Es wird gesungen und gelacht. Mit einem Morgenkreis beginnt der Unterricht für 27 ukrainische Kinder an der Fürther Grundschule Frauenstraße. Denn Rituale sind wichtig. Besonders für diese Kinder. Sie sind aus dem Kriegsgebiet geflohen – manche schon vor ein paar Wochen, manche erst vor wenigen Tagen. Hier will man den Kindern helfen, so etwas wie Alltag wieder zu spüren. Eine große Aufgabe: "Wir hatten auch schon verschiedene Schüler, die mit den Situationen, dass sie jetzt zuhören oder etwas lernen sollen, gar nicht zurechtkamen", sagt Grundschullehrerin Andrea Huber. Diesen Schülern müsse man einen größeren Schonraum zugestehen und von ihnen nicht zu viel fordern. Und Schulleiterin Elisabeth Schirner ergänzt: "Unser Ansinnen war es, über den Alltag den Kindern einen Schutzraum zu geben, sie in Deutschland ankommen zu lassen." So könnten sie die Kriegssituation, die Flucht ein Stück weit ausblenden. Das sei wichtig.
Ein wenig Normalität zurückbringen
Andere Kinder wiederum verarbeiten ihre Erlebnisse, indem sie Normalität geradezu einfordern. Diesen Spagat sollen die zwei Willkommensklassen an der Schule leisten. Das ist das erklärte Ziel. Drei Stunden am Tag unterrichten Andrea Huber und ihre Kollegin Nina Rambau derzeit die Erst- bis Viertklässler. In der gemeinsamen Morgenrunde wird viel Wert darauf gelegt, dass die Kinder ganz spielerisch die deutsche Sprache erlernen. Die fünfjährige Nadija ist die jüngste in der Gruppe und macht das schon ganz gut: "Ich heiße Nadija. Wie heißt du?", sagt sie mit leichtem Aktzent und wirft den bunten Ball weiter zu Makar. Jetzt ist er an der Reihe: "Ich heiße Makar. Wie heißt du?", fragt er. Und so geht es reihum.
Die Atmosphäre ist entspannt. Die Kinder lächeln, haben Spaß. Eine ganz normale Schulsituation also, die den Krieg in der Ukraine fast vergessen lässt. "Die Kinder gehen durch die Schultür, sie gehen ins Klassenzimmer, sehen ihre Mitschüler, die mittlerweile wirklich Klassenkameraden und -kameradinnen geworden sind, und tauchen ein in eine andere Welt. Das ist Normalität. Das ist das, was sie auch aus Kiew, aus der Ukraine kennen. Es ist Schule und Schule ist etwas ganz Normales", erläutert Elisabeth Schirner den pädagogischen Ansatz hinter dem spielerischen Morgenkreis.
Alles auf Deutsch
Der Morgenkreis ist nun auch vorbei. Jetzt werden die Kinder in zwei Gruppen geteilt. Die großen Dritt- und Viertklässler bleiben bei ihrer Lehrerin Nina Rambau. Die Kleinen gehen mit Andrea Huber in ein anderes Klassenzimmer im ersten Stock des Schulgebäudes. Weil täglich mehr ukrainische Kinder an die Grundschule Frauenstraße vermittelt werden, wurde Anfang der Woche eine zweite Willkommensklasse aufgemacht.
Bei den Kindern von Andrea Huber steht heute der Kalender auf dem Plan. Welchen Monat haben wir, welchen Wochentag, welches Datum? Diese Fragen sollen die Fünf- bis Achtjährigen beantworten. Auf Deutsch. Das ist ganz schön knifflig, aber die Kinder stellen sich der Herausforderung: "Diese Kinder sind in einem Bildungssystem aufgewachsen, wo ich sage, das ist beeindruckend. Mit fünf Jahren können sie bereits die kyrillische Schrift. Sie können die lateinische Schrift, weil sie eben auch schon Englisch lernen. Es war auch kein Problem, dass sie hier etwas lesen", erzählt Andrea Huber. Natürlich hapere es noch bei einzelnen Buchstaben, insbesondere bei der Aussprache. Aber die Kinder würden sich sehr anstrengen und sich auch freuen, wenn sie es richtig machen.
Für alle Fälle: Eine Übersetzerin ist immer mit dabei
Und wenn’s mit der Kommunikation mal nicht so klappt, kommt Irina Sudyr zum Einsatz. In der Ukraine arbeitete sie als Erzieherin im Kindergarten. Bis sie Anfang März flüchtete. An der Fürther Grundschule übersetzt sie nun, wenn die Anweisungen der Lehrerin nicht verstanden werden. Auch emotional ist sie eine große Stütze für die Kinder. "Sie brauchen manchmal einfach etwas Hilfe, sie müssen fühlen, dass jemand da ist, der sie versteht, der ihre Gefühle teilt. Und das ist in ihrer Muttersprache viel einfacher für die Kinder und auch passender für sie", sagt die junge Frau. Außerdem sei es für die Eltern wichtig zu wissen, dass jemand in der Klasse ist, der die Sprache der Kinder spricht. Das gebe den Eltern Sicherheit, ergänzt Schulleiterin Elisabeth Schirner.
Gestik und Mimik ist wichtig: Deutschunterricht in einer Willkommensklasse der Fürther Grundschule Frauenstraße.
Fachunterricht soll bald in ukrainischer Sprache starten
Den muttersprachlichen Unterricht aber kann auch Irina Sudyr nicht ersetzen. Deshalb hat sich Schulleiterin Elisabeth Schirner auf die Suche nach weiterem Personal gemacht. Und würde fündig: "Wir haben zwei ukrainische Grundschullehrkräfte, die sehr gerne einen Vertrag bekommen würden," erzählt sie. Schirner hofft, dass sie an der Fürther Schule so bald wie möglich auch ukrainischen Fachunterricht anbieten können. "Zeitgleich bin ich im E-Mail-Kontakt mit der Deutschen Schule in Kiew." Mithilfe dieser Kooperation soll dann zusätzlich Online-Unterricht für die Kinder stattfinden, so die Idee. Wenn alles klappt und die Bürokratie mitspielt, können die Fürther nach den Osterferien mit diesem Angebot starten. Und bis dahin bleiben sie hier an der Grundschule Frauenstraße einfach flexibel, denken von Woche zu Woche und geben den Kindern so ein Stück Normalität zurück. "Wenn man in die Kinderaugen schaut, dann weiß man auch, wofür man das alles tut", fasst Elisabeth Schirner das überdurchschnittliche Engagement ihres Kollegiums zusammen, lächelt und eilt weiter. Denn gerade eben sind wieder zwei Kinder aus der Ukraine an der Schule angekommen. Und es muss noch so Vieles organisiert werden.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!