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Das neue Wohngeld Plus macht Probleme

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Wohngeld Plus: Historische Reform oder behördliches Ungetüm?

Das neue Wohngeld Plus macht Probleme: Weil die Formulare ihre Tücken haben, sind die Anträge oft fehlerhaft, die Bearbeitung dauert. Dazu kommen technische Probleme: Viele Daten müssen im Amt aktuell noch per Hand ins System getippt werden.

Es soll vielen Bürgern das Leben ein Stück weit leichter machen, das neue Wohngeld Plus, ein Teil des von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Entlastungspakets. Menschen mit geringem Einkommen sollen entlastet werden, dreimal so viele Haushalte wie bisher können laut Bund Wohngeld erhalten.

Seit Januar haben demnach rund zwei Millionen Haushalte mit kleinen Einkommen Anspruch auf Wohngeld – vormals waren es nur 600.000. Wer bereits Wohngeld bezieht, bekommt jetzt im Schnitt noch einmal so viel dazu. Seit dem 1. Januar 2023 kann die neue Förderung beantragt werden. Doch wie sich nach gut einem Monat zeigt, wird das Wohngeld Plus schon jetzt für Kommunen und Antragsteller gleichermaßen zur Nervenprobe.

Antragsformulare sind schwer verständlich

Basel Alzokane aus Königsbrunn will Wohngeld beantragen. Wegen Bandscheibenproblemen muss der Familienvater den Job wechseln, das Geld ist knapp, die Miete gestiegen. Mit dem Bleistift in der Hand geht der Mittvierziger den Antrag durch, doch viele Fragen darin sind gar nicht so einfach zu beantworten. "Das ist sehr schwierig," sagt er.

Das weiß auch Tanja Bless vom Helferkreis Königsbrunn, die ratlosen Antragstellern hilft: "Die Anträge sind nicht selbsterklärend, man muss sich mit Begriffen beschäftigen. Beim ersten Mal tat ich mich auch schwer."

Hoher bürokratischer Aufwand

Das mehrseitige Formular auf Anhieb richtig und vollständig auszufüllen, sei kaum möglich. Das sagen auch diejenigen, die für die Bearbeitung des Antrags zuständig sind – nämlich die zuständigen Behördenmitarbeiter. Das Gesetz fordere zudem viele Nachweise, die vom Antragsteller beigebracht werden müssen, "da sind Sachen dabei, die will nicht mal das Finanzamt für die Steuererklärung im Original haben", kritisiert Bless, das ziehe die Bearbeitung unnötig in die Länge, meint sie. Und im schlimmsten Fall würden die Antragsteller Geld erhalten, dass sie dann wieder zurückzahlen müssten.

Hoher Personalbedarf bei Wohngeld-Bearbeitung

Auf die Kommunen kommt durch das Wohngeld Plus viel Mehrarbeit zu. Beim Wohnungsamt der Stadt Augsburg wurde das Personal aufgestockt, über 40 Vollzeitkräfte sollen sich demnächst allein um die Wohngeldanträge kümmern. Für sie wurde eigens ein großer Saal im Jakobsstift freigeräumt und quasi eine ganze neue Abteilung eingerichtet, erklärt Dennis Triebsch, Leiter des Amts für Soziale Leistungen.

"Da man in Augsburg von einer Vervierfachung der Anträge der Fallzahlen ausgeht, rechnen wir damit, dass wir von aktuell 2.500 Haushalten auf 10.000 Wohngeld-Haushalte wachsen werden," erklärt er. Schon jetzt sei der Fallzahlenanstieg klar zu belegen, macht Triebsch deutlich: Habe es im Januar 2022 in Augsburg 200 Neuanträge auf Wohngeld gegeben, so seien es Stand 31.01.23 bereits 800 Anträge.

München, Nürnberg, Kempten - überall fehlen Bearbeiter

Nicht überall gibt es so viel Interesse am Wohngeld Plus wie in der – bedingt durch seine Industriegeschichte – aktuell eher klammen Stadt Augsburg, in der etwa viele Menschen im bayernweiten Durchschnitt nur eine kleine Rente bekommen. Auch in München, Nürnberg oder Kempten sollen zusätzliche Mitarbeiter für die Wohngeldbearbeitung rekrutiert werden - sofern sie überhaupt zu bekommen sind. Je nach Antragsflut ist momentan mit Bearbeitungszeiten von acht Wochen wie im Landkreis Augsburg, bis hin zu zwölf Monaten, wie etwa in der Landeshauptstadt München, zu rechnen, heißt es auf Anfrage des BR.

