07.12.22: Boris Pistorius (SPD), Innenminister in Niedersachsen, spricht mit Journalisten.
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07.12.22: Boris Pistorius (SPD), Innenminister in Niedersachsen, spricht mit Journalisten.

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Boris Pistorius wird neuer deutscher Verteidigungsminister

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird laut Regierungssprecher Hebestreit Deutschlands neuer Verteidigungsminister. Bundeskanzler Olaf Scholz attestierte Pistorius Durchsetzungsfähigkeit und ein "großes Herz". Aber es gibt auch Kritik.

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Wichtige Personalie im Bundeskabinett: Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) wird neuer deutscher Verteidigungsminister. Das erfuhr das ARD-Hauptstadtstudio am Morgen aus Regierungskreisen, inzwischen bestätigte auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Personalie. Der designierte Nachfolger von Christine Lambrecht soll am Donnerstag seine Ernennungsurkunde erhalten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete seinen Parteikollegen als "herausragenden Politiker unseres Landes". Pistorius sei "ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen".

Pistorius seit 2013 Niedersachsens Innenminister

Der 62-jährige Pistorius ist seit 2013 Innenminister in Niedersachsen. Davor war er Oberbürgermeister von Osnabrück. Seine Berufung als Bundesverteidigungsminister kommt durchaus überraschend: In den vergangenen Tagen wurden für die Nachfolge der aktuellen Amtsinhaberin Christine Lambrecht andere Namen aus der SPD diskutiert – etwa Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, SPD-Chef Lars Klingbeil und die Wehrbeauftragte Eva Högl. Lambrecht tritt nach gut einem Jahr als Bundesverteidigungsministerin zurück, nach diversen unglücklichen Auftritten.

Die bisherige Amtsinhaberin hinterlässt Pistorius viele Baustellen. So steht die Modernisierung und Ertüchtigung der Bundeswehr unter anderem mit Hilfe des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens erst am Beginn. Bisher wurden erst Verträge über gut zehn Milliarden Euro geschlossen. Die Aufrüstung hatte Kanzler Scholz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar vergangenen Jahres verkündet.

Am Freitag Treffen mit westlichen Verbündeten in Ramstein

Unklar ist auch noch, wie es mit den Waffenlieferungen an die Ukraine weitergeht. Nachdem die Bundesregierung zuletzt die Lieferung von Marder-Schützenpanzern beschlossen hatte, drehen sich die aktuellen Debatten darum, dem angegriffenen Land Leopard-Kampfpanzer bereitzustellen.

Bereits am Freitag steht für den neuen Verteidigungsminister ein Treffen mit den westlichen Verbündeten der Ukraine auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz an, bei dem es um die weitere Unterstützung für Kiew gehen soll.

Pistorius gilt als durchsetzungsstarker Politiker

Pistorius gilt in seinem Bundesland als beliebt sowie als kommunikations- und durchsetzungsstark. Er ist Mitglied des SPD-Parteivorstandes und wurde mehrfach für Posten auf Bundesebene gehandelt. Bei den Innenministerkonferenzen machte es dem als pragmatisch geltenden Pistorius sichtlich Freude, sich mit Konservativen wie dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf offener Bühne zu streiten – schlagfertig, aber nie respektlos. Zudem kann er mit 62 Jahren vergleichsweise entspannt das Chefbüro im Bendlerblock beziehen, das als Schleudersitz und damit als potenzieller Karrierekiller gilt.

2019 wollten Pistorius und seine sächsische Kollegin Petra Köpping SPD-Parteichefs werden, sie konnten sich aber bei der parteiweiten Wahl nicht durchsetzen. Vor seiner politischen Karriere absolvierte Pistorius eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Von 1980 bis 1981 absolvierte er seinen Wehrdienst, anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Osnabrück und Münster. Pistorius ist verwitwet und hat zwei Töchter.

Geschlechter-Parität im Kabinett vorerst vorbei

Aus Regierungskreisen hieß es, die Kabinettsumbildung beschränke sich auf das Verteidigungsministerium. Mit der Entscheidung für Pistorius gibt Bundeskanzler Scholz seine bisherige Linie auf, dass Männer und Frauen in gleicher Zahl im Bundeskabinett vertreten sein sollen. Bisher waren es acht Männer und acht Frauen, künftig sind es neun Männer und sieben Frauen – der Kanzler selbst nicht mitgezählt.

