Um sieben Uhr in der Früh klingelt es an der Tür. Janika Pondorf liegt zu dieser Zeit noch auf dem Bett, "halbnackt", wie sie sagt. Wenige Momente später stehen sieben Ermittler im Zimmer der damals 15-Jährigen, so berichten es die Jugendliche und ihre Mutter. Angeführt werden die Beamten vom Augsburger Staatsschutz - also jener Abteilung der Kripo, die für politische Delikte zuständig ist.
Über Stunden wird das Haus der Familie durchsucht, berichtet Janika. "Erst stand ich noch halbnackt vor den Polizisten." Später sei sie dann alleine in einen Polizeiwagen gebracht worden, zuvor aber noch auf dem Gehweg durchsucht worden. "Ein Standardvorgehen, um eine Selbstgefährdung oder eine Gefährdung der Beamten auszuschließen", sagt die Polizei.
Die 15-Jährige aber schämt sich. "Die Nachbarn standen am Fenster und haben geglotzt", sagt Janika. Auch ihr damals drei Jahre alter Bruder und ihre 13 Jahre alte Schwester hätten die Durchsuchung miterlebt. Das Erlebte beschäftigt das Mädchen, das sich leidenschaftlich für mehr Klimaschutz einsetzt, noch lange.
Ausgangs "Black Friday 2019"
Doch warum gerät Janika in den Fokus der Ermittler? Die Spur führt zurück in die Nacht zum 29. November 2019. Die Nacht vor dem "Black Friday", dem Tag der Schnäppchen und Sonderangebote. In Augsburg werden Geschäfte und Fußgängerzone mit abwaschbarer Kreide besprüht. "Brauchst Du das?" steht auf einem Gehweg. "Buy nothing" an einer Schaufensterscheibe. Noch am selben Tag bekennt sich Greenpeace Augsburg in einer Pressemitteilung zu den Sprühereien.
Am Tag darauf geht Janika auf eine Klimademo. Sie ist schon damals eine zentrale Figur der Augsburger Fridays For Future-Bewegung und leitet heute zusammen mit anderen das Augsburger Klimacamp. "Ein Zivilpolizist hat mich dann auf der Demo angesprochen und gefragt, ob ich an den Sprühereien beteiligt war. Ich habe 'Nein' gesagt." Daraufhin habe der Mann ihre Personalien aufgenommen und sie fotografiert.
Jacke auf Videoaufzeichnung löste Fahndung aus
Janika hakt den Vorfall ab. Bis zu jener Nacht fünf Monate später, als die Polizisten ihr Zimmer durchsuchen. "Eine Überwachungskamera hatte offenbar die Sprühereien aufgenommen. Darauf soll ein Mädchen zu sehen gewesen sein, das eine ähnliche Größe wie ich hatte. Und sie hatte wohl eine Jacke an, die ähnlich war wie die, die ich auf der Demo trug." Darauf habe sich der Verdacht gegen sie begründet, hätten ihr die Ermittler gesagt.
Eine Verbindung zu Greenpeace Augsburg, die sich ja bereits zu dem Vorfall bekannt hatten, habe sie nicht gehabt, sagt Janika. "Noch bei der Hausdurchsuchung hab ich den Polizisten gesagt, dass meine Tochter zur Tatzeit zuhause war", fügt ihre Mutter hinzu. "Und dann wurde mir gesagt, dass meine Aussage sowieso nichts bedeute."
Hinreichender Tatverdacht lag laut Staatsanwaltschaft vor
Die Augsburger Staatsanwaltschaft äußert sich nur grundsätzlich zu dem Vorfall. "Wenn es zu einer Hausdurchsuchung kommt, dann muss es dafür auch einen hinreichenden Tatverdacht geben", so Sprecher Andreas Dobler. Und den habe es "nach den ersten polizeilichen Ermittlungen gegeben".
Auch das Amtsgericht habe die Durchsuchung gebilligt und so den Verdacht ebenfalls als begründet bewertet, so Dobler weiter. Dass Janika Pondorf nicht Teil von Greenpeace gewesen sei, sei für ihn noch kein Grund, an einer Täterschaft zu zweifeln. Es müsse ja kein Greenpeace-Mitglied gewesen sein, das die Parolen gesprüht hat. "Wir haben rechtmäßig gehandelt", ist sich Dobler sicher.
Weitere Hausdurchsuchungen bei Verdächtigen folgten
Janika Pondorf und andere Augsburger Klimaschützer sehen das grundsätzlich anders. Ihre Kritik richtet sich gegen die Abteilung der Augsburger Kripo, die für den Staatsschutz zuständig ist, sich also um politisch motivierte Kriminalität kümmert. Es habe inzwischen mehrere Hausdurchsuchungen wie im Fall von Janika gegeben.
"Es gibt ein fortlaufendes, systematisches Vorgehen gegen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten in Augsburg", sagt Ingo Blechschmidt, dessen Wohnung ebenfalls durchsucht worden war. Einem anderen Aktivisten sei bei der Hausdurchsuchung untersagt worden, eine Anwältin anzurufen. Die Juristin hat dem BR dies bestätigt. "Der Betroffene ist unzufrieden, dass er für die Dauer der Durchsuchung nicht telefonieren darf", steht in dem Durchsuchungsprotokoll.
Klimacamp Augsburg ist Kern des Problems
Die Vorwürfe der Klimaschützer fallen in eine Zeit, in der immer heftiger um das Augsburger Klimacamp gestritten wird, welches das Vorbild für zahlreiche andere Camps in Deutschland war. Oberbürgermeisterin Eva Weber beschritt mehrmals den Rechtsweg, um das Camp aus Zelten und Holzpaletten vor dem Rathaus loszuwerden, scheiterte dabei aber regelmäßig. Zuletzt vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.
Klimaaktivisten sammelten offenbar für Linksextremisten
Volker Ullrich, Bundestagsabgeordneter und Chef der CSU-Augsburg, warf dem Klimacamp vor, einen Spendenaufruf zugunsten der sogenannten "Roten Hilfe" unterstützt zu haben, "einem Verein, der im Phänomenbereich des Linksextremismus vom Verfassungsschutz beobachtet wird."
Das Polizeipräsidium Schwaben Nord, zuständig für den Augsburger Staatsschutz, verteidigt auch das Vorgehen gegen Janika, auch wenn es damals das Klimacamp noch gar nicht gab und der Protest sich hauptsächlich auf Freitagsdemos beschränkte. Die Graffiti hätten "eine politische Motivation" erkennen lassen. Zudem habe auch das Landgericht Augsburg den Durchsuchungsbeschluss als rechtmäßig bestätigt.
Im Fall von Janika hat die Durchsuchung nichts ergeben. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt. Ihre Mutter bittet die Behörden um mehr Fingerspitzengefühl: "Wer ist die Person, wie alt ist sie? Auf jedem Fall muss bei so einem Eingriff die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben." Bei Janika habe der Vorfall Narben hinterlassen. Sie sei seitdem in psychologischer Behandlung. Auch deshalb habe sie den Vorfall erst jetzt öffentlich gemacht.
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