Eine Messstation an der Südflanke des Hochvogel in Tirol
Bildrechte: Teamwork/Stefan Spießl

Eine Messstation an der Südflanke des Hochvogel in Tirol

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Wie der Felssturz in Brienz von Bayern aus begleitet wird

Der Fels bei Brienz in Graubünden wird brechen. Nur wann, das kann keiner exakt vorhersagen. Trotz modernster Vermessungsmethoden – die auch am Hochvogel im Allgäu zum Einsatz kommen. Die beiden Berge haben mehr miteinander zu tun, als man denkt.

Über dieses Thema berichtet: Rucksackradio am .

Webcams dokumentieren, wie der Fels in Brienz im Schweizer Kanton Graubünden fast täglich bröckelt. Mal fallen einzelne, große Brocken Richtung Tal, dann wieder donnern viele kleinere in einer großen Staubwolke in die Tiefe. Riesige Gesteinsmassen bedrohen den Ort. Auch im Allgäu bröckelt es – am Hochvogel. Experten sehen Parallelen und arbeiten für die Hauptaufgabe zusammen: Menschenleben retten.

Satelliten liefern Daten zur Hangbewegung

Die Hangbewegungen in Brienz werden genauestens überwacht, unter anderem durch ein Georadar und GPS-Sensoren. Diese GPS-Messungen übernimmt das Schweizer Unternehmen Happy Monitoring. René Schnider ist dort Technischer Direktor und sagt: "Unsere Aufgabe ist, so präzise wie möglich die geografische Veränderung in einem Gebiet festzustellen." Seine Techniker und Ingenieure haben fünf Sensoren aufgestellt, die ihre Daten von so vielen Satelliten wie nur möglich beziehen und alle fünf Sekunden aktualisieren.

Der Berg rutscht unaufhaltsam

Die Lage ist brisant, erklärt Schnider mit einem Blick auf die Landkarte. Der Sensor im Ortszentrum hat sich in den vergangenen sieben Monaten um 58 Zentimeter bewegt, ein anderer außerhalb des Ortes um 67 Zentimeter. "Das sind gewaltige Werte", so Schnider. Was die Daten wirklich wertvoll macht, ist aber nicht alleine die veränderte Position, sondern vielmehr der Umstand, dass die eingesetzte Technik neuerdings auch die Höhenunterschiede millimetergenau messen kann.

"Das wäre früher unmöglich gewesen. Wir können die Vektoren dreidimensional bestimmen. Wir wissen nicht nur: Wie geht es horizontal, sondern wie geht er runter. Je genauer man misst, umso genauer kann der Geologe entscheiden: Jetzt sind wir am kritischen Punkt, jetzt geht es los." René Schnider, Technischer Direktor

GPS-System auch am Hochvogel im Einsatz

Um die Messungen am bröckelnden Hochvogel an der Grenze Allgäu-Tirol kümmert sich René Schniders deutscher Kollege Stefan Spießl mit seiner Firma Teamwerk aus Burgberg bei Sonthofen. Zwei Sensoren, an der Ost- und der Südflanke, messen die Bewegungen im Fels.

Der Allgäuer Vermessungstechniker war bereits vor gut vier Jahren in Brienz. Der Besuch damals ging nicht spurlos an ihm vorüber.

"Es war sehr beeindruckend, aber für mich eher erschreckend. Wenn du da den Hang hast und auf der anderen Straßenseite gegenüber ist ein Kindergarten, der im Betrieb ist. Die Leute dort gehen anders damit um. Und darum bin ich jetzt schon froh, dass man dort evakuiert hat." Stefan Spießl, Vermessungstechniker

Diese Eindrücke haben ihn angespornt, immer noch genauere Daten zu liefern, auch wenn die nächsten Ortschaften - Hinterstein auf Allgäuer Seite und Hinterhornbach in Tirol - nicht direkt vom Felssturz des Hochvogels betroffen wären. Dennoch müssten alle rechtzeitig gewarnt werden, insbesondere auch Wanderer und Bergsteiger.

Sensoren-Netzwerk überwacht Gipfel

Spießls Firma hat zwei Sensoren am Hochvogel installiert, einen an der Ost- und einen an der Südflanke. Sie sind ein Teil eines umfangreichen Netzwerks, das ein Team der Technischen Universität München um den Geomorphologen Michael Krautblatter entlang der Spalte auf dem Gipfel des Hochvogel installiert hat. Krautblatter kennt auch die Situation in Brienz sehr gut und sieht Parallelen.

"Es ist beides ein Dolomit, der obere Teil vom Gestein ist ähnlich. Die Frage, die wir am Hochvogel haben, kommt alles auf einmal oder kommen Teile runter, stellt sich auch in Brienz." Michael Krautblatter, Geomorphologe

Messen bis zur letzten Sekunde

Dass Gebäude oder Infrastruktur zu Bruch gehen bei einem Felssturz, müsse man einkalkulieren, so Krautblatter. Sein oberstes Ziel ist, Menschenleben zu retten. Deshalb würden seine Teamkollegen am Hochvogel wie auch die Schweizer Forscher, die den Felssturz in Brienz im Blick haben, bis zur letzten Sekunde Daten sammeln. Nur dadurch sei man mit der Zeit in der Lage, längerfristige Prognosen abgeben zu können. Bisher sei man in der Lage, höchstens drei oder vier Tage im Voraus eine Gefahr zu erkennen.

Klimawandel und Starkregen beschleunigen die Felsstürze

Der Fels bei Brienz und auch der Hochvogel sind für Professor Michael Krautblatter Beispiele, anhand derer die Forschung lernen kann.

"Wir haben in Zukunft sicher über den Klimawandel deutlich mehr Felsstürze. Wenn wir jetzt an diesen Beispielen eine schnelle Lernkurve hinlegen, dann haben wir das getan, was wir am besten für die Sicherheit in Zukunft machen können. Dass wir einfach verstehen, wie die funktionieren. Und dazu müssen wir sie sehr genau anschauen." Michael Krautblatter, Geomorphologe

Schon heute ist klar: Starkregen beschleunigt die Bewegung im Fels. Das ist in Brienz so und auch am Hochvogel. Auf jeden Starkregen habe der Allgäuer Gipfel mit massiven Veränderungen reagiert, so Krautblatter. Auch wenn Regen nicht der Auslöser für die Rissbildung ist. Fakt ist: Der Spalt vertieft sich weiter. Und früher oder später bricht etwa die Hälfte des Gipfels Richtung Süden ab.

Gipfel im Sommer für Wanderer gesperrt

Noch liegt dort oben, auf knapp 2.600 Metern, Schnee. Im Juni will das Team der TU München wieder auf den Hochvogel und die Überwachungssysteme auf Schäden überprüfen. Dann werden sie dort auch einen Teil des Gipfels für Wanderer sperren. Weil es mittlerweile schlicht zu gefährlich wird.

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