In der politischen Aufarbeitung der Masken-Geschäfte staatlicher Stellen zu Beginn der Corona-Pandemie geraten erstmals auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Staatskanzleichef Florian Herrmann (beide CSU) in den Blickpunkt. Beide haben nach BR-Informationen im März 2020 persönlich Druck gemacht, einen Vertrag in Millionenhöhe mit einem Passauer Unternehmen abzuschließen.
Dieses Masken-Geschäft war vom bayerischen Gesundheitsministerium eigentlich schon abgelehnt worden – weil diesem das Angebot nicht vertrauenswürdig erschienen war. Das geht aus Regierungsakten hervor, die dem BR vorliegen. Zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet.
Masken-Geschäft in Höhe von 18 Millionen Euro
Schutzmasken waren zu Beginn der Corona-Pandemie weltweit Mangelware – die Preise schnellten in die Höhe. Der Hinweis auf das Masken-Angebot, das auch im Verbraucherschutzministerium skeptisch gesehen wurde, war vom CSU-Vorstandsmitglied und damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gekommen. In den Regierungsakten ist von "BM Scheuer" die Rede.
Nach der Intervention der Staatskanzlei erhielt die Firma aus Scheuers Heimat Passau kurzfristig doch noch den Regierungsauftrag, für mehr als 18 Millionen Euro insgesamt zehn Millionen chinesische OP-Masken und drei Millionen FFP2-Masken genau festgelegter Qualität zu liefern. Im Vertrag gab es – wie von der Staatskanzlei gefordert – Absicherungsklauseln. Als eine Woche später acht Millionen OP-Masken aus China am Münchner Flughafen ankamen, ließen sich Söder, Herrmann und Scheuer auf dem Rollfeld vor der Fracht ablichten.
Zweifel am Standard der Masken
Über Scheuer war die Information, ein Passauer Unternehmen könne Millionen Schutzmasken besorgen, in der Staatskanzlei gelandet. Zwar waren dort auch Anfragen anderer Unternehmen eingegangen, die Offerte aus der Heimat des früheren CSU-Generalsekretärs wurde aber offenbar prioritär behandelt.
Das Gesundheitsministerium sowie das zuständige Referat im Umwelt- und Verbraucherschutzministerium prüften die Masken-Zertifikate, die der Passauer Unternehmer vorgelegt hatte – und hatten Bedenken. Daher sagte das Gesundheitsministerium per Mail zunächst ab: Vor dem Hintergrund der vielfältigen Fälschungen am Markt könne man das Angebot nicht annehmen. Auf Basis der beigefügten Unterlagen könne nicht verifiziert werden, ob die Masken verkehrsfähig seien.
Staatskanzleichef macht Druck
Drei Tage später, am 30. März 2020, schaltete sich Staatskanzleichef Herrmann ein. Auf einem Zettel forderte er handschriftlich, den Passauer Firmenchef und eine weitere Person "sofort zu kontaktieren". Herrmann verwies auf Bundesminister Scheuer und sprach von circa zehn Millionen Masken. "Brauchen Freigabe! EILT!" Diesen Vermerk verschickte Herrmann als Anhang in einer Mail innerhalb der Staatskanzlei mit dem Betreff: "BM Scheuer" und der Forderung nach "SOFORTIGER Bearbeitung" im Beschaffungsamt. Es folgt ein PS: "Mit SOFORT meine ich SOFORT."
Im Gesundheitsministerium wurde konstatiert, dass es "massiv Druck aus der Staatskanzlei" gebe. Die Zweifel an dem Geschäft aber bestanden weiter. In einer internen Mail hieß es, es bleibe unklar, ob der Standard der Produkte ausreichend sei. Im Fall einer Bestellung der Masken könne es trotz einer eventuell vereinbarten Rücknahmegarantie dazu kommen, "dass wir die Masken nicht verwenden können".
Söders SMS: "Müsst Ihr nehmen ..."
Das Gesundheitsministerium wollte in diesem Fall aber weiterhin keinen Vertrag abschließen – und wollte das eigentlich erneut der Staatskanzlei mitteilen. Dann aber schickte Söder laut dem Mail-Verkehr eine SMS an den damaligen Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU), der wegen der Corona-Krise zur Verstärkung temporär ins Gesundheitsministerium versetzt worden war. Die klare Ansage des Ministerpräsidenten: "Müsst Ihr nehmen, Scheuer muss das garantieren!"
Das Gesundheitsministerium kam schließlich zur Einsicht, dass man das Angebot dann doch annehmen müsse. Die zuständige Abteilungsleiterin schrieb wörtlich: "Dann werden wir das Angebot wohl akzeptieren müssen, aber wie BM Scheuer das garantieren will, weiß ich nicht." In einem Aktenvermerk des Hauses hieß es, die Staatskanzlei bitte nachdrücklich um den Abschluss des Kaufvertrags – in den eine Absicherungsklausel mit Rücktrittsrecht bei mangelhafter Qualität der Masken sowie ein fester Lieferzeitpunkt aufgenommen werden solle.
Vertrag noch am selben Tag
Noch am selben Tag, am 31. März 2020, wurde ein Kaufvertrag mit der Passauer Firma abgeschlossen. Während im Fall Scheuer Tempo gemacht wurde, bekamen andere Anbieter laut "Süddeutscher Zeitung" lediglich eine vertröstende Standardantwort der Corona-Beschaffungsstelle des Freistaats.
