Transparent mit der Aufschrift "Wieder wird ein Haus entmietet und bezahlbarer Wohnraum zerstört"
Bildrechte: Mira Barthelmann

Transparent mit der Aufschrift "Wieder wird ein Haus entmietet und bezahlbarer Wohnraum zerstört"

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Wohnen in München: Ringen um jeden Quadratmeter

Mieter finden in München kaum Wohnraum. Sie konkurrieren mit Investoren, die mit den Objekten große Gewinne erzielen. Bezahlbare Mietwohnungen zu erhalten ist nur in Ausnahmefällen möglich. Den Kommunen sind meist die Hände gebunden.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Alles beginnt vergangenen Sommer mit einem Gerücht. Das Gebäude im Münchner Stadtteil Sendling, in dem Albert Knoll seit 18 Jahren in einer Mietwohnung lebt, soll verkauft werden. Und tatsächlich taucht bald ein Makler auf, wenige Wochen später ist das Immobiliengeschäft abgewickelt.

Der neue Eigentümer wendet sich mit mehreren Schreiben an die über 30 Mietparteien. Albert Knoll fasst Anfang Dezember die Lage vor dem Bezirksausschuss Sendling zusammen: "Der erste Schritt war, dass die Ankündigung des Umbaus Anfang September in unsere Briefkästen flatterte. Der zweite Schritt war noch im selben Monat eine Mieterhöhung."

Anpassungen an den Mietspiegel kommen in München und anderswo tagtäglich hundertfach vor. Doch die Mieter in Sendling fürchten Luxussanierungen und den Verkauf ihrer vier Wände zu Preisen, die sie sich nicht leisten können.

Mieter in München wehren sich

Inzwischen haben sich die meisten Bewohner zu einer Mietergemeinschaft zusammengeschlossen. Mit Unterstützung des Mietervereins München wollen sie kämpfen. Der Mieterverein hat in München mehr Zulauf denn je.

Stephan Immerfall vom Mieterverein schwört die verunsicherten Mieter in Sendling bei einer Versammlung ein: "Ich wollte Sie auch noch mal ganz kurz motivieren: Lassen Sie sich nicht einschüchtern. Wir kennen diese Spielereien. Wir sind darauf vorbereitet. Die Investoren werden versuchen, Sie auseinanderzutreiben. Sie bieten Aufhebungsvereinbarungen und dergleichen an. Bleiben Sie also ruhig. Für Panik gibt es keinen Anlass."

Sechs Jahre sollen die Sanierungsarbeiten dauern, so steht es in dem Schreiben des neuen Eigentümers. Für die Mieter eine unvorstellbar lange Zeit.

Denkmalschutz als Abhilfe?

Um den Charakter des über 100 Jahre alten Mietshauses in seiner ursprünglichen Form zu erhalten, haben die Mieter nun eine Überprüfung veranlasst, ob das Objekt unter Denkmalschutz gestellt werden kann. Eine Sanierung ließe sich damit zwar nicht abwenden, der Investor müsste sich aber an strikte und vor allem kostspielige Auflagen halten. Den gegebenenfalls letzten Schritt, nämlich eine Umwandlung der Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, können die Mieter mittel- und langfristig aber nicht verhindern.

Sollte es so weit kommen, würde es für die meisten finanziell eng bis unmöglich werden zu bleiben. Der Investor, die VK Wohnbau GmbH, äußert sich auf BR-Anfrage schriftlich: "In unserem Portfolio finden sich sowohl Gebäude, die wir im Bestand halten, als auch Objekte, die nach Sanierung wieder veräußert werden. Konkretisierte Pläne für die Bruderhofstr. 43 / Schäftlarnstr. 92 haben wir noch nicht."

Vorkaufsrecht liegt weitgehend auf Eis

Das Haus in Sendling liegt außerhalb eines Erhaltungssatzungsgebietes. Das heißt, auch die Kommune kann nicht zugreifen und dem Investor das Objekt wegschnappen. Doch auch in ausgewiesenen Gebieten, in denen die alten Milieus eigentlich einen besonderen Schutz genießen, haben Städte und Gemeinden kaum mehr Spielraum zuzugreifen. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat das Instrument weitgehend außer Kraft gesetzt.

Zwischen Sendling und dem Stadtteil Maxvorstadt liegen sechs Kilometer. Hier klafft mitten in der Türkenstraße eine noch recht frische Baulücke. Noch unter Ex-Bundesbauminister Horst Seehofer wurde das sogenannte Baulandmobilisierungsgesetz verabschiedet. Dass es bisher wenig weiterhilft, zeigt sich hier.

Stefan Sasse steht an einem Bauzaun und blickt auf eine riesige, graue Freifläche. Hier in der Türkenstraße 50 hat der Drehbuchautor fast 20 Jahre gewohnt. "Es ist so eine Mischung aus schönen Erinnerungen, aber eben auch einer sehr schmerzhaften Gegenwart, weil es doch sehr brutal ist, zu sehen, dass der eigene Lebensmittelpunkt blitzschnell verschwinden kann."

Verordnung lässt auf sich warten

Ein Investor hatte das ehemalige Mietobjekt gekauft. Es folgte die Entmietung und dann rückte der Bagger mit der Abrissbirne an. In dem quirligen Studentenviertel entsteht jetzt statt dutzender Mietwohnungen purer Luxus. Die 59 Eigentumswohnungen kosten jeweils zwischen knapp einer und acht Millionen Euro.

Doch soweit hätte es nicht kommen müssen. Mit der Anwendung des Baulandmobilisierungsgesetzes können Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt solche Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen zumindest teilweise verbieten. Doch im Freistaat lässt die Umsetzung des Bundesgesetzes seit über eineinhalb Jahren auf sich warten. Auf BR-Nachfrage antwortet das Bayerische Bauministerium schriftlich: "Die Verordnung wird voraussichtlich noch im 1. Quartal 2023 in Kraft treten."

Löchriger Schutz für Mieter

Immerhin hätten die Kommunen dann ein Instrument an der Hand, um den weiteren Ausverkauf von Mietwohnungen ein Stück weit einzudämmen. Ein neues Gesetz für das kommunale Vorkaufsrecht befindet sich dagegen noch auf unbestimmte Zeit in der Ressortabstimmung in Berlin.

Der Schutz von Mietern bleibt also löchrig. Auch wenn die Wahlversprechen vieler Parteien anders lauten: Wohnraum ist in Ballungszentren eine seltene Ware, mit denen Investoren nach wie vor hohe Gewinne erzielen können.

Video: Luxussanierung: Politik verzögert Mieterschutz

Balkone eines Miethauses
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Wohnen: Politik verzögert Mieterschutz

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