15.04.24: Vier Beamte der Bundespolizei im Frontex-Einsatz an der türkisch-bulgarischen "Grünen Grenze" entlang.
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15.04.24: Vier Beamte der Bundespolizei im Frontex-Einsatz an der türkisch-bulgarischen "Grünen Grenze" entlang.

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Warum beantragen weniger Menschen in Deutschland Asyl?

Warum beantragen weniger Menschen in Deutschland Asyl?

Stationäre Grenzkontrollen, mehr Abschiebungen, die Befreiung Syriens von Diktator Assad: Welche Entwicklungen erklären, warum die Zahl der Asylanträge in Deutschland seit längerem sinkt? Und wie sehr kann man Migration überhaupt steuern?

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Die Zahl der Asylgesuche in Deutschland war im ersten Monat des Jahres deutlich niedriger als im Vorjahr. Knapp 12.500 Menschen baten im Januar bei der Einreise um Schutz. Das teilte das Bundesinnenministerium zuletzt mit. Im Januar 2023 waren es noch gut 25.000 Asylgesuche – mehr als doppelt so viele. Die Zahl der Asylanträge geht schon seit einiger Zeit zurück, auf hohem Niveau.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begründete den Rückgang, kurz vor der Bundestagswahl, mit Entscheidungen der Ampel-Bundesregierung. Konkret erwähnte sie die stichprobenartigen Grenzkontrollen, die seit September an allen deutschen Außengrenzen durchgeführt werden. Darüber hinaus nannte sie ein Ampel-Gesetz für die schnellere Durchsetzung von Abschiebungen. Tatsächlich gab es 2024 mehr Abschiebungen als 2023. Hat Faeser recht? Oder sind andere Gründe wichtiger?

Wissenschaftler Schammann: Migration ist kein Wasserhahn

"Migrationspolitik geht oft von einer falschen Grundannahme aus", sagt Migrationsforscher Hannes Schammann auf BR24-Anfrage. "Und zwar: Man kann Migration wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen. Das stimmt so aber nicht. Selbst autoritären Regimen gelingt keine komplette Kontrolle, liberalen Demokratien entsprechend noch viel weniger." Wie hoch Fluchtzahlen seien, entscheide deshalb nie Migrationspolitik allein – sondern auch die weltweiten Umstände.

Steuern könne man Migration durchaus, betont Schammann. "Es kann sein, dass die deutschen Grenzkontrollen und der Anstieg der Abschiebezahlen als Signal manche Menschen erreicht." Wie groß der Einfluss der Botschaft "Wir machen jetzt bei uns dicht" auf die Asylzahlen sei, könne man aber nicht seriös sagen. "Fliehende Menschen hält man nicht auf. Aber möglicherweise beeinflusst die Haltung und die Stimmung der deutschen Politik die Wahl ihres Ziellands."

Grafik: So viele Anträge auf Asyl gab es in Deutschland seit 1990

"Beruhigung" in Syrien und in der Ukraine

Laut Schammann, Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim, spielen andere Faktoren eine wichtigere Rolle. "In Syrien gibt es nach Assads Sturz weniger Gründe zu fliehen und in absehbarer Zeit womöglich eine Rückwanderung aus Deutschland. In der Ukraine herrscht zwar weiter Krieg, aber die großen Fluchtbewegungen sind wohl erstmal vorbei. Also: In für Deutschland zentralen Krisenregionen gibt es gerade eine Beruhigung."

Was Schammann wichtig ist: "Ob Grenzkontrollen, Abschiebungen oder Migrationsabkommen: Das ist immer nur ein kleines Puzzleteil, die übergreifenden Zusammenhänge sind leider komplex."

Wichtig für die Zahl der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, ist auch: Wie werden die EU-Außengrenzen in Polen, Bulgarien, Griechenland oder Italien kontrolliert? Mit wie viel Personal und wie heftig geht die europäische Grenzschutzbehörde Frontex vor? "Pushbacks und ausbleibende Seenotrettung werden hierzulande gerne totgeschwiegen", sagt Schammann. Langfristig sei offen, ob Länder wie Italien Niederlagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte riskieren oder gleich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten würden.

Grenzkontrollen: Tausende Menschen zurückgewiesen

Das Beispiel Grenzkontrollen zeigt, wie schwierig direkte Rückschlüsse sind. Seit vergangenem September hat die Bundespolizei an Deutschlands Außengrenzen nach eigenen Angaben knapp 14.000 Menschen zurückgewiesen und gut 500 Schleuser festgenommen. Wer einen Asylantrag stellen möchte, kann aber im Regelfall einreisen. Wie groß der Effekt der Kontrollen auf die reine Zahl der Anträge ist, darüber lässt sich deshalb streiten.

Migrationsforscher Hannes Schammann findet: Die Zahl der Asylanträge ist das eine – natürlich sei es legitim, wenn Regierungen diese Zahl senken wollen. Problematisch sei, wenn Migration nur noch negativ wahrgenommen werde. Zudem bestehe die Gefahr, langfristig mehr Chaos als Ordnung zu stiften: "Wenn Deutschland einseitig bestehende Absprachen mit anderen Ländern aufkündigen würde, wäre das nicht gut für die internationale Zusammenarbeit." Zur Wahrheit gehört aber auch: Andere EU-Staaten nehmen oft Geflüchtete aus Deutschland nicht zurück, obwohl sie es laut den Dublin-Regeln eigentlich müssten.

Grafik: So viele Erstanträge auf Asyl gab es in Bayern seit 2014

Die "Münchner Runde" im BR Fernsehen beschäftigt sich heute (5. Februar) um 20.15 Uhr mit der Frage "Streit um Migration, Sicherheit und Brandmauer: Was heißt das für die Wahl?".

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