"Wir sind am Ende der Leistungsfähigkeit, es geht nicht mehr!" Diese drastischen Worte findet der Landrat von Miltenberg, Jens Marco Scherf (Grüne), in einer Pressemitteilung angesichts der Neuaufnahme Geflüchteter aus Kriegsgebieten. Schon in einer Bilanz der Regierung von Unterfranken hieß es Anfang der Woche: Die Aufnahmeeinrichtungen im Bezirk sind voll.
Landrat: "Wir haben die Ressourcen nicht mehr"
Der Miltenberger Landrat hat sich auch in einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Grünen-Spitze im Bundestag gewandt: "Wir haben die Ressourcen nicht mehr, weder Wohnraum für Unterbringung noch bei der Versorgung, Betreuung und Integration der Menschen.
So seien die Kommunen dauerhaft überfordert", warnt der Landrat. Es müsse dringend etwas passieren, fordert er. Sowohl der Bayerische Landkreistag als auch der Kreisverband des Bayerischen Gemeindetags stünden an seiner Seite. Und anders als zuvor geplant, widmeten sich auch die CSU-Landtagsabgeordneten bei ihrer Winterklausur doch den Geflüchteten.
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Klingenberg hilft mit Notunterkunft aus
Dank der Unterstützung durch die Stadt Klingenberg und durch die Hilfe des Roten Kreuzes sei es dem Landkreis gelungen, in einer leerstehenden alten Schule im Stadtteil Röllfeld eine Notunterkunft einzurichten, in der Ende des Monats die ersten 30 Geflüchteten aus Kriegsgebieten einziehen sollen.
Platz wäre für 60 Menschen, aber zunächst müsse sich alles erst einmal einspielen, bevor die nächsten Geflüchteten aus dem Ankerzentrum in Schweinfurt kommen. Auch die Ankerzentren seien überlastet. Aktuell nimmt Bayern rund 15,56 Prozent aller in Deutschland ankommenden Asylbewerber auf. Innerhalb des Freistaates regelt die Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) die Verteilung.
Laut Mitteilung des Miltenberger Landrats fehlen in seinem Kreis weitere dezentrale Unterkünfte, weshalb nun eine möglichst kurzfristige Notunterbringung erfolgen muss. Scherf favorisiert bei der Aufnahme solange wie möglich Lösungen wie in Röllfeld. Das Sozialamt würde im Notfall aber auch leerstehende Gewerbeimmobilien anmieten.
Erst als allerletztes Mittel wolle er wieder Schulturnhallen oder Stadthallen belegen, so wie im vergangenen Frühjahr. "In den zurückliegenden Pandemiewintern war der Vereins- und Schulhallensport stark eingeschränkt, ganz besonders auch zu Lasten der Kinder und Jugendlichen! Deshalb ist die Nutzung von Sporthallen die ultima ratio, die wir unbedingt vermeiden wollen", erklärt Scherf.
Keine Personalkapazitäten mehr
Tatsächlich sei die Situation jetzt, auch nach der erfolgreichen Aufnahme und Versorgung von über 1.500 Menschen aus der Ukraine, noch besorgniserregender, so Scherf. Man habe mehr Geflüchtete aufgenommen als damals, schrieb er nach Berlin, denn ohne Berücksichtigung der aus der Ukraine Geflüchteten ist im Jahr 2022 die Anzahl der Asyl-Erstanträge in Deutschland um 50 Prozent gestiegen.
Auch gebe es keine Personalkapazitäten mehr, weder für die Verwaltung noch die Betreuung der Geflüchteten. Schulen und Kindertagesstätten seien übervoll. Im Idealfall sollen Geflüchtete nach der Notaufnahme möglichst schnell in dezentrale Unterkünfte im Landkreisgebiet umziehen. Das sei aber das nächste Problem. Scherf zufolge ist der Wohnungsmarkt so gut wie leergefegt.
Aber selbst wenn die Unterbringung gelingen sollte, bereitet dem Landrat ein weiteres Problem Bauchschmerzen: "Die Integration der Geflüchteten wird zum Zufallsprodukt." Man werde Menschen vielleicht unterbringen können, "aber wir werden uns nicht in diesem Maße um sie kümmern können. Integration ist ein langwieriger Prozess, für den wir derzeit weder die notwendige Zeit und noch die entsprechenden Ressourcen haben."
Berlin müsse Überforderung der Kommunen anerkennen
Deshalb braucht es dem Landrat zufolge Unterstützung von der Bundesregierung. In einem Brief an Bundeskanzler Scholz, den auch der Kreisvorsitzende des Gemeindetags, Jürgen Reinhard (CSU), unterzeichnet hat, erklärt Scherf die oben dargestellte Situation und wird deutlich: "Wir bitten Sie dringend um eine spürbar stärkere Steuerung und auch Begrenzung der durch die Kommunen aufzunehmenden flüchtenden Menschen." Berlin müsse die Überforderung der Kommunen anerkennen und wissen, dass die Aufnahme Geflüchteter weitere Herausforderungen mit sich bringe.
Um das Problem zu lösen, braucht es dem Landrat zufolge die klare Trennung einer gesteuerten und notwendigen Einwanderung von Arbeitnehmern und einer nachhaltigen Hilfe für Geflüchtete. Dazu sei eine EU-weite, koordinierte Politik notwendig, die Hilfen für Geflüchtete in den Nachbarländern sowie eine gezielte und geplante Aufnahme in begrenztem Umfang in Länder der EU vorsieht. Aufgabe des Bundes müsse eine Neugestaltung der Migration und der Flüchtlingspolitik sein. Hierfür sei es notwendig, einen Dialog mit den Kommunen zu beginnen.
- Zum Artikel "Fluchtjahr 2022 - Hat Europa nach 2015 dazugelernt?"
Die Forderungen des Landrats stimmen mit der sogenannten Brüsseler Erklärung der Bayerischen Landrätinnen und Landräte zur Asyl- und Migrationspolitik überein. Aktuell hat sich der Bayerische Landkreistag auch an das Präsidium des Deutschen Landkreistags mit der Bitte bei der Unterstützung eines gemeinsamen Gesprächstermins bei Bundeskanzler Scholz gewendet.
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