Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur.
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Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur.

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"Bundeslastverteiler": Der Mann am Gashahn

Russland liefert wieder Gas nach Deutschland. Aber wie lange? Die Bundesregierung könnte wegen der Unsicherheit bald die Notfallstufe Gas ausrufen. Das würde die Bundesnetzagentur und ihren Chef zu einem mächtigen Mann machen.

Immer dann, wenn eine Firma ein ganzes Netz beherrscht, soll die Bundesnetzagentur für einen fairen Wettbewerb sorgen. Energie, Internet, Mobilfunk, Bahn, Post – nichts geht im Alltag ohne die unscheinbare Behörde. Etwa 3.000 Menschen arbeiten für sie. In Bayern ist sie in Nürnberg, Würzburg, Augsburg, Landshut und München vertreten. Im Fokus steht jetzt aber vor allem die Zentrale in Bonn.

Dort haben Mitarbeiter ein Krisenzentrum eingerichtet. Mit eigener Stromversorgung, Kommunikationssystem, Duschen, Feldbetten und Lebensmitteln. Denn es könnte bald ernst werden.

Bundesnetzagentur entscheidet im Notfall, wer noch Gas bekommt

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Gasspeicher in Deutschland bis zum 1. November zu 90 Prozent zu füllen. Aktuell sind es etwa 65 Prozent. Sollte Russland nach der Wartung der Pipeline "Nord Stream 1" deutlich weniger oder gar kein Gas mehr an Deutschland liefern, könnte die Bundesregierung die dritte und letzte Stufe des Notfallplans Gas ausrufen.

Das würde die Bundesnetzagentur zum "Bundeslastverteiler" machen. Das bedeutet, dass die Beamten in Bonn entscheiden, wer wie viel Gas bekommt. Die Folge könnten Produktionsausfälle, Fabrikschließungen und Entlassungen sein. Es wäre ein beispielloser Eingriff in das Wirtschaftsleben.

Behörde muss für volle Gasspeicher sorgen

Schon jetzt hat die Behörde besondere Machtbefugnisse – etwa als Treuhänder von "Gazprom Germania". Sie sorgt auch dafür, dass das Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns seinen großen Gasspeicher im niedersächsischen Rehden nach und nach wieder füllt.

Das Gleiche versucht die Netzagentur jetzt auch beim Speicher im österreichischen Haidach. Er ist nur an das deutsche Gasnetz angeschlossen und spielt für die Versorgung in Bayern eine zentrale Rolle. Das Problem: Die deutsche "Gazprom Germania"-Tochter "Astora" befüllt nur ein Drittel des Speichers Haidach.

Laut Branchenverband GIE ist dieser Teil zu gut 56 Prozent gefüllt. Die anderen zwei Drittel befüllt die Gazprom-Tochter GSA – oder besser gesagt: Befüllt sie nicht. Denn aktuell liegt der Füllstand bei 0 Prozent. Allein der Vergleich der Füllstände zeigt, welchen Einfluss die Bundesnetzagentur ausüben kann.

Digitale Plattform liefert Empfehlungen für Abschaltungen

Firmen und Verbände laufen in den vergangenen Wochen Sturm, um zu erklären, warum sie bei Gasknappheit auf keinen Fall vom Netz genommen werden sollten. Aber noch verschafft sich die Behörde einen genaueren Überblick: Wer verbraucht wie viel Gas in Deutschland? Wie wichtig ist eine bestimmte Fabrik? Welche Folgen hätte ein Stillstand? Wie aufwändig wäre es, eine Produktion herunterzufahren? Die Daten füttern die digitale "Sicherheitsplattform Gas".

Sie soll zum 1. Oktober zur Verfügung stehen. Wenn Gas wirklich knapp werden sollte, wird diese Datenbank eine zentrale Rolle spielen. Sie berechnet anhand verschiedener Kriterien, welches Unternehmen am ehesten auf Gas verzichten könnte und gibt entsprechende Empfehlungen ab. Die Entscheidungen, wer abstellen oder drosseln muss, treffen dann die Beamten der Bundesnetzagentur.

Früherer Grünen-Minister führt Bundesnetzagentur

Ihr Chef ist Klaus Müller. Der gebürtige Wuppertaler ist vielen als oberster Verbraucherschützer bekannt. Knapp acht Jahre lang führte er den Verbraucherzentrale Bundesverband. Der 51-Jährige forderte immer wieder mit markigen Worten mehr Rechte für Verbraucherinnen und Verbraucher ein. In seinem neuen Job muss er etwas zurückhaltender auftreten. Doch Müller ist selbstbewusst genug, um nicht nur eine oberste Bundesbehörde zu verwalten, sondern eigene Impulse zu setzen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sich Müller ausgesucht, um ihn zu eine Art Manager der Energiewende zu machen. Beide kennen sich aus Schleswig-Holstein. Als Müller dort Umwelt- und Landwirtschaftsminister für die Grünen war, wurde Habeck gerade Landeschef der Partei. Der Draht zwischen Bundesnetzagentur und Wirtschaftsministerium dürfte ein kurzer sein.

Preisschock für Gas-Kunden möglich

Habeck ist jetzt Müllers Aufseher. Das Wirtschaftsministerium und das Ministerium für Digitales und Verkehr beaufsichtigen die Bundesnetzagentur. Allerdings dürfte die Behörde bald mehr Freiheiten bekommen. Nach EU-Recht muss die Regulierung des Energiebereichs unabhängig von der Regierung sein. Die Bundesnetzagentur würde damit noch etwas mächtiger werden.

Müller hatte sich eigentlich vorgenommen, Verbraucherrechte in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Jetzt könnte er mit dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher einen Preisschock bei der Gas-Rechnung erleben. Stellt die Bundesnetzagentur nämlich eine "erhebliche Reduzierung der Gasimportmenge" fest, können Versorger ihre Preise auch in laufenden Verträgen anheben.

Fünf Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Müller seinen neuen Job an der Spitze der Bundesnetzagentur übernommen. Er ist jetzt der Mann am Gashahn. Und das scheint ihm Respekt abzuverlangen. In einem Interview sagte Müller neulich: "Wenn es zu der Situation kommt, kann ich es nur falsch machen."

Pipeline
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Gaspipeline

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