"Bett tiefer" sagt Thomas Holly mit fester Stimme. Ein digitaler Assistent wiederholt seine Worte und sein Bett fährt elektronisch einige Zentimeter nach unten. Dank digitaler Helfer kann Thomas Holly manche Dinge selbst erledigen. Sein Handicap würde es ihm sonst schon unmöglich machen, den Lichtschalter selbst zu drücken. Die moderne Technik ist auch nötig, denn Pflegekräfte sind rar, besonders für einen betreuungsintensiven Fall wie ihn.
Soziales Leben in der Pflege-Wohngemeinschaft
"Ich habe einen Bauchdeckenkatheter und muss ziemlich viel trinken", sagt er. Im Rollstuhl kann Holly daher sitzend drei Stunden lang alleine bleiben. Dann ist meist sein Urinbeutel voll und muss geleert werden. Diese Basisbetreuung funktioniere gut in der Pflege-Wohngemeinschaft in Rosenheim, wo Thomas Holly heute lebt. Am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, mal ein Eis essen oder ein Bier trinken gehen – dafür bräuchte er zusätzlich eine Assistenz. Doch die gibt es nicht.
Es fehlt das Pflegepersonal
15 Jahre lang konnte der 49-Jährige, der seit einem Badeunfall vor 24 Jahren vom Hals ab gelähmt ist, mit Hilfe solcher Hilfsdienste ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in seiner eigenen Wohnung in Memmingen führen. Dann kündigte ihm sein Pflegedienst wegen Personalmangels und er fand keinen neuen mehr: Deshalb der Umzug nach Rosenheim vor einem halben Jahr. Die Kosten wären nicht das Problem. "Ich kriege vom Kostenträger ja alles bezahlt, also Betreuungsstunden. Ich finde aber kein Personal, welches das macht. Das nützt mir alles nix", sagt er.
64 Stunden im Monat würden der Bezirk Schwaben und die Pflegekasse ihm bezahlen. Einige Tausend Euro liegen dafür bereits auf einem Konto. Für etwas anderes als eine Assistenz darf Holly das Geld aber nicht ausgeben.
Belastung für Pflegende zu hoch
Auch in seiner Heimatstadt Memmingen und dem umliegenden Landkreis Unterallgäu hat etwa das Bayerische Rote Kreuz (BRK) kein Personal, um überhaupt ambulante Pflegeleistungen anzubieten, also jemanden in seiner eigenen Wohnung zu versorgen. Im Nachbarlandkreis Ostallgäu sieht es - noch - besser aus.
"Man merkt es aber schon auch mit dem Personalmangel", sagt Pflegerin Schwester Nicki. Man habe bereits – vor allem infolge der Corona-Pandemie – "Touren zusammenlegen müssen, weil das Personal gefehlt hat. Dann werden die Touren halt extrem lang und dann ist die Belastung schon manchmal an ihren Grenzen".
BRK-Präsidentin verlangt "Mehr Geld im System"
Die demografische Entwicklung dürfte den Pflegebedarf in den kommenden Jahren noch steigern. Wie kann man dem jetzt schon eklatanten Personalmangel entgegenwirken?
BRK-Präsidentin Angelika Schorer meint, man müsse mehr Ausbildungsplätze schaffen und die Ausbildung kostenlos machen. Doch nicht nur dafür brauche es "mehr Geld im System", sondern auch etwa wegen gestiegener Kosten für Fahrzeuge und Energie oder auch, um Pflegekräften Dienstwohnungen anbieten zu können. Das Geld aus der Pflegeversicherung reiche hierfür nicht aus, es brauche eine "Querfinanzierung" durch den Bund.
Thomas Holly hofft auf mehr selbstbestimmtes Leben in Memmingen
Stefan Scheck vom Träger von Thomas Hollys Pflegewohngemeinschaft Mayer - Reif – Scheck in Rosenheim fordert zusätzliche Anstrengungen. Man müsse "noch mehr in die Öffentlichkeit gehen", etwa mit einem "Roadtruck", der hier und da Station macht, um die Menschen einerseits über den Pflegeberuf an sich zu informieren, aber auch, um auf die aktuelle Notlage beim Personal aufmerksam zu machen, "um einfach wieder mehr Menschen in die Pflege zu bringen, damit sich die Pflegelandschaft wieder ein Stück weit erholen kann". Er gehe aber davon aus, dass dies mindestens zehn bis 15 Jahre in Anspruch nehmen würde.
Bis Thomas Holly möglicherweise davon profitiert, wird es noch dauern. "Ich habe den Wunsch, wieder ins Allgäu, nach Memmingen zu gehen, und dass ich die Pflegesituation wiederbekomme, wie sie früher war, ich vermisse mein Memmingen", sagt er. Die Hoffnung, wieder mehr selbstbestimmt leben zu können, will er nicht aufgeben.
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