschreibt der offene Brief auch die Möglichkeit, dass eine Impfung gegen SARS-Cov-2 Unfruchtbarkeit bei Frauen auslösen könnte. In diesem #Faktenfuchs aus dem Dezember 2020 haben Experten diese Behauptung bereits zurückgewiesen.

Kritik an fehlenden Langzeitstudien

Außerdem wird in dem offenen Brief an mehreren Stellen kritisiert, dass Langzeitstudien fehlen würden. Klinische Studien würden unter normalen Umständen Jahre dauern, die verkürzten Entwicklungszeiträume würden erhebliche Risiken implizieren.

Als wissenschaftliche Grundlage für dieses Risiko werden Aussagen des Immunologen und Toxikologen Stefan Hockertz angeführt, der die politischen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in der Vergangenheit als unverhältnismäßig und autoritär bezeichnet hatte. Der #Faktenfuchs hat seine Aussagen im März 2020 eingeordnet.

Zur Frage, warum ein SARS-CoV-2-Impfstoff so schnell zugelassen und zugleich sicher sein kann, hat das Paul Ehrlich Institut, das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, ein FAQ erstellt. Durch die Kombination von klinischen Prüfungsphasen und dem Rolling Review, also dem frühzeitigen Einreichen von einzelnen Datenpaketen für die Zulassung, sei viel Zeit gespart worden. Das bestätigt auch Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller. Normalerweise sei es so, dass man eine Studie plant, sie genehmigen lässt, durchführt und dann auswertet. Danach plane man die nächste Studie und der Kreislauf beginne von vorne. Dazwischen liege oft viel Zeit. Bei den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 habe man das komprimiert und Phasen kombiniert, so Hömke. "So hat man viel Zeit eingespart, die normalerweise zwischen Studien liegen."

Die Dringlichkeit, die Pandemie einzudämmen, habe alle an der Impfstoffentwicklung beteiligten Expertinnen und Experten bewogen, die Zusammenarbeit enger und die Prozesse effizienter zu gestalten, ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen, schreibt das Paul Ehrlich Institut auf seiner Website. Außerdem hätten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Forschungsarbeiten zu anderen Corona-Viren und entsprechenden Impfstoffentwicklungen zurückgreifen können. Darunter fallen, so das Paul Ehrlich Institut, z.B. das SARS-Virus von 2003 oder die MERS-Viren 2012.

Gefahr von Desinformation von vermeintlichen Experten

Desinformationen, wie die Behauptungen im öffentlichen Brief der Ärzte und Apotheker, sind ein beliebtes Mittel der Stimmungsmache gegen SARS-CoV-2-Impfungen, vor allem wenn sie von Ärzten und Apothekern, also vermeintlichen Experten, selbst kommen. Eine BR24-Leserin schrieb dem #Faktenfuchs, dass ihr Kinderarzt etliche Eltern in einer Whatsapp-Nachricht vor der Corona-Impfung gewarnt habe.

In der Nachricht wurde behauptet, es habe Nebenwirkungen am Uniklinikum Mannheim gegeben, nachdem das Personal gegen SARS-CoV-2 geimpft wurde. Von 30 Personen, die ihre Zweitimpfung erhielten, sollen alle 30 heftige Nebenwirkungen gespürt haben - und alle 30 Personen sollen danach krankgeschrieben worden sein.

Bei dieser Nachricht handelt es sich um eine Falschinformation. Das Uniklinikum Mannheim schreibt in einer Pressemitteilung: "Die Impfungen am Universitätsklinikum Mannheim wurden bisher gut vertragen. Nach der zweiten Impfdosis ist eine stärkere Reaktion des Immunsystems auf die Impfung normal, dabei kann kurzzeitig Fieber auftreten." Unerwartete Nebenwirkungen seien bisher keine aufgetreten, die Zahl der Krankgeschriebenen (ob geimpft oder nicht) sei auf einem normalen Niveau.

Der offene Brief der Ärzte und Apotheker ist der Bundesärztekammer bekannt, wie sie dem #Faktenfuchs schriftlich mitteilt. Die Organisation stellt sich aber klar hinter die aktuelle Impfkampagne gegen das Corona-Virus. Die bisher in Deutschland zugelassenen Impfstoffe seien wirksam und unbedenklich und würden schwere Krankheitsverläufe und Krankenhausaufenthalte vermeiden. "Es sollte das Bemühen von Politik, Ärzteschaft und Medien gleichermaßen sein, die Bevölkerung durch sachliche Information über die Nützlichkeit von Impfungen aufzuklären." Das sei laut Ärztekammer das beste Mittel gegen tendenziöse Meinungsäußerungen.

Für die Apothekerkammer sind solche offenen Briefe nicht auf Dialog ausgelegt. Es stünde jedem Apotheker frei, seine Meinung zu äußern – auch zu wissenschaftlichen Themen: "Die Apothekerkammer unterstützt das Konzept der Bundesregierung für die Corona-Impfung und das Ziel, eine möglichst hohe Impfquote unter Nutzung aller zugelassenen Impfstoffe zu erreichen."

Fazit:

Ein offener Brief von Ärzten, Apothekern und Psychotherapeuten an die Ärzte – und Apothekerkammer enthält Desinformation zu mögliche Risiken einer Impfung gegen SARS-CoV-2. Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine Impfung schwerwiegende Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Schizophrenie auslösen könnte. Genauso wenig gibt es Hinweise darauf, dass die Impfung Frauen unfruchtbar macht oder die menschliche DNA verändert. Fehlende Langzeitstudien sind kein Sicherheitsrisiko, da im Fall der Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 durch die Kombination von klinische Studien und dem “Rolling Review” Zeit gespart wurde, die normalerweise zwischen klinischen Studien liegt.

Sowohl die Ärzte – als auch die Apothekerkammer sprechen sich für die Impfung aus, da deren Unbedenklichkeit in klinischen Studien nachgewiesen wurde und sie helfen, vor schweren Krankheitsverläufen zu schützen.

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