Franziska Giffey (SPD), Noch-Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und Kai Wegner, Wahlsieger der CDU, bei Sondierungsgesprächen am 20.2.2023.
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Franziska Giffey (SPD), Noch-Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und Kai Wegner, Wahlsieger der CDU, bei Sondierungsgesprächen am 20.2.2023.

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Berlinwahl: Giffeys Schwenk, Wegners Chance

Mit blauem Auge weiter auf Kurs Rot-Grün-Rot: So die Erwartung zur künftigen Berliner Landespolitik. Dann diente sich Franziska Giffeys SPD dem CDU-Wahlsieger Wegner als Koalitionspartnerin an. Die CDU freut sich auf Verhandlungen – die SPD weniger.

Am Abend der Berliner Wiederholungswahl hatte es noch danach ausgesehen, als könnte Kai Wegner als "König ohne Land" und weiterer gescheiterter CDU-Spitzenkandidat in die Berliner Lokalgeschichte eingehen: Zwar hatte der 50-jährige Spandauer die Wahl mit 28,2 Prozent und fast zehn Punkten Vorsprung vor den nächstplatzierten SPD und Grünen gewonnen - doch eine rechnerische Mehrheit für die leicht zerzauste rot-grün-rote Landesregierung stand.

Warum also wechseln? So der Tenor der Wahlverlierer am 12. Februar. Selbst in der Bundes-CDU galt lange als wahrscheinlich, dass der eigene Spitzenkandidat zwar ein gutes Ergebnis holen, aber keine Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung haben würde. Entsprechend rustikal hatte Wegner in einem stark polarisierten Wahlkampf gegen die Regierenden ausgeteilt.

Giffeys Überraschungsei

Dann aber - Berlin bleibt doch Berlin - die doppelte Überraschung: die Sondierungsgespräche der CDU mit SPD wie auch Grünen verliefen erstaunlich harmonisch. Wohl nur, weil die möglichen Juniorpartner den Preis für die anschließenden RGR-Dreierverhandlungen hochtreiben wollten - vermuteten da noch viele. Doch dann berichtete SPD-Chefverhandlerin Franziska Giffey ihrer erstaunten Basis, dass die "Schnittmenge" mit der Union größer sei als die mit den Grünen, und ließ sich die Aufnahme von schwarz-roten Koalitionsverhandlungen absegnen.

Dass SPD-Landeschef Raed Saleh am Mittwochabend betonte, SPD, Grüne und Linke stünden sich "kulturell" sicher am nächsten, spielte da keine Rolle mehr. Nach dem 25-zu-12-Stimmen-Votum des SPD-Vorstands hat am Donnerstagnachmittag auch die CDU Koalitionsverhandlungen gebilligt - einstimmig.

Grüne im Abseits

Konsterniert reagieren die Grünen, die mit 18,5 Prozent auf Augenhöhe mit der SPD abgeschnitten haben (und nach dem amtlichen Endergebnis nur noch 53 Stimmen hinter der SPD liegen). Als "Koalitionsbrecherin" sieht sich Giffey indes nicht: "In nahezu allen politischen Teilbereichen haben die Grünen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen", weist das SPD-Papier zu den Sondierungsergebnissen den Grünen die Schuld am 180-Grad-Schwenk der SPD zu.

Rätselraten über Giffeys Motive

Parteiübergreifend wird nun - mal mehr, mal weniger erfreut - gerätselt, was Giffeys Schubumkehr bewirkt haben könnte. Die SPD-Spitzenkandidatin zählt in sieben Tweets trocken die von ihr identifizierten schwarzroten Gemeinsamkeiten auf - eine Verkehrspolitik sowohl für Auto- als auch Radfahrende, eine Stärkung von Polizei und Justiz und eine umfassende Verwaltungsreform. In der Berliner SPD erinnert man sich, dass Giffey 2016 mit der FDP geliebäugelt hatte, sich damals parteiintern aber nicht durchsetzen konnte.

Giffey selbst erklärt ihren Verzicht aufs Bürgermeisteramt zum Dienst an Stadt und Partei. Weniger wohlwollende Beobachter vermuten, Giffey opfere das in ihren Augen leck geschlagene rot-grün-rote Schiff, um ihre Karriere als Vizekapitänin an Bord einer neuen Regierungsmehrheit als einflussreiche "Super-Senatorin" auf Kurs zu halten. Giffey treffe "sicher keine Entscheidung für Berlin, sondern vor allem für Franziska Giffey", urteilt Emily Büning, Bundesgeschäftsführerin der Grünen am Donnerstagnachmittag.

Was Wegner noch im Wege steht

Für CDU-Mann Wegner jedenfalls ist das Amt des Regierenden Bürgermeisters im Roten Rathaus nach sechs "ergebnisoffenen" Sondierungsgesprächen - je drei mit SPD und Grünen - zum Greifen nah. Das Okay der eigenen Partei zu erfolgreichen Koalitionsverhandlungen wäre ihm wohl sicher.

Als Klippe könnte sich indes der anschließende SPD-Mitgliederentscheid erweisen, bei dem Giffey ordentlich Überzeugungsarbeit leisten muss: mehrere SPD-Landespolitiker wie der frühere Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles geben sich skeptisch, die Jusos haben bereits angekündigt, sich einem schwarzroten Kurs zu widersetzen.

Was "Berlin" für "Berlin" bedeutet

Kommt es zur Berliner Landes-GroKo, muss Wegner zeigen, ob er sein stets vorgetragenes Ziel erreichen kann, die in Innen-und Außenbezirke und sehr verschiedene Milieus gespaltene Stadt "wieder zusammenzuführen" - und nicht zuletzt pannenärmer zu regieren.

Aus bayerischer Sicht noch spannender wird, wie die Machtspiele rund ums Berliner Abgeordnetenhaus sich auf die "große" Berliner Politik auswirken. Im Bundesrat hätten CDU/CSU bei einer schwarz geführten Landesregierung eine "Blockademehrheit". Zudem hat die aus dem Roten Rathaus geflogene FDP bereits erkennen lassen, dass sie in der Bundesregierung noch machtbewusster auftreten will. Auch das Verhältnis zwischen SPD und Grünen dürfte durch die Giffey-Volte nicht harmonischer werden - und die Union im Bund eine aus dem Blick geratene Machtoption neu ins Auge fassen.

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