Stromleitungen vor einem Windrad.
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Weil die Stromleitungen von Nord- nach Süddeutschland noch nicht fertig sind, kann der günstige Windstrom teilweise nicht transportiert werden.

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Wenn der Windstrom nicht im Süden ankommt

Am Sonntag gab es einen neuen Rekord: In Deutschland wurde so viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert, dass er den Bedarf fast vollständig hätte decken können. Wegen fehlender Stromleitungen hat das jedoch nicht ganz geklappt.

Das hat es so bisher noch nicht gegeben: Ein Tag in Deutschland mit fast 100 Prozent erneuerbarem Strom. In Zahlen: Am Sonntag (15.01.22) haben die erneuerbaren Energien fast 96 Prozent des Strombedarfs in Deutschland gedeckt. 80 Prozent des Bedarfs kamen allein aus Windkraft. "Das ist ein neuer Rekord", sagt Bruno Burger, der die Datenbank Energy Charts beim Fraunhofer ISE Institut (Institut für Solare Energiesysteme) betreut.

Stromsparen in Süddeutschland: Warum gerade bei Wind?

Trotzdem hat der Stromnetzbetreiber TransnetBW seine Kundinnen und Kunden an genau diesem Tag zum Stromsparen aufgefordert, mit dem Hashtag #StromNetzSicherheit. Das Portal T-Online machte daraus gleich einen "drohenden Blackout" - zum Ärger von TransnetBW. Der Netzbetreiber nannte dieses Berichterstattung "Unfug". Denn die hohe Wind-Einspeisung hat die Sicherheit des Stromnetzes nicht gefährdet.

Was aber stimmt: Die Leitungen zwischen Nord- und Süddeutschland waren in dieser Situation nicht in der Lage, den angebotenen Windstrom auch zu transportieren. Die Windräder stehen vor allem in Deutschlands Norden. Abnehmer im Süden wollten den Strom sehr gerne haben, denn der Preis war angesichts des großen Angebots äußerst billig, sogar nahe null.

Aber weil der Windstrom wegen fehlender Leitungen nicht physisch in den Süden transportiert werden konnte, mussten die Netzbetreiber eingreifen. Einerseits mussten Windräder im Norden herunterfahren und gleichzeitig im Süden andere Kraftwerke hochfahren, zum Beispiel das mit Kohle betriebene Großkraftwerk Mannheim. Der Strom von dort ist aber teurer als der aus Wind. Die Preis-Differenz wird dann als so genannte "Redispatch-Kosten" über die Netzentgelte auf alle Stromkunden umgelegt.

Wie sich der Stromverbrauch steuern lässt

Um diesen Effekt möglichst klein zu halten – also letztlich Geld und Treibhausgas einzusparen – hatte TransnetBW den Sparaufruf herausgegeben. Bruno Burger von Fraunhofer ISE findet solche Informationen durchaus sinnvoll.

Wer zum Beispiel ein Elektroauto habe, könne sich mit seinem Ladeverhalten nach solchen Informationen richten. Andere, wie der Energieökonom Matthias Huber von der Technischen Hochschule Deggendorf, kritisieren den Sparaufruf über Social Media. Die Lösung liege stattdessen in variablen Preisen, die das Verhalten von Stromverbrauchern steuern könnten.

Geplante Gleichstromleitung Südlink hätte geholfen

Einen großen Beitrag zur Lösung kann der Ausbau des Stromnetzes liefern. Wenn die seit langem geplante große Gleichstromleitung Südlink zwischen Nord- und Süddeutschland schon fertig gewesen wäre, wären auch an diesem Rekordsonntag fast keine teuren Eingriffe ins Stromnetz nötig gewesen, so Bruno Burger.

Das sieht der Bayreuther Netzbetreiber Tennet, der für den Großteil Bayerns zuständig ist, genauso. In Bayern musste Tennet in der Situation vom Sonntag keine Redispatch-Kraftwerke hochfahren. Das ist laut Unternehmenssprecher Markus Lieberknecht bereits fertiggestellten Netzerweiterungen zu verdanken, wie der Thüringer Strombrücke und dem Ausbau des Umspannwerkes Würgau im Landkreis Bamberg.

Kommen mehrere Strompreis-Zonen?

Eine weitere Möglichkeit, die Notwendigkeit von Netzeingriffen zu begrenzen, wäre die Einführung von mehreren Strompreis-Zonen in Deutschland. Denn bisher geht der Strommarkt von der Fiktion aus, man könne innerhalb des Landes zu jeder Zeit beliebig viel Strom transportieren. Deshalb werden auch Stromgeschäfte abgeschlossen, die physisch gar nicht abwickelbar sind. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber erstellen dazu derzeit im Auftrag des europäischen Netzbetreiber-Verbands ENTSO-E eine Studie. Sie untersuchen, ob man Deutschland in zwei, drei oder vier Strompreis-Zonen aufteilen sollte.

Das könnte teure Netzeingriffe überflüssig machen - und marktwirtschaftliche Anreize schaffen, die Stromerzeugung und den Verbrauch geographisch möglichst nah beieinander anzusiedeln, was den Bedarf für neue Leitungen in Grenzen hielte. Es würde aber auch dazu führen, dass Strom in Bayern und Baden-Württemberg, wo bisher wenig Windräder stehen, teurer würde als im Norden Deutschlands.

Strompreis-Zonen: Ohne Windkraft wird es teurer

"Wir wären nicht die Einzigen, die mehr Strompreiszonen haben in Europa", sagt Burger von Fraunhofer ISE. Schweden zum Beispiel hat vier Preiszonen, Norwegen sechs und Italien sogar sieben.

Und auch in Bayerns direkter Nachbarschaft gibt es ein Beispiel: Im Jahr 2018 wurde Österreich von der gemeinsamen Strompreiszone mit Deutschland getrennt. Weil Österreich seitdem nicht mehr unbegrenzt billigen Windstrom aus Norddeutschland importieren kann, stiegen die Preise dort im ersten Jahr nach der Strompreis-Zonen-Trennung um acht Prozent. Vor allem an Wintertagen mit viel Wind fällt der Aufpreis für österreichische Stromabnehmer noch weit höher aus.

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Windkraftanlagen in Niedersachsen
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