Jivgenia aus Kiew lebt jetzt bei Nina auf dem Land im oberbayerischen Purk (Landkreis Fürstenfeldbruck).
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Jivgenia aus Kiew lebt jetzt bei Nina auf dem Land im oberbayerischen Purk (Landkreis Fürstenfeldbruck).

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Stadt oder Land: Wo haben ukrainische Geflüchtete mehr Zukunft?

115.000 Flüchtlinge sind seit dem Einmarsch der russischen Armee in ihr Heimatland aus der Ukraine nach Bayern gekommen. Sie brauchen Wohnraum und suchen oft Arbeit. Die gibt es vor allem in den Städten, Wohnraum dagegen eher auf dem Land. Was nun?

In Bayern sind seit Kriegsbeginn rund 115.00 Flüchtlinge angekommen. Noch ist kein Frieden in Sicht. Wenn sie länger bleiben, brauchen sie einen Job. Den gibt es eher in Städten, sagen Arbeitswissenschaftler. Auch Wohnraum wird gebraucht – und den gibt es eher auf dem Land. Wo haben sie die bessere Zukunft – in der Stadt oder auf dem Land? Wo gelingt Integration langfristig besser?

Herzliches Willkommen auf dem Dorf

"Ich fühle mich hier sehr wohl, es ist so ruhig und friedlich", sagt Jivgenia. Vor dem Krieg hat die 29-Jährige in einem Vorort der Millionenstadt Kiew gewohnt. Seit sechs Wochen lebt sie mit ihrer Mutter in Purk, in einem Dorf mit nur 110 Einwohnern im oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck. Der Kontakt zur Gastfamilie kam über Verwandte. Jivgenia unterrichtet als Englischlehrerin Geschäftskunden im IT-Bereich, ein wohnortunabhängiger Job.

Auch durch Zufall ist die Ukrainerin Ana Brusentsova mit ihrer fünfjährigen Tochter im unterfränkischen Ermershausen gelandet, einem Dorf im ehemaligen Zonenrandgebiet zur damaligen DDR. "Die Menschen hier sind sehr herzlich und hilfsbereit", sagt sie. Gleich nach der Ankunft hat sie ein Lebensmittelpaket bekommen, Ehrenamtliche geben ihr Deutschunterricht. Die Dorfgemeinschaft funktioniert also. Für Ana Brusentsova zählt gerade am meisten, dass sie und ihre Tochter gut aufgehoben sind.

Integration ukrainischer Geflüchteter: Abhängig von vielen Faktoren

Sicherheit kann also auch ein Grund sein, warum sich eine geflüchtete Familie für das Leben auf dem Dorf oder in der Stadt entscheidet. Je nach Lebenssituation kann für jeden einzelnen ein Faktor gerade besonders wichtig sein, sagt Migrationsforscher Stefan Kordel vom Institut für Geographie an der Universität Erlangen. Er erforscht, wie sich Geflüchtete seit 2015 in ländlichen Regionen integrieren. Sein Fazit: Das hängt von vielen gleichberechtigten Faktoren ab: "Wohnen, Bildung, Arbeit, Gesundheit, soziale Netzwerke, und vor allem auch Kontakte zur Lokalbevölkerung und zur eigenen Community spielen eine große Rolle."

Eine Priorisierung einzelner Faktoren lehnt Stefan Kordel ab. Ganz wichtig sei seiner Ansicht nach, die ukrainischen Geflüchteten selbst nach ihren Wünschen zu fragen. Denn anders als bei der Flüchtlingswelle von 2015 kämen nun weniger alleinstehende Männer, sondern vielmehr Familien – und die hätten andere Lebensvorstellungen.

Millionenstadt München: Knapper Wohnraum

"In München habe ich Kontakt zu vielen Ukrainern, die schon länger hier wohnen oder auch geflüchtet sind", sagt Oksana Vorobiova. So bekommt sie Hilfe, das beruhigt sie in dieser schwierigen Zeit. Die 45-jährige Anwältin ist in Kiew aufgewachsen, jetzt hat sie in München Zuflucht gefunden, wieder eine Millionenstadt. Ihr Sohn hat schon einen Schulplatz, er genießt die Freiheit in der Stadt. Deswegen würde Oksana Vorobiova gerne in der Stadt Arbeit finden, falls der Krieg noch länger dauert. Doch dann müsste sie auch einen eigenen Wohnraum finden und der ist hier knapp.

Seit Kriegsbeginn sind in München 33.600 ukrainische Geflüchtete angekommen, davon sind 12.000 geblieben. Von ihnen lebten 2.000 in Notunterkünften, so Münchens Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). Gerade schafft die Stadt Unterkünfte in Containern, ehemaligen Hotels und Hallen.

Stadt oder Land? Zufall spielt große Rolle

Wenn es die Umstände erfordern, würde die gebürtige Kiewerin Oksana Vorobiova aber auch aufs Land umziehen. "In diesen Zeiten müssen wir alle flexibel sein", sagt sie. Wo haben Geflüchtete aus der Ukraine also mehr Zukunft: in der Stadt oder auf dem Land?

Auf diese Frage kann es momentan gar keine pauschalen Antworten geben, sagt Jivgenia, die momentan im Dorf Purk lebt. Dafür sei die Lage viel zu ungewiss. Und auch ihre Gastgeberin Nina weiß nicht, wie lange ihre Besucher bleiben werden. Ihr liegt es am Herzen, jetzt und hier zu helfen – mit offenem Ausgang. Übrigens: Die Uni Erlangen hat herausgefunden, dass manche Geflüchtete von der Stadt zurück aufs Land ziehen, auch wegen der guten Unterstützung durch Ehrenamtliche.

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