Pfleger mit einem Bewohner des Pflegeheims Fantaisie der Diakonie in Eckersdorf
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Zeitarbeit in der Pflege: Dringend nötig, aber unbezahlbar

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Zeitarbeit in der Pflege: Dringend nötig, aber unbezahlbar

Zu wenig Personal – das ist ein riesiges Problem, mit dem Pflegeheime und Kliniken derzeit kämpfen. Um die personelle Lücke zu füllen, werden Zeitarbeitsfirmen engagiert – doch die bringen die Einrichtungen in noch größere Nöte.

Der Einsatz von Zeitarbeitenden bringt Pflegeheime an den Rand ihrer Existenz, warnen Vertreter der Diakonie Bayern. Um die Versorgung von Bewohnern und Bewohnerinnen trotz Personalmangels sicherzustellen, seien Einrichtungen immer häufiger auf Zeitarbeitsfirmen angewiesen.

Diese würden von der Notsituation der Einrichtungen profitieren und die Personalknappheit massiv ausnutzen. Denn die von den Zeitarbeitsfirmen abgerechneten Gehälter seien deutlich höher als die der regulären Beschäftigten. Die Einrichtung müsse auf diese Weise bis zu 10.000 Euro im Monat für die einzelne Kraft zahlen - für die Pflegekraft ein Plus von bis zu 1.000 Euro im Monat, für das Heim fatal. Getragen werden müssten die Mehrkosten von den Einrichtungen.

Besuch in einem Pflegeheim in Eckersdorf

Es gibt Kaffee und Kuchen im Senioren-, Wohn- und Pflegeheim Fantaisie der Diakonie im oberfränkischen Eckersdorf. Viel Zeit nimmt sich Pfleger Jens Hülsmann, um einen alten Herren zu füttern. Der Senior leidet an einer Form der Parkinson-Krankheit, die Bewegung mühsam und beschwerlich macht. Bei jedem Bissen muss Hülsmann aufpassen, dass die kleinen Kuchenstückchen nicht in der Luftröhre landen und der Mann daran erstickt. Dazu braucht es ein über lange Zeit gewachsenes Vertrauen zwischen Pfleger und Patient, so Jens Hülsmann: "Die Leute, die frisch sind, die trauen sich da auch nicht so richtig ran. Ich meine, das ist ja in Ordnung. Aber, dadurch bleibt halt die Arbeit bei denen hängen, die ihn kennen und die ihn auch fördern können und wollen."

"Die Leute, die frisch sind." Damit meint Hülsmann Leiharbeiter im Haus Fantaisie in Eckersdorf. 57 Plätze hat die kleine Einrichtung, aber nur 48 davon sind belegt. Es fehlen hier sieben Vollzeitkräfte. Das Personal wird durch Leiharbeiter verstärkt. Und genau das bringt Pflegeheime an den Rand des Ruins, wie Sabine Weingärtner, Präsidentin der Diakonie Bayern, vorrechnet.

Zeitarbeitsfirmen nutzen schlechte Personalsituation aus

"Leider haben wir im Moment die Situation, dass das von vielen Zeitarbeitsfirmen ausgenutzt wird", so Weingärtner. "Das heißt, die Preise für Leiharbeiter, die geschickt werden, steigen. Wir haben teilweise bis zu 10.000 Euro pro Monat pro Leiharbeitskraft in unseren Einrichtungen. Und das hat natürlich verheerende Folgen für die Einrichtungen. Bis dahin, dass sie kurz vor der Insolvenz stehen dadurch."

Kliniken, Senioren- und Pflegeheime aller Träger – privat und gemeinnützig – müssen fehlende Stammkräfte mit Leiharbeitern verstärken. Und das treibt die Preise, so Tobias Mähner, Vorstand für Personal bei der Diakonie Martha Maria, die Krankenhäuser in Nürnberg und München betreibt. Mähner kennt die Situation der beiden Kliniken genau: "Das ist eine Pervertierung des Systems. Leiharbeit hat man ja eigentlich mal erfunden, um Menschen, die arbeitslos sind, einen Zugang in die Arbeitswelt zu verschaffen. Und inzwischen stellen wir fest, dass in der Pflege Menschen aus bestehenden Arbeitsverhältnissen, tariflich bezahlten Arbeitsverhältnissen, abgeworben werden, um dann quasi in einem zweiten Schritt den gleichen Einrichtungen wieder als Arbeitskräfte auf Leihbasis angeboten zu werden."

Keine Zahlen zu Zeitarbeit in der Pflege

Zahlen darüber, wie viele Beschäftigte von Zeitarbeitsfirmen in Pflegeeinrichtungen und Kliniken arbeiten, gibt es nicht. Die Bayerische Krankenhausgesellschaft arbeite daran, hieß es. Ein Sprecher verweist auf eine Erhebung der Deutschen Krankenhausgesellschaft aus dem Jahr 2022. Darin heißt es: "Im Frühjahr 2022 hatten 89 Prozent der Krankenhäuser Probleme, offene Pflegestellen aus Allgemeinstationen zu besetzen. Mit steigender Krankenhausgröße nimmt der Anteil der betroffenen Häuser noch zu.“

Offene Stellen in Kliniken bleiben rund ein halbes Jahr lang unbesetzt. Im Durchschnitt würden 21 Vollzeitstellen unbesetzt bleiben, so eine Umfrage 2022 des Deutschen Krankenhausinstituts ("Krankenhausbarometer", Seite 69). Und weiter: "Im Ärztlichen Dienst haben 2021 zwei Drittel der Krankenhäuser Honorar- und Zeitarbeitskräfte eingesetzt. In der Pflege auf den Allgemein- und Intensivstationen waren es jeweils gut die Hälfte", heißt es dort weiter (Seite 76).

Zeitarbeitsfirmen haben die besseren Karten

Mit Nacht- und Wochenendzuschlägen lässt sich in der Pflege gutes Geld verdienen. Die Politik hat momentan keine richtige Lösung, doch es liegt nicht am Gehalt allein. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU): "Ich glaube, es muss das gute, reguläre Arbeitsverhältnis finanziert werden, dann werden wir sehen, Leiharbeit nimmt ab und die Menschen haben wieder Freunde an ihrem Beruf."

Momentan haben aber Leiharbeitsfirmen einfach die besseren Karten. Sie können Dienstautos bieten und einen Verzicht auf Nacht- und Wochenenddienste. Da können die Einrichtungen nicht mithalten. Und die Stimmung unter den tariflich Beschäftigten leidet durch die ungleiche Behandlung und Bezahlung. Das erhöht die Attraktivität von Pflegeberufen in keinem Fall.

Zeitarbeit in der Pflege: Dringend nötig, aber unbezahlbar
Bildrechte: BR24

Zeitarbeit in der Pflege: Dringend nötig, aber unbezahlbar

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