Markus Söder und Olaf Scholz (r.)
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Markus Söder und Olaf Scholz (r.)

    "Juckepunkte bleiben": Wie Bayern auf die Entlastungen reagiert

    Bund und Länder haben sich auf Entlastungen für den Winter verständigt, etwa eine Gas- und eine Strompreisbremse, das 49-Euro-Ticket und Mittel zur Flüchtlings-Unterbringung. In Bayern reichen die Reaktionen von großem Lob bis hin zu großen Zweifeln.

    Kaum haben sich Bund und Länder auf Kompromisse geeinigt bei Entlastungen für Kommunen, Unternehmen und neue Schritte im ÖPNV, übertreffen sich die Ampelparteien in Bayern mit Lob für die Beschlüsse. Für Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn hat sich vor allem einer Lorbeeren verdient: Bundeskanzler Scholz (SPD): "Das alles ist Olaf Scholz zu verdanken, der das Ganze zur Chefsache gemacht hat", findet von Brunn.

    Von Brunn: "Hoffe, dass Söder jetzt das Motzen sein lässt"

    Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder von der CSU hat der SPD-Vorsitzende weniger freundliche Worte übrig: "Ich hoffe, dass Markus Söder jetzt auch endlich das Motzen sein lässt. Es gibt so viele Aufgaben in Bayern, die erledigt werden müssen." Eine dieser Aufgaben sei die Energiewende, so der SPD-Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl.

    Grüne: Gas- und Strompreisbremse federn Härten ab

    Auch Fraktionschef Ludwig Hartmann von den Grünen begrüßt die Beschlüsse. Das 49-Euro-Ticket sei eine "verkehrspolitische Revolution und ein großer Erfolg für eine soziale Mobilitätswende", sagt Hartmann zu BR24: "Bus- und Bahnfahren wird endlich einfach, das Tarif-Wirrwarr ist beendet. Künftig können die Menschen in jeden Regionalzug und jeden Linienbus einsteigen, ohne sich davor den Kopf über das richtige Ticket zu zerbrechen."

    Gleichzeitig fordert Hartmann von der Staatsregierung eine Verbesserung des ÖPNV auf dem Land: "Die fünf Landkreise mit der schlechtesten Erreichbarkeit von Bus und Bahn liegen allesamt in Bayern. Ein Mobilitätsangebot für alle ist für mich Teil der Daseinsvorsorge", so Hartmann.

    Auch die Gas- und Strompreisbremsen begrüßen die Grünen im Landtag. Dadurch würden Härten abgefedert und trotzdem würde ein Anreiz zum Sparen geschaffen, so der Grünen-Fraktionschef: "Wir haben uns viel zu abhängig gemacht von Russland, gerade im Energiesektor, gerade in Bayern."

    FDP: "Größte Reform des ÖPNV seit Jahrzehnten"

    Bayerns FDP-Vorsitzender Martin Hagen findet ebenfalls nur lobende Worte für die Kompromisse zwischen Bund und Ländern: "Es ist wichtig, dass die Länder jetzt mit an Bord sind. Denn diese Krise bewältigen wir nur gemeinsam, alle staatlichen Ebenen müssen an einem Strang ziehen", sagt Hagen.

    Der bayerische FDP-Chef im Landtag hebt besonders die Verdienste des FDP-Bundesverkehrsministers hervor: "Mit dem 49-Euro-Ticket ist Bundesminister Volker Wissing die größte Reform des öffentlichen Nahverkehrs seit Jahrzehnten gelungen. Das Bus- und Bahnfahren wird einfacher, günstiger, unbürokratischer und digitaler", freut sich Hagen.

    IHK: Unklar, was wann bei den Unternehmen ankommt

    Bei Wirtschaftsvertretern hält sich die Euphorie nach den Bund-Länder-Beschlüssen dagegen in Grenzen. Der Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, Manfred Gößl, beschreibt BR24 die Lage als dramatisch: "Die Energiepreise stellen aktuell viele bayerische Unternehmen vor eine existenzielle Krise. Die Geschäftserwartungen sind über alle Branchen hinweg schlechter denn je zuvor. Unser Wirtschaftsstandort ist in großer Gefahr."

    Die beschlossenen Gas- und Strompreisbremsen seien unverzichtbar, kämen jedoch deutlich später als in vielen anderen europäischen Ländern. "Noch immer bleibt zum großen Teil unklar, wann und wie die Entlastungen konkret bei den Unternehmen ankommen sollen", kritisiert der IHK-Vertreter.

    Zudem müssten sich Unternehmen laut Gößl wohl auf bürokratische Hürden vorbereiten, Einzelanträge stellen und zusätzlich eine Beschäftigungsgarantie für mindestens 90 Prozent der Belegschaft abgeben. "Gerade mittelständische Unternehmen in schwer gebeutelten Branchen können diese Standortvereinbarungen aber kaum erfüllen", sagt Gößl. Auch die geplante Abführung der sogenannten Zufallsgewinne bei Energieunternehmen sieht er kritisch. Eine rückwirkende Abschöpfung ab September könne sich als rechtswidrig erweisen und somit die Frage nach der Finanzierung der Strompreisbremse erneut aufwerfen, mahnt Gößl.

    Gemeindetag: "Tausende Berufspendler haben nichts vom 49-Euro-Ticket"

    Uwe Brandl (CSU) vom Bayerischen Gemeindetag hat hinsichtlich des 49-Euro-Tickets gemischte Gefühle: Einerseits erhöhe sich durch das Ticket die Akzeptanz des ÖPNV grundsätzlich. Diesen "Schub" gebe es aber "nur in den Ballungsräumen", so Brandl. Die Politik müsse mit dem Ziel der "gleichwertigen Lebensbedingungen" endlich ernst machen, so der Gemeindetagspräsident: "Es gibt Tausende Berufspendler, die aus den peripheren Räumen in die Ballungszentren einpendeln müssen, weil es keine Alternative dazu gibt." Diese Menschen hätten vom 49-Euro-Ticket gar nichts. Hier müsse nachgebessert werden.

