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Freihandelsabkommen Einhellige Empörung über Junckers CETA-Vorstoß

Wenige Tage nach dem Brexit-Beschluss probt EU-Kommissionschef Juncker den Machtkampf mit den nationalen Parlamenten: Das umstrittene Freihandelsabkommen CETA soll ohne ihre Mitwirkung beschlossen werden. Die Reaktionen von Bundesregierung und Opposition sind deutlich.

Von: Michael Kubitza

Stand: 29.06.2016

Protest gegen TTIP und CETA im Mai in Brüssel | Bild: picture-alliance/dpa

Haben die nationalen Parlamente beim Beschluss weitreichender EU-Freihandelsabkommen mitzureden oder nicht? EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagt Nein - und bestätigt damit Insiderberichte von Mitte Juni. Juncker will den Vertrag als sogenanntes "nicht-gemischtes Abkommen" behandeln. Damit würden nicht die Parlamente der 28 Mitgliedsländer, sondern nur das EU-Parlament über CETA abstimmen. Der Rat der EU könnte die Einschaltung der nationalen Parlamente zwar fordern - allerdings nur mit einstimmigem Votum. Aus der Bundesregierung kommt heute deutlicher Widerspruch.

"Wenn wir EU-Abkommen aus politischen Gründen zur gemischten Zuständigkeit erklären, ist das ein Rezept zur Lähmung der EU"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

"Egal, wie das Ganze endet, wir werden den Bundestag um eine Meinungsbildung bitten, damit wir sozusagen auch die Partizipation des Bundestages haben, weil wir das als Unterstützung für unser Votum in Brüssel brauchen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel

"Das dumme Durchdrücken von CETA würde alle Verschwörungstheorien zu den geplanten Freihandelsabkommen explodieren lassen. (...) Wenn die EU-Kommission das bei CETA macht, ist TTIP tot."

Sigmar Gabriel

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte Junckers Vorstoß "unglaublich töricht". Die SPD will am 19. September bei einem Parteikonvent in Wolfsburg entscheiden, ob sie den CETA-Vertrag , der als Blaupause für das TTIP-Abkommen mit den USA gilt, mitträgt.

Linke kündigt Bundestagsinitiative an

Auch die Opposition reagierte unwirsch auf die Pläne der EU-Kommission. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter beklagte, vor dem Hintergrund des Brexit befeuere Juncker "EU-Skepsis und Politikverdrossenheit". Linksfraktionsvize Klaus Ernst stellte fest, es sei "genau dieses Machtgehabe und diese Selbstherrlichkeit in Brüssel, das die Europäische Union gefährdet." Ernst kündigte an, dass seine Partei unmittelbar nach der Sommerpause einen Antrag in den Bundestag einbringen werde, der die Bundesregierung bei CETA binden solle.

Durchwinken im Windschatten des Brexit?

Dass die Kommission entsprechende Überlegungen kurz nach dem britischen Referendum öffentlich macht, gleicht einer Flucht nach vorne. Für Juncker geht es um "die Glaubwürdigkeit, überhaupt noch Handelsabkommen verhandeln zu können." Ein Kommissionsvertreter erklärte, wenn das Abkommen durch 70 nationale und regionale Parlamente und voraussichtlich auch mehrere Volksentscheide müsse, drohe ein Scheitern auf der Zielgeraden. Juncker will den Spieß jetzt umdrehen. Er weiß: ein einstimmiges Votum des EU-Rats ist in der Gemeinschaft der 28 schwer herzustellen. Italien hat bereits angedeutet, der EU-Kommission folgen zu wollen.

Streitpunkt: "Gemischte Abkommen"

Die EU besitzt die exklusive Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik, die Agrar- und Fischereipolitik - auf diesen Feldern darf sie als "Rechtsperson" Abkommen mit Drittländern abschließen. In allen anderen Bereichen werden internationale Abkommen von EU und Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen ("gemischte Abkommen").

Da CETA - und das ähnlich konstruierte TTIP - weit über klassische Handelsabkommen mit ihren Zoll- und Normierungsvereinbarungen hinausgehen und die Rechte etwa von Arbeitnehmern und Verbrauchern beeinträchtigen können, betrachtet die Bundesregierung sie als gemischte Abkommen. Zur gleichen Auffassung kommt ein Gutachten des Instituts für Völkerrecht. Der UN-Menschenrechtsexperte Alfred de Zayas sieht im Vorgehen der EU-Kommission sogar eine Verletzung internationaler Menschenrechtsnormen.

Kritik an Juncker wächst

Blieben beide Seiten bei ihrer Auffassung, wäre das ein einmaliger Vorgang: der Bundestag würde einen Beschluss fassen, den die EU-Kommission nicht anerkennt.

Das es dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Selbst Juncker räumt ein, dass eine Behandlung durch die nationalen Parlamente "in Erwägung gezogen werden müsse." Denn auch in anderen Mitgliedsstaaten würde Junckers Vorgehen massiven Widerspruch hervorrufen - der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat das bereits angekündigt. Und erst gestern hatte Tschechien Juncker Versagen in der Behandlung des britischen Referendums vorgeworfen und ihn indirekt zum Rücktritt aufgefordert.

Juncker sei "in diesem Moment nicht der richtige Mann an dieser Stelle", so Außenminister Lubomir Zaoralek. Der Eindruck, den die Kommission in der aktuellen Vertrauenskrise der EU vermittelt, ist tatsächlich fatal - und ruft ein berüchtigtes Zitat des seit den Luxleaks-Enthüllungen ohnehin vorbelasteten Juncker aus seiner Zeit als Luxemburgischer Regierungschef ins Gedächtnis.

"Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt."

Jean-Claude Juncker 1999 im 'Spiegel'

Die Musiklehrerein Marianne Grimmenstein aus Lüdenscheid sieht in CETA einen beispiellosen Verfassungsbruch. Sie hat zehntausende Menschen aktiviert und die größte Verfassungsklage in der Geschichte der Bundesrepublik auf die Beine gestellt. Ein Gespräch.


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Rüdiger von Gizycki, Samstag, 02.Juli 2016, 15:41 Uhr

22. EU-Verdruss

Da hat man aufgrund des Brexit ganz ernsthaft vor, dass die EU besser wird und was macht Junker? Der macht gleich nach dem Englandausttritt den Parlamenten und den EU-Bürger die lange Nase. Ich bin nicht EU-verdrossen und fühle mich als Europäer. Aber so fühle mich abgrundtief verarscht. Ich zweifle an seinem Verstand und muss annehmen, das er offenbar an Realitätsverlust leidet. Der hat den letzten Schuss nicht gehört.

Toni, Donnerstag, 30.Juni 2016, 12:19 Uhr

21. Demokratia

Wenn ein Volk so getretten wird von unseren Euro gewählten ( bestimmten), wie soll man da noch Euro-freundlich sein oder werden
nach Steuertricks,null Zins-Politik ,Gelddruckmaschine und Brexit nun auch Demokratiebeschneidung , wann wird das Europ. Palament
wieder gewählt ? , oder sollen wir Bayern mit Badenwürtenberg und Österreich einen Mixxit verlangen und mit der Schweiz eine Alpenrepublick
gründen ? Den bei so einer Führung will ich nicht mehr geführt werden
Wacht auf bevor auch Tipp in vorbeiwinken wahr wird .

Manfred, Donnerstag, 30.Juni 2016, 11:28 Uhr

20. CETA-Vorgehen unglaublich

Kaum versteht unser Gehirn, dass in Großbritannien tatsächlich (!) die "leave-Kampagne" sozusagen erfolgreich war da schockt Herr Juncker den ich bislang eigentlich für recht verantwortlich handelnd eingeschätzt habe, die Nationen. Ich fürchte sein offensichtlicher Realitätsverlust bleibt weiterhin unbehandelt aber ich denke mal nicht, dass er auf Unterstützung der durchaus nicht komplett verdummten Bevölkerung europäischer Staaten und schon gar nicht auf die Presse hoffen darf. Gott sei Dank gibt es letztere: was würden wir sonst wohl alles nicht erfahren...! Auch wenn ich den Brexit weder begrüße noch ihm wirklich sinnvoll-positives abgewinnen kann. Das Verständnis für "Brüssel-Verdrossenheit" wächst mehr und mehr...! Man kann nur hoffen, das kompetentere und für die Einwände von Bürgerinnen und Mitgliedsstaaten aufgeschlossenere Verantwortliche in Kürze das Ruder übernehmen...

  • Antwort von vertrauensunwürdig, Donnerstag, 30.Juni, 12:29 Uhr

    "... den ich bislang eigentlich für recht verantwortlich handelnd ..."
    Ich sag nur LuxLeaks. Dem neoliberalen Antidemokraten war noch nie zu trauen.

Henning, Mittwoch, 29.Juni 2016, 16:58 Uhr

19. CTEA Abkommen

Man kann sicher darüber streiten, ob es sich um Selbstherrlichkeit, Ignoranz oder Allmachtsgefühle handelt. Selbst nach dem Austritt der Briten scheint Herr Junker nichts gelernt zu haben. Genau dieses Verhalten hat die Briten vergrauelt und wenn Herr Junker und Gefolge so weiter machen, werden weitere folgen.
Der Zeitpunkt ist ideal für die Briten sich neu zu erfinden. Es sollte aber auch der Zeitpunkt sein das sich die EU neu erfindet!
In dieser Situation das CETA Abkommen durchzudrücken ist nicht nur trurig, es ist höhst bedenklich.
Herr Junker, fragen Sie doch einfach mal die verbliebenen europäischen Bürger. Informieren Sie sie und machen dubiose Hinterzimmergeschäfte transparent. Ich bin sicher Sie würden eine überwältigende Zustimmung für ein solches Vorgehen erfahren.
Da bietet sich für Sie eine volkommen neue Perspektive - nämlich zufriedene EU Bürger!

  • Antwort von will ich nicht, Donnerstag, 30.Juni, 12:32 Uhr

    "... fragen Sie doch einfach mal die verbliebenen europäischen Bürger. Informieren Sie sie und machen dubiose Hinterzimmergeschäfte transparent."
    Das ist von der neoliberalen Lobbyisten-Clique nicht gewollt.

Beck, Mittwoch, 29.Juni 2016, 16:47 Uhr

18. Junker

Hr. Junker hat doch gar nichts verstanden! Nach BREXIT muss doch endlich die Europäische Idee mit neuem Geist inspiriert und populär gemacht werden. Das geht doch nur mit mehr Teilhabe, Demokratie und Transparenz! Und was macht der größte Steuerverschieber der EU an dem Tag, an dem die Veröffentlicher des Skandals verurteilt werden? Er verlängert gegen großen Widerstand in der Bevölkerung die Genehmigung von Glyphosat und gegen sogar mehr Widerstand will er CETA durchwinken - ohne Beteiligung der Parlamente!!

DER MANN IST ALS EU-KOMMISAR NICHT MEHR HALTBAR!!!