Es ist ein Thema, das Katharina Schulze und Ludwig Hartmann schon lange umtreibt. Seit Jahren formulieren die Grünen-Politiker immer wieder Anträge und Anfragen zum Wittelsbacher Ausgleichsfonds, über den die einstige bayerische Königsfamilie jährlich eine zweistellige Millionensumme kassiert. "Da lebt das adelige Leben fort, obwohl der Adel abgeschafft ist", beklagte Schulze schon 2016 im "Münchner Merkur". "Privilegien für frühere Adelige sind nicht mehr zeitgemäß", betonte Hartmann 2018.
Ähnlich äußert sich der bayerische Grünen-Fraktionschef auf BR24-Anfrage auch heute: "Die Monarchie ist seit 1918 abgeschafft. Der Ausgleichsfonds ist ein Privileg, das nicht mehr zeitgemäß ist", sagt er. Es gebe in der heutigen Zeit keinen Grund mehr "für diesen bayerischen Sonderweg einer öffentlich-rechtlichen Stiftung".
Ein Aus für den Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) ist aber weiter nicht in Sicht. Heute wird die Stiftung 100 Jahre alt - und mit ihm ein Gesetz, das der Familie Zahlungen bis zu ihrem Aussterben garantiert. Erst wenn es keine "Mitglieder des vormaligen Königshauses" mehr gibt, "wird der Fonds aufgelöst und sein Vermögen fällt an den Bayerischen Staat".
Rund 15 Millionen für das Jahr 2021
Rund 15 Millionen Euro schüttete der Fonds für das Geschäftsjahr 2021 an die Familie der Wittelsbacher aus. Das Geld fließt laut Finanzministerium vor allem an den Chef des Hauses Wittelsbach, derzeit Franz Herzog von Bayern, sowie an die Chefs der verschiedenen Linien der einstigen Königsfamilie. Der genaue Verteilungsschlüssel ist geheim. Der Vorsitzende der WAF-Geschäftsführung, Michael Kuemmerle, will auf Nachfrage auch nicht verraten, wie viele Familienmitglieder sich die Ausschüttung teilen.
Das Adelsgeschlecht der Wittelsbacher regierte mehr als sieben Jahrhunderte lang in Bayern. Ab 1806 stellte es die bayerischen Könige, bis 1918 die Novemberrevolution der Monarchie ein Ende setzte: Der Sozialist Kurt Eisner rief den Freistaat Bayern aus und proklamierte die Absetzung von König Ludwig III. Nachdem die neue Regierung zunächst alle Zahlungen an die ehemalige Königsfamilie eingestellt hatte, verlangten Mitglieder des Hauses Wittelsbach eine Entschädigung. "Nach Prüfung der Rechtslage kam man zu dem Schluss, dass die Ansprüche des Hauses Wittelsbach auch nach 1918 fortbestünden", erläutert das Finanzministerium immer wieder.
Da der junge Freistaat fürchtete, einen Rechtsstreit zu verlieren und in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, einigte sich die Regierung im Januar 1923 mit dem Haus Wittelsbach auf einen Vertrag, der die Aufteilung des Vermögens zwischen Staat und Ausgleichsfonds festlegte. Am 9. März folgte dann das "Gesetz über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung des Bayerischen Staates mit dem vormaligen Bayerischen Königshause", das die sofortige Errichtung des Fonds festschrieb und bis heute gültig ist.
Wohn-, Fischerei- und Jagdrechte für die Wittelsbacher
Seither gehören unter anderem die Münchner Residenz samt Hofgarten, die Schlösser Nymphenburg und Schleißheim sowie die Schlösser Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof dem Freistaat. Zum Vermögen des Wittelsbacher Ausgleichsfonds zählen Immobilien, land- und forstwirtschaftlicher Grundbesitz sowie die Schlösser Hohenschwangau, Berchtesgaden und Grünau. In Museen und Sammlungen des Freistaats wie den Pinakotheken befinden sich rund 43.000 Kulturgüter aus dem Besitz des Fonds, weitere 13.500 verwahrt die Stiftung selbst.
Die Mitglieder der früheren Königsfamilie haben zudem Wohnrecht im Nymphenburger Schloss, im Würzburger Residenzschloss und im Alten Schloss auf Herrenchiemsee. Sie dürfen die Gruft der Theatinerkirche und der Michaelskirche in München benutzen, ferner sind ihnen Fischerei- und Jagdrechte garantiert.
