Ein Papst im Ruhestand: Ein Leben, das ganz dem Gebet und dem Rückzug gewidmet ist, wollte Joseph Ratzinger nach seinem Rücktritt 2013 leben. Stattdessen stand er immer wieder im Mittelpunkt des Interesses. Zum Beispiel im Januar 2022, als das Missbrauchsgutachten des Erzbistums München und Freising vorgestellt wurde. Ratzingers Umgang damit wurde heftig kritisiert.
Der Theologe Wolfgang Beinert ist ein ehemaliger Schüler von Joseph Ratzinger. Später wurde er sein Assistent. Und bis zuletzt war er ein enger, aber auch kritischer Begleiter des emeritierten Papstes. Über Benedikts Jahre im Ruhestand sagt Beinert:
"Die Zeit nach seinem Rücktritt ist schiefgelaufen, als ganze." Wolfgang Beinert, Ratzinger-Schüler
Ratzinger-Schüler: "Es kann nur einen Papst geben"
Wolfgang Beinert fürchtet, dass diese letzten Jahre den Blick der Nachwelt auf Ratzingers Lebenswerk bestimmen könnten: die Auseinandersetzung um das Münchner Missbrauchsgutachten, die missglückten Wortmeldungen. Dabei hatte Benedikt bei seinem Rücktritt angekündigt, "vor der Welt verborgen" leben zu wollen.
"Er hätte schweigen müssen, weil es nur einen Papst geben kann", sagt Beinert. "Die Gefahr besteht auch immer und der ist er wohl erlegen, dass seine Stellungnahmen instrumentalisiert werden. Dass er vielleicht auch darum gebeten worden ist und in seiner Gutherzigkeit gesagt hat 'Das mach‘ ich' und damit einfach Schaden angerichtet hat. Das lässt sich nicht bestreiten."
Vorwurf der Einmischung in die Politik Papst Franziskus'
Manche Texte, die der emeritierte Papst veröffentlicht hat, werden als Einmischung in die Politik seines Nachfolgers verstanden. Auch wenn diese immer erst nach Rücksprache mit Franziskus publiziert wurden. 2019 sieht Joseph Ratzinger in der sexuellen Revolution der 60er Jahre den Ausgangspunkt für den kirchlichen Missbrauchsskandal und nicht etwa in den Strukturen in der katholischen Kirche.
Im Januar 2020 veröffentlicht der ultrakonservative Kardinal Robert Sarah ein Buch zum Zölibat, Benedikt hat einen Artikel beigesteuert. Auch das wird als Einmischung in eine aktuelle kirchenpolitische Auseinandersetzung interpretiert. Zu Unrecht findet Benedikt-Biograph Peter Seewald: "Einem leidenschaftlichen Schriftsteller muss es schwerfallen nicht mehr zu publizieren. Auf der anderen Seite hat er peinlich darauf geachtet, seinem Nachfolger, dem er ja den Gehorsam geschworen hat, nicht in die Quere zu kommen. Und daran hat er sich gehalten."
Missbrauchsgutachten: "Lügengebäude krachend zusammengefallen"
Und dann der Januar 2022. Eine Münchner Rechtsanwaltskanzlei hatte im Auftrag des Erzbistums ein Gutachten vorgelegt, das dem ehemaligen Erzbischof von München und Freising, Joseph Ratzinger Fehlverhalten in vier Missbrauchsfällen vorwarf. Matthias Katsch, Sprecher der Opfervereinigung Eckiger Tisch, sagte nach der Veröffentlichung:
"Wir haben gerade live miterlebt, wie das Lügengebäude, was hier und für die Weltkirche um Papst Benedikt herum aufgebaut worden ist, krachend zusammengefallen ist." Matthias Katsch, Opfervereinigung Eckiger Tisch
Das "Lügengebäude": In seiner Antwort an die Gutachter macht der emeritierte Papst eine falsche Angabe, gibt an, bei einer Sitzung, bei der über die Versetzung eines späteren Missbrauchstäters entschieden wurde, nicht anwesend gewesen zu sein. Ein Protokoll belegt aber seine Präsenz. Joseph Ratzinger entschuldigt sich für dieses "Versehen", persönliche Verantwortung für den Einsatz des belasteten Priesters will er nicht übernehmen. Zum Bedauern von Wolfgang Beinert, der sich eine "Bitte um Vergebung" gewünscht hätte. Doch die "ist nie gefallen".
Gänswein hält Kritik aus Deutschland für unberechtigt
In den letzten Jahren verlassen Joseph Ratzinger mehr und mehr die Kräfte: Er sei "glasklar im Kopf", heißt es aus seinem Umfeld, aber die Stimme wird schwächer, er ist auf einen Rollstuhl angewiesen und auf Hilfe. Und so trifft die Kritik an Benedikt immer auch seinen Sekretär Georg Gänswein, der in den letzten Jahren als eine Art Sprecher des emeritierten Papstes fungiert.
- Zum Artikel: "Der frühere Papst Benedikt fühlt sich ungerecht behandelt"
Die Vorwürfe gegen Benedikt entbehrten jeder Grundlage, erklärte Erzbischof Gänswein einer italienischen Illustrierten kurz vor dem runden Geburtstag. Aber es gebe in der deutschsprachigen Welt eine Strömung, die versuche, "das theologische Werk Ratzingers anzugreifen und auch die Person zu verletzen".

Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. ist am Karsamstag 95 Jahre alt geworden.
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