Anders als die OP-Masken ließen die bestellten FFP2-Masken dem Bericht zufolge zunächst wochenlang auf sich warten. Nachdem das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) im Sommer 2020 mehrere Maskentypen gesperrt habe, habe die Passauer Firma nach und nach Ersatzmasken besorgt. Die Lieferung habe sich bis Ende 2020 hingezogen.
Herrmann und Scheuer verteidigen Vorgehen
Staatskanzleichef Herrmann verteidigt das Vorgehen von damals. "Ende März 2020 herrschte in Bayern und ganz Deutschland absoluter Maskennotstand, es war Gefahr im Verzug", sagte er dem BR. Daher habe man jede "potenziell seriöse Quelle zu vernünftigen Preisen" schnellstmöglich prüfen müssen. "Nicht anders ist der Hinweis aus der Staatskanzlei zu verstehen: Am Thema dranzubleiben und sich zugleich alle Optionen bezüglich Qualität und vertraglicher Absicherung offen zu halten."
Herrmann versicherte, es sei jedem Hinweis, "egal von wem", mit größten Nachdruck und Sorgfalt nachgegangen worden. Eine Vorzugsbehandlung habe es nicht gegeben. "Jeder Versuch der Opposition, den Einsatz der Staatsregierung bei der Beschaffung von lebensnotwendigem Schutzmaterial zu diskreditieren, ist irreführend und falsch."
Zudem verwies der CSU-Politiker darauf, dass zur Absicherung ausdrücklich "die Erfüllung konkret beschriebener Standards als Pflicht des Verkäufers in den abgeschlossenen Kaufvertrag aufgenommen" worden sei, "verbunden mit entsprechenden Gewährleistungsrechten für den Freistaat". Der Vertrag mit der Passauer Firma sei "im Ergebnis" vollständig erfüllt worden. "Provisionen wurden nicht gezahlt."
Auch Scheuer verteidigt sein Engagement. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Würde man solche Kontakte nicht weiterleiten, hieße es: Die faulen Abgeordneten kümmern sich in der größten Not nicht."
Scheuer: Keine Provisionen oder Beteiligungen
Die auch dem BR vorliegenden Mails und Dokumente rund um den von Scheuer eingefädelten Masken-Deal legen tatsächlich nicht den Eindruck nahe, dass sich die beteiligten Politiker persönlich durch Provisionen bereichert haben. Darauf verweist auch Scheuer selbst, den die "SZ" wie folgt zitiert: "Wir sprechen nicht von Provisionen oder Beteiligungen."
Bei den Vorgängen, die bisher unter dem Stichwort Maskenaffäre laufen, war das anders: Sowohl die langjährigen CSU-Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßlein als auch (dank ihrer CSU-Kontakte) die PR-Unternehmerin Andrea Tandler erhielten hohe Provisionen für die Vermittlung von Maskengeschäften an staatliche Stellen. Bei Sauter und Nüßlein waren es rund 1,2 Millionen Euro – Tandler und ihr Geschäftspartner sollen sogar rund 48 Millionen Euro bekommen haben.
Grüne: "Persönliche Patronage" Söders
Scharfe Kritik an Söder, Herrmann und Scheuer kommt vom Grünen-Abgeordneten Florian Siekmann. Die drei hätten "diesen Maskendeal gegen jeden fachlichen Rat durchgedrückt", sagt Siekmann auf BR-Anfrage. Dabei sei der Job der Regierung gewesen, ein "effektives Beschaffungswesen für Schutzmasken aufzubauen". Mit ihrer "persönlichen Patronage" hätten Söder, Herrmann und Scheuer als Regierungsmitglieder dieses Beschaffungssystem ausgehebelt. Reklamationen und Rückrufe der "Schrottmasken" hätten die Verwaltung dann mitten in der Krise monatelang beschäftigt – "obwohl Wichtigeres zu tun war".
Der Grünen-Abgeordnete lässt kein gutes Haar an dem Maskengeschäft, das nicht zuletzt dank Söders SMS zustande gekommen sein dürfte. "Statt um verantwortungsvolles Krisenmanagement ging es anscheinend um ein schnelles Foto mit dem Maskenflieger auf dem Rollfeld."
FDP: "Probleme mit dem System Markus Söder"
FDP-Fraktionschef Marin Hagen bezeichnete es als "schockierend", wie schnell Ministerpräsident Söder mit einer SMS berechtigte Einwände der zuständigen Behörden "einfach beiseite wischen" könne. "Es gab ja Vorbehalte gegen dieses Angebot, das - wie wir heute wissen - auch untauglich war, und das hat plötzlich keine Rolle mehr gespielt", sagte Hagen dem BR. Der FDP-Politiker fügte hinzu: "Das zeigt, dass wir Probleme mit dem System Markus Söder haben und dass der Untersuchungsausschuss noch einiges aufzuarbeiten hat."
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Florian von Brunn, forderte auf Twitter, Söder müsse jetzt erklären, warum er sich über die Bedenken der eigenen Fachleute hinweggesetzt und angewiesen habe, "Scheuers untaugliche Masken" zu kaufen. "Wollte er nur schicke Fotos auf dem Flughafen oder steckt mehr dahinter? Ganz dünnes Eis für ihn & die CSU!"
"Hier ist Bayern": Der neue BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!