Menschen stehen vor der Tür des Wohnungsamts in Nürnberg
Bildrechte: BR/ Michael Reiner

Warten aufs Wohngeld: Vor dem Wohnungsamt in Nürnberg stehen die Antragsteller seit der Reform des Gesetzes Schlange.

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Wohngeld-Gesetz: Mehr Geld für Mieter – Kommunen am Anschlag

Das neue Wohngeld-Gesetz beschert Haushalten mit wenig Einkommen mehr Geld. Zudem bekommen mehr Menschen als bisher Zuschüsse. Was für sie gut ist, bringt die Kommunen an die Grenzen. Sie klagen über Kosten, die sie anderswo einsparen müssen.

Über dieses Thema berichtete Dossier Politik am .

Vor dem Eingang zum Wohnungsamt der Stadt Nürnberg hat sich eine Schlange gebildet. Wer einen Antrag auf Wohngeld stellen will, muss warten. So wie an diesem Vormitttag ein Familienvater. Vor sieben Monaten hat er den Antrag gestellt. Seither: Funkstille. Eine Bekannte unterstützt ihn beim Behördengang. "Wir sind jetzt persönlich hier, um zu schauen, wie lange es noch dauert", sagt sie. Die sechsköpfige Familie zahlt fast 1.100 Euro Miete im Monat. Mit etwa 600 Euro Wohngeld rechnet der Familienvater.

Wohngeld-Antrag: Wartezeit von einem halben Jahr

Doch bisher ist der Antrag noch nicht bearbeitet. So wie tausende andere auch. Grund dafür ist das neue Wohngeld-Plus-Gesetz, sagt Nürnbergs Sozialreferentin Elisabeth Ries (SPD). Seit Herbst hat die Zahl der Wohngeld-Anträge zugenommen. Seit Jahresbeginn hat sie sich in Nürnberg verdoppelt. "Im Moment sind wir bei deutlich über einem halben Jahr Wartezeit", sagt Ries. "Wir hoffen natürlich, dass wir das wieder deutlich drücken können."

Durch das neue Wohngeld-Plus-Gesetz erhöht sich die Zahl der Haushalte, die einen Anspruch auf Wohngeld haben, um das Zwei- bis Dreifache. So heißt es von der Bundesregierung. Denn die Einkommensgrenzen, ab denen der Zuschuss bezahlt wird, haben sich verändert. Jetzt bekommen auch Haushalte mit einem höheren Einkommen als bisher Wohngeld. Außerdem gibt es mehr Geld. Vor der Reform lag der durchschnittliche Zuschuss in Nürnberg bei rund 240 Euro pro Haushalt und Monat, sagt Sozialreferentin Ries. "In den ersten Monaten haben wir gesehen, dass sich die durchschnittliche Summe um etwa 200 Euro erhöht hat." 450 statt 250 Euro, Geld, das den Haushalten helfen kann, die Mieten zu bezahlen, bekräftigt Ries.

Stadt Nürnberg verdoppelt Personal

Mehr Fälle, die von der Wohngeldverwaltung bearbeitet werden müssen, bedeutet auch mehr Personalbedarf. Die Stadt Nürnberg hat 25 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt. Die Zahl der Beschäftigten in der Wohngeldstelle hat sich damit verdoppelt.

Trotzdem ist die Bearbeitungszeit bisher noch nicht kürzer geworden. Das neue Personal muss erst einmal eingearbeitet werden.

Hilfe von den Gewerkschaften

Außerdem ist die Materie kompliziert, sagt Alexander Eglmaier. Er arbeitet beim DGB in Nürnberg und hilft Gewerkschaftsmitgliedern beim Ausfüllen des achtseitigen Antrags. "Da wird gefragt: Hat man Rentenbezug? Gibt es einen Mitbewohner? Gibt es eine Frau? Ist jemand schwerbehindert? Wie viele Bewohner gibt es in der Wohnung? Ist geplant, dass demnächst ein weiterer Bewohner hinzukommt? Beziehen Sie BAföG? Beziehen Sie SGB-II-Gelder?" Der DGB springt mit seiner Wohngeldberatung der Stadtverwaltung zur Seite, sagt Mittelfrankens Gewerkschafts-Chef Stephan Doll.

"Wir wissen, dass die Kommunen mit dem Thema überlastet sind", begründet Doll die Hilfestellung. Übrigens ein Pilotprojekt. "Wir als DGB Mittelfranken waren da die ersten in ganz Bayern. Wir wollten einfach den Menschen Hilfe zukommen lassen, die sie auch brauchen." Außerdem bekommen die Antragsteller schneller ihr Geld, wenn die Anträge fehlerfrei ausgefüllt sind. Aus DGB-Sicht eine Win-Win-Situation.

Städtetag klagt über Bürokratiekosten

Allerdings nicht für die Kommunen. Sie klagen über die hohen Kosten für die Wohngeld-Bürokratie, heißt es vom bayerischen Städtetag. "Bei der Gesetzgebung sind die finanziellen Folgen für Städte und Landkreise nicht bedacht worden", sagt Johann Kronauer vom kommunalen Spitzenverband. Ein Kostenersatz oder ein Zuschuss sind nicht vorgesehen.

Das kritisiert auch Gewerkschafter Doll. "Man darf halt nicht mehr die Fehler der Vergangenheit machen, und etwas auf Bundes- oder Landesebene beschließen, was dann die Kommunen ausbaden müssen", sagt er mit besorgtem Blick auf die Haushaltssituation der Stadt Nürnberg.

Nürnberg ist Bayerns Schulden-Königin

Bereits im vergangenen Herbst, als das neue Wohngeldgesetz noch in Berlin beraten wurde, hat die Stadt Nürnberg die neuen Stellen geschaffen. Trotz des Fachkräftemangels wurden ausreichend viele Bewerber gefunden. Allerdings steigt dadurch die Belastung für den städtischen Haushalt. Schon jetzt hat keine Kommune in Bayern eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung als Nürnberg.

Trotzdem geht Sozialreferentin Ries "nicht davon aus, dass die Stellen, die wir fürs Wohngeld brauchen oder auch für andere existenzsichernde Leistungen bei der Stadt so gravierend sind, dass sie den Stadthaushalt aus dem Tritt bringen".

Computerhilfe beim Antrag

25 zusätzliche Mitarbeiter bei insgesamt rund 11.000 Stellen in der Stadtverwaltung lassen sich verschmerzen, meint Referentin Ries. Ob es Kürzungen an anderer Stelle geben muss, werde sich erst bei der Beratung des Haushalts im Herbst zeigen. Die Lage wird sich aber auf jeden Fall verschärfen, wenn bald die Tarife im öffentlichen Dienst steigen werden. In ganz Bayern spitzen die Kommunen schon den Rotstift und überlegen, wo und wie sie die Mehrkosten auffangen können. Da helfen auch Computerprogramme wenig, die inzwischen eingesetzt werden, um die Bearbeitungszeiten zu senken.

Zurück zum Wohnungsamt: Nach einer knappen halben Stunde tritt der Familienvater enttäuscht auf die Straße. Seine Nachfrage hat nichts Konkretes ergeben. "Sie schauen sich die Akten jetzt noch einmal an und leiten sie an den Sachbearbeiter weiter", sagt seine Begleiterin.

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