Der Fonds wie auch die Staatsregierung legen Wert auf die Feststellung, dass die Stiftung ihr Geld selbstständig erwirtschaftet - und die Ausschüttungen der Gewinne somit keine Zahlungen des Freistaat seien. "Ganz wichtig dabei ist, dass wir eigenverantwortlich arbeiten und eigenfinanziert. Das heißt, der Steuerzahler ist nicht belastet durch den Wittelsbacher Ausgleichsfonds", betont WAF-Geschäftsführer Kuemmerle im Interview mit Bayern 2. "Wir sind auch auch keine staatliche Einrichtung, auch wenn wir eine Stiftung des öffentlichen Rechts sind." Verwaltet wird der WAF von einem Verwaltungsrat, das Finanz- und das Wissenschaftsministerium bestellen für die Stiftungsaufsicht zwei Staatskommissare.
Staatsregierung: An Übereinkommen gebunden
Die Staatsregierung sieht keinen rechtlichen Handlungsspielraum dafür, das Entschädigungskonstrukt zu verändern. Mehrfach betonte das Finanzministerium über die Jahre, der Freistaat sei an das Übereinkommen von 1923 gebunden. "Es besteht nach Auffassung der Staatsregierung keine Veranlassung, den seinerzeit nach jahrelangen Verhandlungen gefundenen Kompromiss historisch-juristisch anzuzweifeln."
WAF: Verträge einhalten
Nach dem Niedergang der Monarchie 1918 habe "ein berechtigter Anspruch für verlorenes, privates Vermögen des Hauses" Wittelsbach bestanden, sagt Kuemmerle im BR-Interview. Der Freistaat und die Wittelsbacher hätten sich dann auf den Ausgleichsfonds geeinigt. "Ich sage, dass Verträge einzuhalten sind in einem Rechtsstaat." Darauf müsse man sich verlassen können.
Zugleich betont der Vorsitzende der WAF-Geschäftsführung, die Stiftung leiste einen sehr großen Beitrag für die Menschen in Bayern, "denn die Kunst- und Kultureinrichtungen, die wir haben, sind wert- und identitätsstiftend". Als Beispiele nennt er die Kunst in den Staatsgemäldesammlungen in den Pinakotheken, die Antikensammlung und Glyptothek sowie die Votivkapelle am Starnberger See. Stiftungen seien ein bewährter Weg, um "ideelle und materielle Werte mit einem Ewigkeitsanspruch zu bewahren".
AfD: Abfindungen "moderat"
In der Opposition macht sich beispielsweise die AfD-Fraktion dafür stark, an der bisherigen Regelung festzuhalten. "Als AfD stehen wir für Tradition, aber auch für rechtsstaatliche Prinzipien und Vertragstreue", sagt AfD-Finanzexpertin Katrin Ebner-Steiner dem BR. Das Haus Wittelsbach sei untrennbar mit Bayern verbunden. "Die Abtretung des Eigentums an den Staat Bayern vor 100 Jahren untermauerte schon damals die Verbundenheit der Wittelsbacher mit Bayern."
Das große Vermögen des Wittelsbacher Ausgleichsfonds lasse die Abfindungen an die Familie moderat erscheinen. "Darüber hinaus sei noch zu erwähnen, dass die Abfindungen an die Wittelsbacher zur Hälfte wieder an den Staat fließen, da sie dem Spitzensteuersatz von 50 Prozent unterliegen", fügt Ebner-Steiner hinzu.
Historiker: Geglückter Vertrag
Jenseits der politischen Debatte über Adels-Privilegien lobte der Historiker und leitende Direktor im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Gerhard Immler, den Ausgleichsfonds schon vor Jahren im BR-Interview als geglückten historischer Vertrag. Damit sei es gelungen, eine Zersplitterung des Vermögens zu verhindern und Kunstgegenstände auf Dauer zu erhalten. So sei es beispielsweise ausgeschlossen, Bilder aus der Neuen Pinakothek zu versteigern, nur um das Einkommen von Familienangehörigen zu steigern.
Und der WAF selbst verweist darauf, dass mit den Kunstwerken einer der Grundsteine für den Freistaat Bayern als Kunst- und Kulturstandort gelegt worden sei. "Der Wittelsbacher Ausgleichsfonds steht dabei als Garant für die ungeschmälerte Erhaltung dieser Kunstschätze."
Hartmann: Eine Frage des Wollens
Grünen-Fraktionschef Hartmann bleibt dagegen bei seiner Forderung - und hält neue Wege durchaus für möglich. "Nach 100 Jahren kann man eine Ausstiegslösung finden", sagt er BR24. "Das ist für mich eine Frage des Wollens."
Die Staatsregierung könne jederzeit eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge zum weiteren Vorgehen erarbeiten könne, schlägt Hartmann vor. "Das könnte eine Einmalablöse sein oder Leibrenten bis zum Tod. Aber ein klarer Schritt muss stattfinden."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.