Afghanische Ortskräfte in Wildflecken: aus Angst vor Verfolgung durch die Taliban wollen sie sich nicht von vorne fotografieren lassen.
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Afghanische Ortskräfte in Wildflecken: aus Angst vor Verfolgung durch die Taliban wollen sie sich nicht von vorne fotografieren lassen.

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Wildflecken: Keine Perspektiven für afghanische Ortskräfte

Als die Taliban vor zwei Jahren die Macht in Afghanistan an sich gerissen haben, sind viele Ortskräfte, die für die Bundeswehr oder NGOs gearbeitet haben, nach Deutschland geflüchtet. Inzwischen werden sie hier mit neuen Problemen konfrontiert.

Ein Beispiel aus der Rhön. Dort leben in einem Übergangswohnheim in Wildflecken etwa 35 Menschen aus Syrien, Kasachstan und Afghanistan. Die fünf Familien aus Afghanistan haben einen Aufenthaltsstatus, waren sogenannte Ortskräfte und haben in Kabul für die Bundeswehr oder NGOs gearbeitet.

"Wir sind glücklich hier zu sein, aber wir haben Probleme mit der Mobilität. Das kostet sehr viel Zeit. Außerdem warten wir schon lange auf unseren Sprachkurs", berichtet die 25-jährige Lida Arzoo, die für Friedensgespräche zuständig war. "Deshalb können wir uns auch keine Arbeit suchen. Denn wenn wir einen Job finden würden, bräuchten wir ein eigenes Auto, um dahin zu kommen. Wildflecken ist ein kleiner Ort. Wir haben einen Markt und einen Doktor. Es ist wirklich schön hier, aber leider gibt es nicht wirklich viele Möglichkeiten für uns hier."

Mangelnde Perspektiven auf dem Land

Lida sitzt mit ihren Eltern und drei Geschwistern in Wildflecken fest. Das Hauptproblem sei der fehlende Sprachkurs, sagt Claudia Simon, eine Betreuerin von der Caritas, die den afghanischen Ortskräften beim Ausfüllen von Formularen hilft. Mangels Lehrern warten die Afghanen schon mehr als ein halbes Jahr.

Nach Ansicht der Caritas-Betreuerin werde so viel ungenutztes Potential verschwendet - gerad angesichts des immer größer werdenden Fachkräftemangels. Experten für Elektrotechnik, Verwaltung oder Finanzwesen haben in der ländlichen Region oft keine Chance auf einen Job.

Verteilung der Flüchtenden fest geregelt

Verantwortlich für die Verteilung der afghanische Ortskräfte in Deutschland ist der sogenannte Königsteiner Schlüssel. Der legt fest, wie viele Asylsuchende in welches Bundesland kommen. Welche berufliche Qualifikation diese Menschen haben und wo sie die besten beruflichen Perspektiven haben, spielt dabei keine Rolle.

Das trifft auch Shamzo Rahman Ibrahimi. Der 34-jährige hat bis März 2021 in Kabul gelebt und war dort bei einem großen Fernsehsender tätig. Perspektiven sieht er für sich in Wildflecken nicht. "Ich wünschte, wir bekämen die Möglichkeit, die Sprache richtig zu lernen. Dann würde ich mich sofort nach einem Job irgendwo in Deutschland umschauen, dass ich endlich auf eigenen Füßen stehen kann", sagt Ibrahimi. "Ich habe die letzten 14 Jahren als Toningenieur für einen Fernsehsender gearbeitet. ich war dort sogar Leiter der ganzen Abteilung. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich wieder beim Fernsehen oder bei einer Produktionsfirma arbeiten könnte."

Unterstützung in Wildflecken vorbildlich

Momentan macht Ibrahimi seinen Führerschein in Bad Brückenau. Dafür haben Helfer aus Wildflecken sogar einen Fahrdienst eingerichtet. Und das Geld für die Fahrschule können die Afghanen monatlich abbezahlen. Außerdem bekommt er privaten Deutschunterricht von einem pensionierten Lehrer aus Oberbach. Zwei Stunden in der Woche.

Über mangelnde Unterstützung aus dem Ort beklagt sich keiner der Afghanen. Aber eine echte Perspektive hätten sie dort nicht, bestätigt auch Bürgermeister Gerd Kleinhenz. Man habe die Regierung von Unterfranken über die fehlenden Perspektiven für die Ortskräfte hingewiesen, aber man sei mit dem Übergangswohnheim vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

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Claudia Simon von der Caritas unterstützt afghanische Ortskräfte in Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen) beim Ausfüllen von Formularen.

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