Jesiden waren heute im Bundestag vertreten und verfolgten die Debatte.
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Jesiden waren heute im Bundestag vertreten und verfolgten die Debatte.

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Bundestag erkennt IS-Verfolgung von Jesiden als Völkermord an

Der Bundestag hat die Gräueltaten der Terrormiliz IS an den Jesiden als Völkermord eingestuft. Das Parlament beschloss dazu einstimmig einen Antrag der Fraktionen von SPD, Union, Grünen und FDP. Nun soll die Anerkennung mit Leben gefüllt werden.

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Die sogenannte Islamische Staat (IS) hat Jesiden im Nordirak gezielt vertreiben, versklavt und ermordet. Systematisch wurden seit Sommer 2014 Frauen und Kinder vergewaltigt. Fakten, die nun der Bundestag ganz offiziell anerkennt - auch im Namen tausender Opfer.

Schon länger werden Verbrechen an den Jesiden in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Erst am Mittwoch hatte der Bundesgerichtshof eine lebenslange Freiheitsstrafe bestätigt, verhängt im November 2021 vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Das OLG habe dem heute 30-jährigen Taha A.-J. zu Recht vorgeworfen, dass er die religiöse Gruppe der Jesiden zerstören wollte und ein als Sklavin gehaltenes fünfjähriges Mädchen so misshandelte, dass es starb, entschieden die Karlsruher Richter. Die damalige Ehefrau des Täters, die Deutsche Jennifer W., war vom Oberlandesgericht München im Oktober 2021 zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Baerbock: Können Völkermord nicht rückgängig machen

Am Donnerstag forderte das Parlament die Bundesregierung einstimmig mit den Stimmen aller Fraktionen dazu auf, die historische und juristische Aufarbeitung der Verbrechen voranzubringen.

"Es muss zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Deutschlands werden, die Aufmerksamkeit für und das Erinnern an den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden im öffentlichen Bewusstsein zu schaffen", heißt es in dem Beschluss. Die Aufarbeitung müsse weiter unterstützt werden.

"In Deutschland lebt die größte jesidische Diaspora weltweit", stellt der Bundestag fest. "Wichtig ist ihr Leben in Selbstbestimmung." Die Diaspora sei Teil der deutschen Gesellschaft. Der Bundestag werde sich mit Nachdruck für den Schutz jesidischen Lebens in Deutschland einsetzen.

Die Entscheidung des Bundestages sei auch die Annahme des Auftrags, nach denen zu suchen, die weiterhin vermisst und verschleppt sind, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Beobachter gehen von etwa 3.000 Jesiden aus, die weiterhin in der Gewalt der IS-Kämpfer oder vermisst sind. "Wir können den Völkermord nicht rückgängig machen, aber wir können dafür sorgen, dass die Opfer Gerechtigkeit erhalten, damit der Völkermord nicht vererbt wird", sagte Baerbock.

Union fordert internationale Strafverfolgung

Mit der Entscheidung des Bundestages werde "ein neues Kapitel in der Auseinandersetzung und Verarbeitung dieses Horrors" eingeleitet, sagte der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Brand (CDU). Er forderte eine internationale Strafverfolgung: "Es darf für diese barbarischen Verbrecher keinen Winkel der Erde geben, an dem sie vor ihrer Strafe sicher sind", so Brand.

Die Anerkennung der Verbrechen als Völkermord sei überfällig, sagte Sevim Dagdelen (Linke). Der Bundestag stimme fraktionsübergreifend dem Antrag der Ampelfraktionen und der Union zu, denn "das Thema ist größer als wir alle zusammen", so Dagdelen.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz sind seit 2012 auch mehr als 1.050 Deutsche nach Syrien gereist, um sich dem IS und anderen dschihadistischen Gruppen anzuschließen. "Auch daraus leitet sich eine Verantwortung Deutschlands ab", heißt es in dem Antrag. Die Befassung des Parlaments geht auf eine Petition zurück. Im Petitionsausschuss sprach im Februar 2022 der jesidische Petent Gohdar Alkaidy über das Anliegen, die IS-Verbrechen als Völkermord anzuerkennen.

Oberhaupt der Jesiden im Bundestag

Redner aller Fraktionen sprachen sich dafür aus, Jesiden auch weiterhin in Deutschland Asyl-Schutz zu gewähren. Zugleich sollten die Rückkehr Geflüchteter in ihre Heimat ermöglicht und Familien zusammengeführt werden. Bildungs- und Forschungsangebote zu fördern und ein Archiv- und Dokumentationszentrum einzurichten, sind demnach weitere Anliegen, um neben dem Gedenken auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in Geschichte, Theologie und Kultur zu stärken.

An der Debatte im Bundestag nahm als Gast auch das weltliche Oberhaupt der Jesiden, Hazim Tahsin Saied Beg, teil, der sich derzeit mit einer jesidischen Delegation zu Besuchen in Berlin aufhält.

Jesiden in Deutschland: Heute ist ein historischer Tag

Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, Irfan Ortac, mahnte mehr Respekt vor der Identität der jesidischen Religionsgemeinschaft an. "In dieser Anerkennung sind zwar sehr viele Punkte beinhaltet, aber es sind sehr viele Punkte allgemein gehalten. Es kommt auf die Umsetzung an. Da ist keine Zeit angegeben, wann welche Punkte umgesetzt werden. Meine Befürchtung ist, und ich hoffe, dass ich mich irre, dass mit ein, zwei Symbolprojekten gestartet wird und es dabei belassen wird. Aber wir werden nicht Ruhe geben, sollte es dazu kommen."

Er begrüßte aber auch gleichzeitig die Anerkennung der Verbrechen gegen die Jesiden als Völkermord. "Heute ist für uns in der Tat ein historischer Tag", sagte er dem Bayerischen Rundfunk. "Heute hat der Bundestag einstimmig dafür gestimmt, dass das, was im Irak passiert ist, ein Genozid war. Für uns ist es eine Genugtuung, dass wir eine Teiletappe erreicht haben", so Ortac weiter.

Er erwarte, dass die Jesiden in Deutschland künftig auf mehr finanzielle Unterstützung bekommen werden. Man wolle einen jesidischen Lehrstuhl einrichten, finanziert vom Bund.

Mit Informationen von dpa, epd, KNA

Baerbock im Bundestag
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