In den Geisteswissenschaften reicht die englische Sprache oft nicht aus, um den Forschungsgegenstand angemessen zu beschreiben, ist der Münchner Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin überzeugt:
"Germanistik ohne Deutsch geht gar nicht. Philosophie ohne intime Kenntnis der großen deutschsprachigen Werke ist jedenfalls schwierig, wenn man diesen Schwerpunkt hat, und da gibt es nun eine Art Abwertung, wenn man so will, der Originaltexte. Also selbst hervorragende Verlage wie zum Beispiel Oxford University Press wollen keine Verweise auf deutschsprachige Originaltexte. Das kann ich belegen, ich habe die Emails aufgehoben. Und das heißt, dass im Grunde gar nicht mehr auf diese Quelle verwiesen werden kann. Denn wenn man nur englische Übersetzungen am Ende heranzieht, dann heißt das, dass man die spezifische Interpretation, die ja mit jeder Übersetzung einhergeht, auch mit übernimmt. Bei Texten von Heidegger oder Fichte oder Hegel kann man nicht einfach übersetzen. Da steht nicht dasselbe in den Übersetzungen." Julian Nida-Rümelin
Nida-Rümelin hält es für einen Fehler, so zu tun, als könnten die Geisteswissenschaften auf Deutsch als Wissenschaftssprache verzichten. Aber genau das geschehe - vor allem in den USA:
"Über Fichte und Heidegger und Wittgenstein wird locker publiziert, ohne dass man die Originaltexte kennt. Und das ist schon eine Form von, wenn man es boshaft sagt, Kolonialisierung, das heißt, die Abwertung von allem Nicht-Englisch-Sprachigen." Julian Nida-Rümelin
Wissenschaft braucht Diversität
Tatsächlich verschwinden außer Englisch mehr oder weniger alle anderen Sprachen aus dem Wissenschaftsbetrieb. Doch die Wissenschaft profitiert davon, wenn sie in verschiedenen Sprachen denken und sich äußern kann, betont Winfried Thielmann von der Universität Chemnitz:
"Diese Vielfalt ist ein Gewinn für die wissenschaftliche Erkenntnis. Und wir haben diese Vielfalt ja nicht einfach so. Wir hatten nämlich schon mal eine allgemeinverbindliche Sprache, das Lateinische. Und das Lateinische ist aufgegeben worden, weil es für die neuzeitliche empirische Naturwissenschaft die Ressource nicht vorhielt. Das heißt, man hat eine universale Sprache aufgegeben für wissenschaftliche Zwecke. Man ist in diese Einzelsprachen hinein, weil man Naturwissenschaft machen wollte. Und jetzt zu glauben, der Monolingualismus sei eine Antwort auf die Bedürfnisse moderner Wissenschaft, die noch sehr viel stärker auf Diversität angewiesen ist, das ist ein Irrweg und das ist ein Irrtum." Winfried Thielmann von der Universität Chemnitz
Karriere nur mit englischen Fachzeitschriften
Aber klar ist: wer Karriere machen will, muss in englischsprachigen Fachzeitschriften publizieren, die in den weltweiten Datenbanken ganz oben stehen. Siegfried Gehrmann, Vorstand des Zentrums für europäische Bildung der Universität Zagreb, hält das für fatal:
"Ich muss als Wissenschaftler einen möglichst hohen Impact erreichen, also Zitationspunkte. Das erreiche ich, wenn ich englischsprachig veröffentliche. Das erreiche ich noch mehr, wenn ich in den ganz hoch gerankten wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentliche. Buchbeiträge kommen nicht vor. Monografien kommen nicht vor." Siegfried Gehrmann, Vorstand des Zentrums für europäische Bildung der Universität Zagreb
Zwar öffnet das Englische einen weltweiten Diskursraum. Dafür aber verschwinden kleinere Diskursräume und Fragestellungen. Das aber sei in einer immer komplexer werdenden Welt nicht hinzunehmen. Die globale Anglophonisierung der Wissenschaft durch den wachsenden Einfluss der Datenbanken bringt auch schwere inhaltliche Verluste, sagt Gehrmann:
"Da Theoriebeiträge häufig in Zeitschriften nicht gefasst werden können, weil sie einen größeren Raum anbieten, fallen größere Theoriebeiträge aus diesen Zitationsdatenbanken heraus. Das heißt: Bestimmte Theorien kommen nicht mehr vor. Sie werden sozusagen unsichtbar gemacht. Was unsichtbar gemacht wird, wird nicht rezipiert. Was nicht rezipiert wird, kommt nicht vor. Hier haben wir Lenkungsmechanismen in Richtung Theorien, in Richtung Modelle, die sich an den hoch gerankten englischsprachigen Zeitschriften orientieren. Das heißt, hier übt der hegemoniale Macht aus, der die Verteilermacht hat. Und die Verteilermacht sind die Datenbanken. Siegfried Gehrmann, Vorstand des Zentrums für europäische Bildung der Universität Zagreb
Gehrmann rät dazu, diese Datenbanken zu europäisieren.
