Es sind gut 10.000 Flugkilometer zwischen Berlin und Peking, und die Anreise wird länger dauern als das eigentliche Besuchsprogramm. Der Rückflug gar nicht mitgezählt. Etwas mehr als zehn Stunden verbringt Bundeskanzler Olaf Scholz heute mit einer Delegation von Wirtschaftsführern in Peking.
Die offizielle Begründung für die Kürze dieses Antrittsbesuchs: Man habe nicht in China übernachten wollen, weil sonst alle wegen der chinesischen Corona-Regeln in Quarantäne gemusst hätten. Dabei gäbe es viel zu bereden. Denn China verändert sich und die Bundesregierung will ihre China-Politik neu ausrichten.
Neuausrichtung der China-Politik
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird China als “Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale” bezeichnet. Was davon überwiegt, muss immer wieder neu austariert werden. Während die Wirtschaft, und da vor allem die Großunternehmen, immer noch vorwiegend auf die Chancen in dem riesigen Markt setzt, hat anderswo ein Umdenken begonnen. Denn unter dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping verändert sich das Land.
Die Absicherung der Macht der kommunistischen Partei ist Staatsziel Nummer eins. China hat den Anspruch, die führende Macht in der Welt zu werden. Das Land geht dabei strategisch vor und baut seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss weltweit aus. Während die USA China schon längst offen als Rivalen bezeichnen, zögert man in Europa noch. Die EU-Kommission mahnt zwar: Europa müsse seine Abhängigkeit von China verringern. Aber praktische Folgen hat das bisher nicht – im Gegenteil.
Streit um den Hamburger Hafen
Die geplante Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen zeigt wie in einem Brennglas, was im Wettbewerb zwischen Europa und den Chinesen schiefläuft. Sowohl die Grünen, als auch FDP und Teile der SPD lehnten diesen Deal ab. Die Abhängigkeit vom russischen Gas habe doch gerade erst gezeigt, wohin es führe, wenn ein autoritärer Staat zu viel Einfluss auf unsere Wirtschaft erhalte, so die Argumentation.
Doch Bundeskanzler Olaf Scholz setzte sich über die Bedenken hinweg. Die Begründung: Verweigert Deutschland die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen, könnte der gegenüber anderen europäischen Häfen ins Hintertreffen geraten, womöglich pleitegehen. Tatsächlich ist China bereits unter anderem an Häfen in Belgien und den Niederlanden beteiligt und kann damit drohen, Hamburg nicht mehr anzulaufen. Interessant in dem Zusammenhang: Zur gleichen Zeit, als Deutschland über Hamburg stritt, bemühte sich Belgien, die chinesischen Partner in Antwerpen wieder loszuwerden.
Europa und China – Rivalität der Systeme
Im europäischen Binnenmarkt soll kein Unternehmen zu groß werden, um Monopole zu vermeiden. Staatliche Subventionen werden streng reguliert. So machen sich in Europa Standorte und industrielle Wettbewerber gegenseitig Konkurrenz - freie Marktwirtschaft eben. In China ist das anders. Die Reederei Cosco etwa ist ein Staatsunternehmen. Innerhalb Chinas muss Cosco keine Konkurrenz fürchten. Zudem wird der Konzern bei Bedarf mit Milliarden aus der Staatskasse unterstützt.
Und noch etwas schwächt Europa: Die Wirtschaft kann nicht so auf dem chinesischen Markt agieren, wie das Chinesen bei uns erlaubt wird. Der Kauf des Augsburger Roboterherstellers Kuka etwa wäre umgekehrt in China undenkbar gewesen. Denn die Chinesen erlauben keine ausländischen Beteiligungen oder gar Übernahmen von Betrieben mit strategischer Bedeutung.
Lange hoffte man, dass mit dem Wirtschaftswachstum in China auch eine Liberalisierung einhergehen würde - aus heutiger Sicht wohl ein Trugschluss. Der China-Experte Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik glaubt deshalb, dass Europa gegenüber dem chinesischen Giganten umdenken muss: "Diese Hoffnung, dass die Öffnung, die wir machen, auch China vollzieht, das ist längst unrealistisch geworden. Dieses Ziel kann man zwar vertreten, ist aber nicht erreichbar mit den Chinesen, das werden sie nicht machen."
Wie abhängig ist Deutschland von China?
Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und China betrug 2021 rund 246 Milliarden Euro. Deutschlands Exporte nach China beliefen sich auf 103,7 Milliarden Euro, die Importe auf 142,3 Milliarden Euro. Nicht nur das zeigt: Deutschland und China sind wirtschaftlich bereits eng verzahnt.
Gerade die deutschen Großunternehmen setzen nach wie vor voll auf den chinesischen Markt. Volkswagen etwa macht vierzig Prozent seines Umsatzes in China. Siemens will seine Umsätze im Kerngeschäft der “Digitalen Industrien” bis 2025 verdoppeln. Auch BASF baut sein China Geschäft derzeit massiv aus. Eine hohe Abhängigkeit besteht auch bei Rohstoffen, die für die Energiewende gebraucht werden, zum Beispiel Lithium und Kobalt.
Zwar sei die Abhängigkeit von China nicht so groß, wie es manchmal dargestellt wird, sagt China-Experte Tim Rühlig: "Aber was mich wirklich besorgt, ist der aktuelle Trend: Chinas Abhängigkeit von uns nimmt kontinuierlich ab, unsere Abhängigkeit von China nimmt deutlich zu. Das heißt, das Erpressungspotential, das China jetzt schon hat, wird noch deutlich größer sein in wenigen Jahren, wenn wir nicht gegensteuern."
China und die Menschenrechte
Menschenrechtsorganisationen haben nur wenig Hoffnung, dass der Bundeskanzler in Peking viel Gelegenheit haben wird, das Thema Unterdrückung von Minderheiten und Oppositionellen anzusprechen. China fährt einen harten Kurs zum Beispiel gegen die fast acht Millionen Uiguren, eine muslimische Minderheit im Nordwesten des Landes. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung werden Uiguren zu Tausenden in Lager gesperrt, müssen Zwangsarbeit leisten.
Wenzel Michalski, der Deutschland-Chef von Human Rights Watch hegt Zweifel, ob das Thema zur Sprache kommt, auch weil in der Delegation des Kanzlers ausschließlich Industrieführer dabei sind. Und Hanno Schedler von der Gesellschaft für bedrohte Völker fügt hinzu: "Wenn es um die bilateralen Verhältnisse geht, wird wieder die Wirtschaftspolitik betont. Und die Chefs von BASF und Volkswagen bestimmen dann auch sehr stark die deutsche Außenpolitik."
Bundeskanzler Scholz: kein "business as usual" mit China
Obwohl dem Bundeskanzler in Peking nur ein paar Stunden zur Verfügung stehen, betont er doch, wie wichtig das direkte Gespräch sei. Der letzte Besuch eines deutschen Bundeskanzlers, konkret von Bundeskanzlerin Merkel, sei drei Jahre her. China habe sich verändert, so der Kanzler in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, deshalb sei "business as usual” keine Option.
Olaf Scholz will versuchen, China zum Beispiel daran zu erinnern, dass es als Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung für den Frieden trägt. Bisher billigt Peking den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eher als ihn zu verurteilen. Die Chance, dass sich das durch gutes Zureden des Bundeskanzlers ändert, dürfte allerdings nicht allzu groß sein.
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