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Sicherheitskräfte durchsuchen in Auto

    Afghanistan: Deutschlands Helfer in Lebensgefahr

    Die Regierung hat versprochen, gefährdete Personen vor den Taliban in Sicherheit zu bringen. Afghanische Ex-Mitarbeiter der Entwicklungshilfeagentur GIZ fallen aber durchs Raster. BR-Recherchen zeigen: Sie sind in größerer Gefahr als bislang bekannt.

    "Wir leben in Angst. Jeden Tag, in jedem Moment." So beschreibt es ein ehemaliger Mitarbeiter der bundeseigenen Entwicklungshilfeagentur GIZ in Afghanistan im Gespräch mit dem BR. Seit der Machtübernahme der Taliban vor neun Monaten befinde er sich mit seiner Familie auf der Flucht und verstecke sich fernab seiner Heimatprovinz, erzählt der 34-jährige Afghane. Einer seiner ehemaligen Kollegen sei getötet worden, andere wurden gefoltert. "Wenn meine Kollegen und ich gewusst hätten, dass unsere Arbeit solche Folgen nach sich zieht, hätten wir niemals für die GIZ und Deutschland gearbeitet."

    • Zum Artikel "Taliban haben mehr als 100 Ortskräfte und Ex-Beamte getötet"

    Mitarbeiter von Polizeiprojekt nicht als Ortskräfte anerkannt

    Der Mann und seine Kolleginnen und Kollegen waren als Lehrkräfte für afghanische Polizisten tätig. In einem von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag der Bundesregierung durchgeführten Bildungsprojekt brachten sie Polizeikräften vor Ort unter anderem Lesen und Schreiben bei. Etwa 3.200 Menschen beschäftigte die GIZ nach eigenen Angaben für dieses Projekt. Anders als etwa Übersetzerinnen und Übersetzer der Bundeswehr werden die Mitarbeitenden des Polizeiprojekts von der Bundesregierung im Allgemeinen nicht als Ortskräfte anerkannt und erhalten daher kein Visum für die Ausreise nach Deutschland. Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen jetzt, dass sie offenbar in größerer Gefahr sind als bislang bekannt. Grund sind zahlreiche Spuren, die das GIZ-Polizeiprojekt hinterlassen hat und die die Frage aufwerfen, ob die GIZ die Daten ihrer Mitarbeitenden ausreichend geschützt hat.

    Persönliche Daten können Ex-Mitarbeiter verraten

    So mussten die Lehrerinnen und Lehrer vor Arbeitsantritt Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen und dies der GIZ mit Dokumenten belegen. Afghanische Sicherheitsbehörden erfassten dabei unter anderem Namen, Geburtsdaten sowie biometrische Daten, wohl Fingerabdrücke und Iris-Scans. Die ehemaligen GIZ-Kräfte gehen davon aus, dass diese Daten weiterhin in Polizeicomputern und Datenbanken gespeichert sind, auf die jetzt die Taliban Zugriff haben. Betroffene berichten, aus diesem Grund keine Reisepässe zu beantragen, aus Furcht, die Daten könnten sie als ehemalige GIZ-Mitarbeitende verraten.

    Die GIZ gibt auf BR-Anfrage an, die Sicherheitsüberprüfungen seien von afghanischen Behörden durchgeführt worden. Die GIZ sei daran nicht beteiligt gewesen. Ob die afghanischen Behörden auch biometrische Daten aufgenommen hätten, sei ihr nicht bekannt. Allerdings liegen dem BR mehrere Ergebnisse solcher Sicherheitsüberprüfungen vor, in denen bestätigt wird, dass biometrische Daten erhoben wurden. Außerdem belegen E-Mails, dass Mitarbeitende des Projekts der GIZ genau solche Dokumente übersandt haben.

    Taliban suchen nach Lagern mit Lehrbüchern

    Ein weiteres Problem: Mitarbeitende mieteten in mehreren afghanischen Provinzen Lagerräume an, um Bücher, Unterlagen und Lehrmaterial aufzubewahren. Viele dieser Lagerräume sind offenbar bis heute nicht geräumt. In einigen sollen sogar Teilnehmerlisten und Dokumente über die Sicherheitsüberprüfungen lagern. Ehemalige Mitarbeitende fürchten nach eigenen Angaben um ihr Leben, falls die Räume entdeckt und die Dokumente in die Hände der Taliban gelangen sollten. Auf Facebook finden sich bereits Fotos von Lagerräumen, die in einer Provinz offenbar von den Taliban entdeckt und ausgeräumt worden sind. Über dem Facebook-Eintrag steht, man habe zwei "versteckte Lagerhäuser" ausfindig gemacht.

    Die GIZ gibt an, man habe die Mitarbeitenden weder angewiesen, noch ihnen dazu geraten, Räume zu mieten, um Material zu lagern. Allerdings zeigen Transportunterlagen und E-Mails, dass die GIZ hunderte Kilogramm Bücher und Lehrmaterial an die Mitarbeitenden geliefert hat. Ein Mitarbeiter berichtet, die GIZ habe trotz Nachfragen keine Lösung für die Lagerung des Materials angeboten.

    Hilfsorganisation: Dokumente nicht ausreichend gesichert

    Anna-Lena Uzman hat für die Hilfsorganisation Mission Lifeline mit zahlreichen ehemaligen Mitarbeitenden des GIZ-Polizeiprojekts gesprochen. Sie sagt: "Wir wissen, dass die Dokumente nicht in einer Art und Weise aufgehoben worden sind, wie es nach deutschen Standards angebracht gewesen wäre, sondern in Lagerhäusern, ungesichert, ungeschützt." Sie habe von ihren Kontakten Informationen über 34 dieser Lagerräume erhalten, schließt aber nicht aus, dass es noch mehr gab. Dass ehemalige Mitarbeitende aufgrund ihrer Tätigkeit für das GIZ-Polizeiprojekt gefährdet sind, steht für Uzman außer Frage: "Sie werden deshalb von den Taliban als Teil der Sicherheitskräfte betrachtet."

    Das Auswärtige Amt, in dessen Auftrag die GIZ das Projekt durchführte, ließ Fragen zur Situation der ehemaligen Mitarbeitenden unbeantwortet. Das für die GIZ zuständige Bundesentwicklungsministerium gibt an, Erkenntnisse über eine systematische Verfolgung von ehemaligen Ortskräften der Entwicklungszusammenarbeit oder Werkvertragsnehmern lägen nicht vor. Dies schließe nicht aus, dass es in einzelnen Fällen zu individuellen Gefährdungen kommen kann oder gekommen ist. Für diese Menschen bestehe die Möglichkeit der Stellung einer Gefährdungsanzeige beim jeweiligen ehemaligen Arbeitgeber.

    Die Sprecherin für Fluchtpolitik der Linken im Bundestag Clara Bünger sagt im BR-Interview, die GIZ habe sich keine Gedanken gemacht, wie die Sicherheit der afghanischen Mitarbeiter geschützt werden könne. Sie fordert, gefährdete Menschen schnell zu evakuieren: "Das Dramatische ist, dass man sehenden Auges diese Menschen alleine zurücklässt. Und da müssen wir einfach schneller handeln. Da muss mehr passieren."

    Einer der ehemaligen GIZ-Mitarbeiter berichtet dem BR, seit der Machtübernahme der Taliban vor neun Monaten habe er keine ruhige Nacht mehr gehabt, weil er ständig auf der Flucht ist. Deutschland, sagt er, habe ihn vergessen.

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