DFG-Präsident Strohschneider: Pluralismus der Sprachen bereichert
Auch der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, bestätigt: Mit der Vorherrschaft einer Sprache gehe auch Machtverteilung einher – samt wirtschaftlichen, politischen und sogar militärischen Interessen.
"Für die Wissenschaft noch wichtiger ist, wenn sie einsprachig würde, was sie in großen, meiner Ansicht nach zu großen Bereichen de facto vielfach schon ist, dass dann etwas verloren geht, was für den Pluralismus, die Denkoffenheit von Wissenschaft, entscheidend ist, nämlich die Unterschiede der Sprachen, die Differenzen der Sprachen, der Pluralismus der Sprachen. In den Unterschieden der Sprachen und in den Schwierigkeiten des Übersetzens, des Erwerbens von Fremdsprachen und des Übersetzens von einer Wissenschaftssprache in eine andere, in diesen Differenzen steckt eine enorme intellektuelle Produktionskraft, will ich mal sagen. Denn mit Sprachen verbinden sich Muster des Argumentierens, des Weltverhältnisses, der Weltauslegung, auf die eine vielfältige und insofern produktive, reiche Wissenschaft nicht verzichten sollte." Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Nicht nur in der Forschung, auch in der Lehre verbreitet sich Englisch. Mittlerweile sind von 18.000 anerkannten Studiengängen in Deutschland schon über 1.000 vollständig auf die englische Sprache umgestellt. Viele Hochschulen wollen damit ausländische Studierende locken. Cornelia Schu dagegen, Geschäftsführerin des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration, sieht eher ein Hindernis. Viele Ausländer wollten später in Deutschland arbeiten. Deshalb müssten sie auch Deutsch lernen. Und nicht zuletzt sollen die Bürger auch die Ergebnisse der Wissenschaft verstehen.
"Die Voraussetzung dafür ist, dass die Wissenschaftssprache verständlich ist. Also, es ist ein gemeinsames Interesse, dass eben die Wissenschaft auch verständlich kommuniziert, um eben auch Gehör zu finden." Cornelia Schu, Geschäftsführerin des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration
Italien: Rein englischsprachige Studiengänge verfassungswidrig
Jetzt setzen die Verteidiger der deutschen Sprache ihre Hoffnung auf Italien. Dort hat der Verfassungsgerichtshof gerade ein Urteil zugunsten der Landessprache gefällt: Studiengänge, die nur in einer Fremdsprache angeboten werden, sind verfassungswidrig. Ralph Mocikat, Vorsitzender des Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache, sieht in dem Urteil auch Strahlkraft für den gesamten europäischen Raum:
"Das sollte uns allen durchaus zu denken geben, weil die verfassungsrechtliche Situation in Italien der deutschen durchaus vergleichbar ist." Ralph Mocikat, Vorsitzender des Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache