Streit über das dritte Entlastungspaket: Wer zahlt die Zeche?
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Bund-Länder-Streit über Entlastungspaket: Wer zahlt die Zeche?

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Bund-Länder-Streit über Entlastungspaket: Wer zahlt die Zeche?

Bund und Länder streiten darüber, in welcher Höhe sich beide Seiten am 65 Milliarden Euro schweren dritten Entlastungspaket beteiligen. Aus Berlin heißt es, die Länder hätten genug Geld. Die aber sehen Verhandlungsbedarf. Eine Analyse.

65 Milliarden Euro umfasst das dritte Entlastungspaket der Ampel-Koalition in Berlin. Trotz explodierender Preise für Gas, Strom und Lebensmittel sollen so auch Menschen mit geringen Einkommen in diesem Winter über die Runden kommen.

In der Sache finden das auch die Länder richtig. Einfach durchwinken wollen sie die Pläne aus Berlin aber nicht. Denn der Bund erwartet, dass sich die Länder in beträchtlichem Umfang beteiligen – indem sie höhere Ausgaben akzeptieren und auf einen Teil ihrer Steuereinnahmen verzichten.

Söder nennt Entlastungspaket unfair

"Es ist ein Ausdruck von Solidarität, dass wir die Energiepreiskrise in Deutschland gemeinsam bewältigen", sagte die Vorsitzende der Finanzministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD), diese Woche nach einem Treffen der Ressortchefs in Berlin. Die Länder hätten aber einen "Anspruch auf eine faire Verteilung der Kosten". Sonst könnten sie aus Sicht von Ahnen ihre Aufgaben nicht mehr bewältigen.

Noch deutlicher formulierte es vor Kurzem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Morgenmagazin von ARD und ZDF: Das Paket sei unfair, eine "Bestellung zulasten der Länder".

  • Zum Artikel "Söder kritisiert Entlastungspaket: 'Wird nicht funktionieren'"

Lindner warnt Länder vor Blockade

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kontert, das Entlastungspaket sei eine gesamtstaatliche Aufgabe. "Die Menschen hätten kein Verständnis, wenn die Länder die dringenden Maßnahmen im Bundesrat blockieren würden", wird er im aktuellen Monatsbericht seines Ministeriums zitiert. Lindner fordert seinerseits Fairness von den Ländern. Der Bund habe in den vergangenen Jahren unter anderem im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Länder finanziell stark unterstützt und gerate jetzt selbst an die Belastungsgrenze.

Länder sollen sich mit 19 Milliarden beteiligen

Wenn es nach dem Bund geht, sollen sich Länder und Kommunen mit rund 19 Milliarden Euro am dritten Entlastungspaket beteiligen. Ein geringer Teil der Summe würde dieses Jahr fällig, der Großteil im kommenden Jahr. Das zeigen Zahlen aus Lindners Ministerium.

Dass der Bund die Länder überhaupt in die Pflicht nehmen will, hängt mit der Aufteilung des deutschen Steueraufkommens zusammen. Einnahmen aus der Umsatzsteuer etwa stehen Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam zu. Wenn also wie geplant die Umsatzsteuer auf den Gasverbrauch verringert wird, wirkt sich das negativ auf die Kassen von Ländern und Kommunen aus. Allein dieser Posten wird auf vier Milliarden Euro geschätzt.

Einnahmeausfälle durch Inflationsausgleichsgesetz

Zum Entlastungspaket der Ampel gehört auch das geplante Inflationsausgleichsgesetz, mit dem Lindner den Tarif bei der Einkommensteuer zugunsten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler anpassen will. Wie bei der Umsatzsteuer steht Ländern und Kommunen auch bei der Einkommensteuer ein Anteil zu. Laut Bundesfinanzministerium müssten sie durch das Entlastungspaket im kommenden Jahr an dieser Stelle mit Einnahmeausfällen von fast sechs Milliarden Euro rechnen.

Zankapfel Wohngeldreform

Ein weiterer dicker Brocken ist die geplante Reform des Wohngeldes. Dabei handelt es sich um einen Zuschuss für Mieterinnen und Mieter mit wenig Geld, den Bund und Länder je zur Hälfte finanzieren. Nach dem Willen der Ampel sollen künftig mehr Menschen diesen Zuschuss erhalten – und wer Anspruch darauf hat, soll mehr Geld erhalten als bisher. Auf die Länder kämen damit milliardenschwere Belastungen zu. Sie fordern, dass der Bund einen größeren Anteil übernimmt – oder gleich die gesamten Kosten trägt.

Auch Finanzierung des 9-Euro-Tickets strittig

Strittig ist auch, wie die Ampel-Pläne für eine Nachfolge des 9-Euro-Tickets finanziert werden sollen. Der Bund beziffert die Kosten für nächstes Jahr auf drei Milliarden Euro und will sich die Summe mit den Ländern teilen. Die aber haben die Finanzierung des gesamten Regionalverkehrs im Blick und fordern mehr Geld vom Bund. So soll der öffentliche Nahverkehr in der Fläche ausgebaut und modernisiert werden. Ob sich der Bund darauf einlässt, ist offen.

Länder nehmen mehr Steuern ein als Bund

Was die finanziellen Spielräume beider Seiten angeht, zeigt sich ein deutlicher Trend. Hatte der Bund früher mehr Steuern eingenommen als alle 16 Länder zusammen, so hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt. Deshalb sieht der Bundesfinanzminister die Länder klar im Vorteil. Bis Ende Juli hätten sie dieses Jahr einen satten Überschuss verbucht: fast 27 Milliarden Euro. Dagegen habe der Bund ein Minus von knapp 66 Milliarden Euro gemacht, so Lindner: "Ich glaube, die Zahlen sprechen eine klare Sprache."

Ob die Länder dieser Verweis auf die Statistik überzeugt, wird sich Mitte kommender Woche zeigen. Dann wollen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Länderchefinnen und -chefs über das dritte Entlastungspaket beraten. Es dürften lange Verhandlungen werden.

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