Der Vorschlag von Bundesernährungsminister Cem Özdemir, Werbung für Ungesundes im Umfeld von Kindern zu verbieten, hat für viel Wirbel gesorgt. Die Ideen des Grünen-Politikers gehen weit, aber nicht alles, was im Netz an Befürchtungen kursiert, hat Hand und Fuß. Milch wird zum Beispiel niemandem weggenommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Werbeverbot: Was will Özdemir verbieten?
Der Landwirtschaftsminister will Werbung für ungesunde Lebensmittel im Umfeld von Kindern verbieten. Das betrifft zum einen Werbung, die sich direkt an Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren richtet, z.B. im Umfeld von Kindersendungen oder auch Werbebroschüren zum Schulstart.
Darüber hinaus soll Werbung für Ungesundes zwischen 6 und 23 Uhr verboten werden - bei Sendungen und Formaten, die auch für Kinder interessant sind und viel von ihnen gesehen werden könnten. Das betrifft zum Beispiel den Familienfilm am Abend, Unterhaltungsshows, aber auch Fußballevents. Ebenso Influencer auf Social Media, die für Produkte werben.
Außerdem soll es eine Bannmeile rund um Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen geben: im Umkreis von 100 Metern keine Werbung für Ungesundes auf Plakaten oder in Schaufenstern.
Auch Sponsoring ist betroffen, wenn es Kinder darin bestärken könnte, ungesunde Lebensmittel zu essen. Was genau darunterfallen könnte, ist noch unklar.
Betrifft das Werbeverbot nur Süßigkeiten?
Ungesunde Lebensmittel definiert das Ernährungsministerium als Produkte mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt. Das Ministerium will sich am Nährwertprofil der Weltgesundheitsorganisation WHO orientieren. Ein Blick in das Profil und in einen vorläufigen Referentenentwurf zum Gesetz, der BR24 vorliegt, lässt Schlüsse darauf zu, was unter das Werbeverbot fallen könnte:
Süßigkeiten, Kuchen, Chips und die meisten Knabberartikel dürften demnach überhaupt nicht im Umfeld von Kindern beworben werden. Für viele andere Produkte gelten Höchstwerte zum Beispiel an Zucker.
Frühstückscerealien dürften laut WHO-Nährstoffprofil höchstens 17 Gramm Fett und 12,5 Gramm Zucker pro 100 Gramm haben. Ähnlich sähe es bei Fertiggerichten aus. Das Werbeverbot würde vor allem verarbeitete Produkte betreffen. Werbung für Fleisch und Fisch, ebenso wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte ist weiter möglich. Wird aus Fleisch aber Wurst, dürfte die nur noch beworben werden, wenn sie Grenzwerte beim Salz einhält. Das dürfte für viele Produkte schwer werden.
Wäre Werbung für Grundnahrungsmittel wie Milch verboten?
Minister Özdemir und die BILD-Zeitung lieferten sich in dieser Woche einen Schlagabtausch auf Twitter, um die Frage, ob das Werbeverbot auch für Milch gelten würde.
Die Antwort: normale Milch ist nicht betroffen. Der vorläufige Referentenentwurf sieht ein Verbot nur vor, wenn zusätzlich noch Zucker und Süßstoff beigemischt wäre. Das gleiche gilt für Saft. Kommt der Zucker komplett aus dem Obst, kein Problem. Wird noch Zucker dazugegeben: Werbeverbot.
Problematischer könnten die Vorgaben für manch andere Grundnahrungsmittel sein. Das WHO-Profil sieht zum Beispiel für Butter und Öle Höchstwerte von 21 Gramm gesättigte Fettsäuren je 100 Gramm vor. Butter hat viel mehr und könnte nach dieser Regel nicht mehr beworben werden. Rapsöl und Olivenöl haben hingegen wenig gesättigte und viele ungesättigte Fettsäuren, gelten deshalb als gesünder. Für sie wäre Werbung weiter möglich.
Auch Käse ist oft sehr fettig und könnte deshalb vom Verbot betroffen sein. Ob bestimmte Brote darunter fallen, könnte davon abhängen, wie viel Salz drinsteckt.
Fragt man das Ernährungsministerium nach bestimmten Produkten, hält es sich bedeckt. Was noch beworben werden darf und was nicht, ist am Ende stark von den Höchstwerten für Zucker, Fett und Salz abhängig, die dann im Gesetz verankert sind. Wie die genau aussehen werden, wird Teil der Verhandlungen innerhalb der Koalition sein.
Was soll nicht verboten werden?
Nicht verboten wird, diese Produkte zu kaufen oder zu verkaufen. Eingeschränkt werden soll nur die Möglichkeit, für die Produkte zu werben.
Werbeverbot: ein reines Grünen-Projekt?
Das grundsätzliche Vorhaben, an Kinder gerichtete Werbung einzuschränken, steht schon im Koalitionsvertrag. Es ist also eine Idee, dem alle drei Ampelparteien, SPD, Grüne und FDP zugestimmt haben. Allerdings wünscht sich die FDP sehr viel enger gefasste Einschränkungen.
Auch die Verbraucherschutzministerinnen und -minister der Bundesländer haben sich für "ein umfassendes Verbot für an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung für Lebensmittel, die nicht dem Nährstoffprofil-Modell des Regionalbüros für Europa der WHO entsprechen", ausgesprochen. Sie sprechen sich also für genau jenes Nährstoffprofil aus, das auch das Ernährungsministerium als Grundlage nutzt. Das haben die Verbraucherschutzminister auf ihrer letzten Konferenz im Juni 2022 ohne Gegenstimmen beschlossen. Ob Bayerns Verbraucherschutzminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) dafür gestimmt oder sich enthalten hat, wollte das Ministerium auf Anfrage von BR24 nicht beantworten.
Was sagen Kritiker und Befürworter?
Für den Lebensmittelverband Deutschland geht das Werbeverbot viel zu weit. Geschäftsführer Christoph Minhoff kritisiert, dass bei weitem nicht nur Süßwaren betroffen sind, sondern auch Lebensmittel wie Gouda oder Brühwürfel. Auch die CSU-Landesminister Klaus Holetschek und Michaela Kaniber halten die Vorschläge für völlig überzogen. Ampelkoalitionspartner FDP hat Widerstand gegen die Pläne angekündigt.
Lob kommt dagegen von medizinischen Fachgesellschaften, wie der "Deutschen Adipositas-Gesellschaft" und einem Bündnis aus Verbraucherschützern, Ärzteverbänden und Krankenkassen. Das Vorhaben könne ein Durchbruch im Kampf gegen ernährungsbedingte Krankheiten sein, sagen die Organisationen. Und ergänzen: wer sich gegen die Pläne von Minister Özdemir stellt, stelle sich gegen die Kindergesundheit. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen leiden an Übergewicht.
Ist das Verbot schon beschlossen?
Das Werbeverbot steht erst am Anfang. Als nächstes muss Minister Özdemir seinen Entwurf mit anderen Kabinettskollegen abstimmen, also auch mit der FDP.
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