Auch im vermeintlich eher wohlhabenden Landkreis München ziehen die Zahlen an: "Der Andrang ist groß und das Interesse an Wohngeld spiegelt sich auch in den verstärkt vorkommenden telefonischen Beratungsgesprächen der Mitarbeitenden der Wohngeldstelle wider", so Christine Spiegel, Sprecherin des Landratsamts München zum BR.

Von Hand - statt digital

Jede Menge Arbeit also für die Ämter, und nur ein Teil davon kann digital erledigt werden - so auch in Augsburg, obwohl die Stadtverwaltung sich früh gewappnet habe, betont Amtsleiter Triebsch: "Wir waren beim Online-Wohngeldantrag Pilot-Kommune in Bayern, also eine der ersten, die den Online-Wohngeldantrag eingeführt haben. Tatsächlich kommen aber die Daten ins Fachverfahren nicht automatisiert, sondern müssen händisch eingetragen werden. Bisher ist es so, dass der Antrag eingeht, und man entweder direkt vom Bildschirm abschreibt und das direkt ins Fachverfahren einträgt, oder es ausdruckt und vom Schriftgut abschreibt. Das ist der Zustand."

Dass die Software des elektronischen Antragformulars und die der kommunalem Datenverarbeitung nicht zusammenpassen, und die Mitarbeiter zum Teil mühevoll von Hand Daten ins System übertragen müssen, sei der schnellen Einführung des Gesetzes geschuldet.

Bayerischer Städtetag gegen überstürztes Wohngeld Plus

Der bayerische Städtetag hatte bereits im vergangenen November davor gewarnt, dass vielerorts die technischen und personellen Voraussetzungen fehlen würden und das Wohngeld-Plus-Gesetz daher erst zum 1. Juli 2023 in Kraft treten sollte. Das Gesetz müsse nachgebessert und um eine schneller zu bearbeitende Basis-Wohngeld-Variante ergänzt werden, so der Städtetag damals.

Doch der Bund kam der Forderung nicht nach. Leider, so Markus Pannermayr, Oberbürgermeister von Straubing und Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. Am Beispiel des Wohngelds zeige sich nämlich ein "elementarer Webfehler bei der Gesetzgebung, der leider allzu oft zu monieren ist: Es gibt Probleme bei der Umsetzung, wenn Erfahrungen aus der Praxis und kommunale Anregungen nicht beim Formulieren von neuen Gesetzen berücksichtigt werden."

Bundesministerium für Wohnen verweist an Bundesländer

Doch das will das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen so nicht gelten lassen. Die Umsetzung der "historischen Wohngeldreform" sei zwar "eine große Herausforderung für die Wohngeldbehörden". Doch der Vollzug des Wohngeldgesetzes sei eben Ländersache. Der Bund habe aber Erläuterungen erarbeitet, um es den Kommunen einfacher zu machen, die Einführung werde zudem durch den Bund "informativ begleitet", etwa durch zahlreiche Ausführungen auf der Website des Bundesbauministeriums.

Den Vorschlag, ein "Basiswohngeld" ohne umfassende Prüfung der persönlichen Verhältnisse einzuführen, habe man nicht aufgegriffen, weil das eine "hohe Missbrauchsgefahr" berge. Es gebe jedoch die Möglichkeit, vorläufige Zahlungen zu genehmigen, so der Ministeriumssprecher auf Anfrage des BR.

Ämter in der Zwickmühle

Es ist eine vertrackte Situation: Auf der einen Seite die Bürger, die auf schnelle Hilfe aus dem Entlastungspaket hoffen. Auf der anderen Seite die Kommunen, die das Wohngeld erst nach akribischer Prüfung genehmigen und auszahlen dürfen und dafür vielerorts noch nicht einmal die notwendige IT-Infrastruktur zur Verfügung haben.

In Augsburg und auch anderen Städten wie Nürnberg, sagt Amtsleiter Triebsch, hoffe man jetzt zumindest auf eine mittelfristige Havarielösung, um möglichst schnell viele Anträge anschieben zu können: "Jetzt wird auch an einem Roboter geforscht, der dann die Daten automatisiert aus dem Wohngeld-Onlineantrag in unser Fachverfahren überträgt."

Nürnberg setzt auf Roboter-Software

Das Wohngeld müsse Tempo aufnehmen, heißt es bei der Stadt Nürnberg. Um die Erfassung von Online-Anträgen zu automatisieren, ist dort seit Januar 2023 nach einjähriger Testphase ein sogenannter Software-Roboter in Betrieb. Der Roboter, der auf Basis der RPA-Software "UiPath" entwickelt wurde, soll helfen, die steigenden Antragszahlen zu bewältigen. Er kann menschliche Handlungen bei der Interaktion mit digitalen Systemen und Software nachahmen.

Matthias Latus vom Amt für Digitalisierung und Prozessorganisation der Stadt Nürnberg erklärt die Funktionsweise des digitalen Helferleins: "Der Software-Roboter erfasst die Grunddaten der Anträge und führt die gleichen Arbeitsschritte aus, wie eine Sachbearbeiterin oder ein Sachbearbeiter. Der Roboter ruft zum Beispiel das E-Mail-Programm auf, liest Daten aus, überträgt sie in eine Fachsoftware, legt eine elektronische Akte an. Sie könnten dem Roboter genauso wie bei einem Menschen bei der Arbeit zuschauen."

Freilich könne auch der Roboterhelfer nur einen Teil der Arbeit machen, betont Latus. Dennoch bekomme man aus vielen Städten Nachfragen dazu: "Seitens anderer Kommunen besteht insgesamt reges Interesse an unseren Erfahrungen", so der Digitalexperte gegenüber dem BR.

Digitale Bürgerakte könnte helfen

Nicht digital, sondern ganz analog läuft die Arbeit von Tanja Bless vom Helferkreis Königsbrunn weiter. Weil sie Flüchtlingen, Jobcenter-Klienten und anderen Bedürftigen bei Ämtergängen und Formularen hilft, sieht sie nicht nur die Wohngeld-Berechnung als ausbaufähig an, sondern schaut weit darüber hinaus.

Es hake grundsätzlich im System, meint Bless. Ihrer Ansicht nach müsse eine digitale Bürgerakte her, auf die alle Behörden Zugriff haben und in der auch alle wichtigen Daten und Bescheide abgelegt werden. "Damit man nicht jedem immer wieder aufs Neue erzählen muss, wie die Kinder heißen, wo sie geboren sind, wo man selbst geboren ist, damit das alles also schon mal an einer zentralen Stelle verfügbar ist." Der Idealzustand wäre, "es gäbe eine Stelle, die würde alle sozialen Leistungen bündeln, und die hätte die Vogelperspektive auf die Situation und könnte das alles schneller beurteilen", sagt sie.

So läuft die exakte Berechnung

Doch weil eine Nachbesserung des Wohngeld-Plus-Gesetzes wohl nicht zu erwarten ist, bleibt es komplex. Auch wenn im Schnitt von einer Verdopplung des bisherigen Wohngelds gesprochen wird: Die exakte Höhe wird immer berechnet. Sie richtet sich nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder, nach den Mieten vor Ort, der Höhe der individuellen Miete und nach dem Einkommen. "Das sind eigentlich die drei großen Faktoren im Wohngeldrecht, die berücksichtigt werden müssen. Und je nach Zusammenspiel dieser drei Faktoren kann das Wohngeld bei zehn Euro liegen im Monat oder bis zu mehrere hundert Euro betragen", erläutert der Augsburger Amtsleiter Triebsch.

Wohngeld soll Belastungen abfedern

Trotz aller Engpässe und Herausforderungen sei das neue Wohngeld-Plus-Gesetz richtig, meint Triebsch: "Wir können nicht zulassen in so einem wohlhabenden Land wie Deutschland, dass Bevölkerungsschichten eben aufgrund von Inflation, Krise und gestiegenen Energiepreisen in eine Situation kommen, die sie selbst nicht bewältigen können. Und da denke ich, ist das die Aufgabe des Staates, das abzufedern und mit dem Wohngeld Plus tut es der Gesetzgeber. Und wir setzen es um als Kommunen." Für Antragsteller bleibt das Wohngeld Plus aber wohl trotzdem bis auf Weiteres ein Geduldsspiel.

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