ILLUSTRATION - Eine kleine Figur, die Bundeskanzlerin Angela Merkel darstellen soll, steht unter einer Deutschland-Fahne auf Buchstaben-Würfeln mit dem Schriftzug "WIR SCHAFFEN DAS", aufgenommen am 18.03.2017.
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Angela Merkels Motto "Wir schaffen das" fünf Jahre später auf dem Prüfstand.

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5 Jahre "Wir-schaffen-das": Was haben wir geschafft?

Merkels "Wir schaffen das" meinte eine riesige Aufgabe: Hunderttausende Geflüchtete unterzubringen, ihnen Asylverfahren zu gewähren, den Schulbesuch zu ermöglichen, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Was haben wir in fünf Jahren geschafft?

"Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das. Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden." Bundeskanzlerin Angela Merkel, 2015

Die Unterbringung:

Das Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat jüngst untersucht, wie und wo Geflüchtete wohnen und kommt zu einem positiven Ergebnis. 2016 lebte etwa die Hälfte in Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen, zwei Jahre später war es nur noch ein Viertel. Die meisten hatten eine private Mietwohnung.

Die Autorin der Studie, Kerstin Tanis, führt "diese positive Entwicklung" auf die gesunkene Zahl an neuankommenden Flüchtlingen zurück. Dadurch müssten die Kommunen weniger Menschen in Gemeinschaftsunterkünften unterbringen, die Chance, eine Wohnung zu bekommen, steige. Aber auch eine "fortschreitende Integration" sei Grund für die Entwicklung: Dadurch seien auch die Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt besser, so Tanis.

Auch nach Ansicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes hat sich die Unterbringungssituation Geflüchteter entspannt. Dass die Menschen weit überwiegend nicht mehr auf Gemeinschaftsunterkünfte angewiesen seien, zeige, dass sie in vielen Fällen in den Kommunen und der Gesellschaft angekommen seien. Die Kommunen seien aufgrund der Erfahrungen aus den Jahren 2015 und 2016 besser aufgestellt, zieht der Städte- und Gemeindebund sein Resumée, mahnt aber: die Aufnahmefähigkeit sei weiter begrenzt.

Die Asylverfahren:

Als 2015 und 2016 mehr als eine Million Menschen in Deutschland einen Asylantrag stellten, war das zuständige Bundesamt BAMF völlig überfordert. Asylverfahren dauerten im Schnitt sieben Monate, wobei manche Flüchtlinge ein halbes Jahr warten mussten, bis sie überhaupt einen Asylantrag stellen konnten. Die Zahl der sogenannten Altfälle stieg rasant. So mussten Ende 2016 mehr als 50.000 Asylbewerber schon länger als 18 Monate auf den Abschluss ihres Verfahrens warten. Mehr Personal und einige Gesetzesänderungen schafften Abhilfe; zwischenzeitlich liefen die Verfahren zügiger und BAMF-Chef Hans-Eckhard Sommer verkündete im April 2019 in einem Zeitungsinterview:

"Im Schnitt brauchen wir rund drei Monate für die Bearbeitung. In den Ankerzentren sind die Zeiten noch viel kürzer. Wir sind mittlerweile so schnell, dass kaum noch eine Beschleunigung möglich ist." BAMF-Chef Hans-Eckhard Sommer

Eine Beschleunigung, die womöglich zu Lasten der Qualität ging. Zahlreiche Geflüchtete klagten erfolgreich gegen ihre Asylbescheide: 2017 hoben Gerichte in 22 Prozent aller Klagefälle einen Asylbescheid auf, vergangenes Jahr waren es knapp 15 Prozent. Behörden-Chef Sommer sieht das BAMF deutlich besser aufgestellt als 2015. Er räumt aber ein, dass eine ähnlich hohe Zahl an Asylanträgen wie damals auch heute noch "eine Herausforderung" wäre.

Die Schulen:

Die vielen Menschen, die seit 2015 nach Deutschland kamen, stellten auch die Schulen vor neue Herausforderungen. Geschätzt bis zu 400.000 Flüchtlingskinder mussten im Schuljahr 2015/16 zusätzlich unterrichtet werden - ohne die deutsche Sprache zu können.

"Es gab keine Konzepte in den Ländern", sagt Anant Agarwala, Autor des Buchs "Das Integrationsexperiment - Flüchtlinge an der Schule". Seine Bilanz nach fünf Jahren erscheint Mitte September im Handel. Laut Agarwala wurden viele Kinder meist in gesonderten Klassen unterrichtet, damit sie Deutsch lernen, um sie dann in den normalen Unterricht einzugliedern. "Das hat nicht überall gleichermaßen funktioniert", sagt Agarwala im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Doch er fügt hinzu: "Man kann von einem Teilerfolg sprechen."

Viele Schülerinnen und Schüler, die als Geflüchtete 2015/16 nach Deutschland gekommen sind, hätten auch Abschlüsse erreicht, vor allem Hauptschulabschlüsse, aber auch mittlere Schulabschlüsse. Ganz wenige bislang haben laut Agarwala das Abitur erreicht. "Aber", betont der Autor, "auch relativ wenige scheinen die Schulen ganz ohne Abschlüsse zu verlassen." Es stelle sich aber die Frage, wieviel mehr möglich wäre, wenn es Förderkonzepte und eine bessere Ausstattung gäbe. "Da ist noch Luft nach oben", so Agarwala.

Der Arbeitsmarkt:

Wer schlecht oder kaum Deutsch spricht, findet nur schwer einen Job. Auch fehlende formale Berufsabschlüsse spielen dabei eine Rolle. Dennoch verläuft in Deutschland die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt besser als in anderen Ländern, sagt Daniel Terzenbach vom Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.

"Rund 50 Prozent der geflüchteten Menschen sind in den Arbeitsmarkt integriert und davon rund die Hälfte auch als Fachkraft oder in Fachkraft-Tätigkeit." Daniel Terzenbach, BA-Vorstand

Vor allem junge Männer hätten eine Arbeit gefunden; bei Frauen sei dies aufgrund kultureller Muster und Kinderbetreuung oft schwieriger. Eine Studie des BAMF und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab: Geflüchtete, die ab 2013 nach Deutschland kamen, integrierten sich schneller in den Arbeitsmarkt als dies früher der Fall war, etwa in den 1990er Jahren im Zuge der Balkankriege. Die Autoren der Studie nennen mehrere Gründe: mehr Jobs, mehr Sprachkurse, mehr Integrationsprogramme.

Allerdings: Während der Corona-Pandemie hat die Arbeitslosigkeit von Geflüchteten deutlich zugenommen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit liegt das daran, dass Flüchtlinge häufiger in Branchen arbeiten, in denen sich die Krise besonders stark auswirkt, etwa in Hotels oder in der Gastronomie.

Fünf Jahre "Wir schaffen das" - das Fazit:

Was wurde also geschafft in den vergangenen fünf Jahren? Von allem etwas und vieles nicht, so ließe sich das Ergebnis wohl am besten zusammenfassen. In allen Bereichen bleibt noch einiges zu tun, um Geflüchtete besser zu integrieren und zu verhindern, dass sich eine Situation wie 2015 wiederholt.

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