In der Selbsthilfegruppe "Verlassene Eltern" in Würzburg, laden Monika und Sigrid gemeinsam einmal in der Woche zum offenen Gespräch unter Betroffenen ein. Denn die beiden wissen, wie es sich anfühlt, plötzlich keinen Kontakt mehr zu einem Kind zu haben. Sie betonen unter anderem: Trauer, Wut, Verzweiflung und Ratlosigkeit – diese Gefühle haben ihre Berechtigung, "aber wir wollen, dass die Mütter und Väter nach unseren Treffen ein Stück weit gestärkt nach Hause gehen können."
Die Schuldfrage wiegt schwer
Die Schuldgefühle, mit denen verlassene Eltern konfrontiert sind, wenn ihre Kinder den Kontakt abbrechen, sind erst einmal überfordernd. Sie verstehen die Welt oft nicht mehr. Die Suche nach dem Grund, die Suche nach der eigenen Schuld ist riesig als Mutter, sagt Sigrid. Man dreht und wendet die Situationen aus der Vergangenheit und fragt sich immer wieder, was vielleicht der Schlüssel war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das ist eine Spirale, die einen sehr nach unten ziehen kann, so Sigrid.
Auch Monika hat sich mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen und sich, genauso wie Sigrid, dazu entschlossen, sich therapeutische Unterstützung zu suchen. Das hat auch geholfen, aber sie wollten mit anderen in Austausch gehen und suchten gezielt nach weiteren Betroffenen, die ihre persönliche Situation nachvollziehen konnten. Aber in Würzburg gab es bis dahin noch keine Selbsthilfegruppe zu diesem speziellen Thema.
Würzburgerin gründete Selbsthilfegruppe für verlassene Eltern
Aus diesem Leidensdruck heraus, hat die Würzburgerin Monika das Aktivbüro der Stadt Würzburg aufgesucht und wurde von einer Sozialarbeiterin dazu ermutigt, selbst eine Gruppe für Betroffene zu gründen. So entstand die Selbsthilfegruppe "Verlassene Eltern", in der sie auch Sigrid kennenlernte. Über die Zeit wuchs die kleine Gruppe an und mittlerweile gibt es 20 Mütter und Väter, die sich bis zum heutigen Tag in wechselnder Konstellation treffen. Die Geschichten ähneln sich, auch wenn die Gründe verschieden sind.
Monika und Sigrid aus Würzburg leiten die Selbsthilfegruppe "Verlassene Eltern"
Psychologische Gründe hinter Kontaktabbruch
Therapeutisch betrachtet macht es Sinn, beide Seiten zu betrachten, sagt Kinder- und Jugendpsychologin Sarah Eiden aus Würzburg. Aber die Frage nach dem "Warum" lässt sich eben trotzdem nicht so einfach beantworten. Die Psychologin betont, dass die Gründe für den Kontaktabbruch sehr individuell sein können. Es hängt immer von den Charakteren ab, die da aufeinandertreffen und den Erlebnissen des Einzelnen. Oftmals können Kinder vielleicht auch nicht direkt eine konkrete Antwort auf den Grund ihrer Entscheidung geben, so die Psychologin. Meist handelt es sich demnach um einen lebenslangen Prozess.
Draußen ein Tabuthema – in der Gruppe gibt es Verständnis
Draußen ist es ein Tabuthema, aber in der Gruppe tauschen sich die Mitglieder aus und leihen sich gegenseitig ein Ohr. Das Ziel ist, immer wieder gestärkt zu werden, zu reflektieren und Mut zu finden. Aber sie lernen auch voneinander. Es kommen auch Menschen von außen, die sich mit dem Thema beschäftigen. So kommt es, dass Kunsttherapeuten oder Referenten, wie beispielsweise ein Buchautorin zu der Gruppe kommen und auch die anderen Seite, die der Kinder, beleuchten.
Was können Eltern tun?
Sarah Eiden empfiehlt, wenn man schon länger spürt, dass da ein Konflikt nicht bearbeitet in der Luft schwebt, dann lohnt es sich mit anderen Kontakt aufzunehmen. Es ist wichtig, sich Hilfe zu holen – bei Ehe- und Familienberatungsstellen oder wenn die Kinder noch jünger sind, bei Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. Und wenn man sich selbst unsicher ist, ob man richtig mit seinem Kind umgeht, gibt es immer die Möglichkeit auch selbst eine Psychotherapie zu beginnen. Laut Eiden ist es wichtig, offen zu sein und über eigene Ängste und Sorgen zu sprechen. Eine offene Kommunikation, vielleicht auch im Austausch mit denjenigen, denen es genauso geht, könne dabei helfen. Vielleicht auch in der Selbsthilfegruppe "Verlassene Eltern".
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