    Zufriedener ist Brandl mit den beschlossenen Entlastungen bei den Kosten für Wohngeld und ukrainische Flüchtlinge. Mit Blick auf ankommende Flüchtlinge sagt der Präsident des bayerischen Gemeindetags gegenüber BR24, man dürfe das Land nicht überfordern: "Wir werden nicht unbegrenzt aufnahmefähig sein. Und Geld ist auch nicht alles, es geht um Fragen der Integration, der Unterbringung und der Infrastruktur. Wir müssen aufpassen, keine weiteren Pullfaktoren zu schaffen", so Brandl. Denn dann kämen noch mehr Menschen ins Land, die "uns vor eine Aufgabe stellen, die sicherlich nicht mehr zu bewältigen sein wird". Jetzt seien vielmehr Europa und die Weltgemeinschaft gefordert.

    Aiwanger: "Hilfsprogramme mehrere Monate zu spät"

    Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) unterstellt der Bundesregierung, die Situation "nicht rechtzeitig kapiert zu haben". Der wirtschaftliche Einbruch durch steigende Energiepreise sei seit Monaten erkennbar gewesen, das habe die Ampelregierung "nicht interessiert", so Aiwanger zu BR24. "Die Hilfsprogramme kommen mehrere Monate zu spät. Wir hätten schon zum 1. Oktober Bremsen einziehen müssen und können", sagt der Minister.

    Auch die Beschlüsse vom Mittwoch sieht der stellvertretende Ministerpräsident von den Freien Wählern kritisch: Noch immer sei nicht volle Klarheit da, der Unternehmer wisse immer noch nicht, ob er Hilfen bekommt. Etwa wenn er von Gas auf Öl umgestellt habe. Die Härtefallregelung sei "ominös", so Aiwanger. Hier bräuchten die Länder Klarheit vom Bund. Lediglich die Gas- und Strompreisbremse sind laut dem Chef der Freien Wähler zu begrüßen.

    Verkehrsminister: "Bei weitem nicht das, was wir bräuchten"

    Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) ist zufrieden mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel des Bundes für die Länder für den öffentlichen Nahverkehr. Dem BR sagt Bernreiter: "Es ist ein erster Aufschlag, aber es ist bei weitem nicht das, was wir bräuchten." Entsprechend skeptisch zeigt sich der bayerische Verkehrsminister, ob das neue 49-Euro-Ticket bis 1. Januar eingeführt werden kann.

    Auch sei ein Ausbau des ÖPNV-Angebots nicht in Sicht: "Wir werden alles daran setzen, dass wir damit das aktuelle Angebot aufrechterhalten können, aber an eine Ausweitung des Angebots ist nicht zu denken. Das muss man ganz klar sagen. Es ist ja auch noch völlig unklar, was bei den Energie- und Treibstoffpreisen noch alles auf die Verkehrsunternehmen zukommt." Wichtig sei nun, dass flächendeckend Verkehrs- und Tarifverbünde geschaffen würden. "Gerade abseits der städtischen Verdichtungsräume gibt es viele Gebiete, in denen der öffentliche Verkehr noch nicht in Verkehrsverbünden organisiert ist", so Bernreiter.

    AfD: "Früher brauchte die Mittelschicht kein Wohngeld"

    Die AfD geht hart mit den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung ins Gericht. AfD-Fraktionschef Ulrich Singer sieht die Schuld für die enorme Inflation und die hohen Energiepreise im Wesentlichen bei der Bundesregierung selbst. Diese solle nun gegensteuern, so Singer zu BR24. "Wir brauchen mehr günstige Energie, sei es durch russisches Gas oder einer Verlängerung der Laufzeit unserer Kernkraftwerke", fordert Singer.

    Außerdem warnt der AfD-Politiker vor weiteren Anreizen für illegale Migration nach Deutschland und Bayern. Es erfülle ihn mit Sorge, dass immer mehr Menschen auf staatliche Leistungen angewiesen seien, sagt Singer. Früher habe die gesunde Mittelschicht in Deutschland kein Wohngeld gebraucht. Es würden Schulden geschaffen, die künftige Generationen tragen müssten, so der Fraktionschef der AfD.

    Söder: Zufrieden, aber es bleiben "Juckepunkte"

    Bereits gestern zeigte sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Bund-Länder-Runde teilweise zufrieden mit den Ergebnissen. Es sei ein konstruktives Miteinander gewesen. Die Einigung bei der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs sei wichtig gewesen, so Söder im BR Fernsehen.

    Söder bemerkte aber auch, dass es keine Unterstützung gibt für Menschen, die mit Pellets oder Öl heizen: "Das mit dem Öl beschwert die meisten Länder sehr, weil am Ende ist es nicht gerecht, dass vor allem die Gaskunden einen kompletten Ersatz bekommen und jemand, der eine Ölheizung hat, nur als Not- oder Härtefall gelten kann."

    Laut Söder fehlt außerdem eine Entlastung für den Januar. Es blieben nach der Einigung weiter ein paar "Juckepunkte". Dazu zählt Söder die konkrete Ausformung des Härtefallfonds für strauchelnde Betriebe, Hilfen für die Kultur und für Sportvereine wegen der hohen Energiekosten.

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