Finanzminister Lindner: "Große Aufgabe liegt vor uns"

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) reagierte bei Twitter auf die Entscheidung für Pistorius als neuen Bundesverteidigungsminister. "Gratulation an meinen neuen Kabinettskollegen", schrieb Lindner. "Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns." Zustimmung kam auch vom FDP-Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr: Pistorius habe "langjährige Erfahrung mit der Struktur unserer Sicherheitsbehörden, zudem war er bei der Bundeswehr".

Die frühere Bundesministerin Katarina Barley, aktuell Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, gratulierte ihrem SPD-Parteikollegen Pistorius. Dieser sei "einer unserer Besten", twitterte Barley. "Das hat die Bundeswehr verdient und unser Land nötig in diesen schwierigen Zeiten." Ähnlich äußerte sich SPD-Chef Klingbeil: In Niedersachsen habe Pistorius gezeigt, dass er ein großes Ministerium führen könne, sagte er.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) teilte mit, er habe Pistorius immer als verbindlich und verlässlich erlebt. Der künftige Verteidigungsminister übernehme das Amt in sehr entscheidenden Zeiten, die Vorzeichen für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik hätten sich geändert. Es seien auch kurzfristig wichtige Entscheidungen zu treffen, betonte Habeck.

CDU-Abgeordneter Wadephul: "Besetzung aus B-Mannschaft"

Aus der Union kam dagegen Kritik an der Verteidigungsminister-Auswahl von Kanzler Scholz. "Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU). Erneut spielten Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle, bei der Personalie handle es sich um eine "Besetzung aus der B-Mannschaft". Die Bundestagsfraktion von CDU und CSU biete dem neuen Minister die Zusammenarbeit an, werde seine Arbeit aber kritisch begleiten, kündigte Wadephul an.

Auch die AfD ist unzufrieden mit der Personalie. Die Ampel bleibe sich bei der Besetzung des Verteidigungsministeriums nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht treu, schrieb Co-Parteichefin Alice Weidel bei Twitter. "Mit Pistorius folgt auf Lambrecht der nächste Verteidigungsminister ohne irgendwelche Expertise auf seinem Fachgebiet."

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte, Pistorius müsse unter seiner Vorgängerin Lambrecht liegengebliebene Projekt schnell anpacken. Eine der ersten Maßnahmen müsse eine "Instandsetzungsoffensive" für die Kampfpanzer Leopard I und II sein, sagte Dobrindt. Pistorius müsse zudem sofort fehlende Munition bestellen und das vorgesehene Begleitgremium für das Bundeswehr-Sondervermögen schaffen.

Söder: "Zeit muss aufgeholt werden"

CSU-Parteichef Markus Söder sagte: "Es ist viel Zeit verloren gegangen mit Frau Lambrecht. Und diese Zeit muss aufgeholt werden." Er wünsche dem neuen Verteidigungsminister Glück und Erfolg, allerdings sei Pistorius "offenkundig nicht die erste Wahl". Söder verwies auf die aktuelle Wehrbeauftragte der Bundesregierung: "Beispielsweise mit Frau Högl wäre eine sehr erfahrene Kennerin der Truppe da gewesen."

Reservistenverband: Pistorius "kennt Menschenführung"

Der Präsident des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr, Patrick Sensburg, begrüßte die geplante Ernennung von Pistorius. Dieser sei in Niedersachsen "ein erfahrener Innenminister und kennt Menschenführung", sagte Sensburg der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Der SPD-Politiker sei durchsetzungsfähig und habe sich "bisher schon intensiv mit den Sicherheitsfragen unseres Landes beschäftigt".

Er sei sich sicher, dass sich Pistorius "schnell in die verteidigungspolitischen Details einarbeiten wird", sagte Sensburg weiter. Er lobte, "dass nun ein Reservist an der Spitze des Ministerium steht, der schon lange gute und intensive Kontakte zur Reserve in Niedersachsen hat".

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

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