Besuch auf der Intensivstation der München Klinik Schwabing. Das erste, was auffällt, sind die Geräusche und die Ruhe zugleich: Überall piept es, jede Maschine, jedes Gerät gibt Laute von sich, schlägt Alarm. Es klingelt das Telefon – gefühlt pausenlos. Die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte laufen hin und her. Trotzdem strahlen sie dabei eine souveräne Ruhe aus.
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Corona-Pandemie brachte das Fass für viele zum Überlaufen
Dr. Jürgen Lärmer ist einer der Ärzte auf der Station. Der Internist und leitende Notarzt erlebt seit 25 Jahren den "alltäglichen Klinikwahnsinn", wie er es selbst nennt. Er hat wohl schon alles gesehen als Klinikarzt.
Seinen persönlichen Tiefpunkt hatte der 52-Jährige in der zweiten Coronawelle im Dezember 2020. Er und sein Team waren völlig erschöpft. Es gab bereits viele krankheitsbedingte Ausfälle und Lücken im Dienstplan. Weihnachten stand vor der Tür, aber es war kein Ende in Sicht bei der Pandemie. Ihm sei das alles über den Kopf gewachsen, erzählt der Familienvater. Er holte sich Hilfe beim Verein PSU Akut.
Einfach reden, Probleme abladen - das kann schon helfen
"Mal mit jemanden reden, der nicht genau den gleichen Trott hat, der nicht genauso auf Kante steht. Einfach mal abladen. Das tat gut", erzählt Jürgen Lärmer. Neben kollegialen Gesprächen gehören zum Vereinsangebot auch praktische Übungen, um Stress und Überlastung entgegenzuwirken. Fragen werden gestellt wie: Ist es wirklich so, dass du das alles machen musst? Wo hast du einen Gegenpol zum Abbauen? Was kannst du denn da aktivieren?
Das löse zwar nicht die Probleme auf der Station, aber es helfe dennoch, sagt Jürgen Lärmer. "Jemand, der von draußen draufschaut. Das hat mir sehr gut getan in der Situation." Klinikarzt Jürgen Lärmer hat nach dem Gespräch mit dem Verein PSU Akut Konsequenzen gezogen, sich sechs Wochen eine Auszeit genommen und einfach mal "die Seele baumeln lassen".
Verein PSU Akut schützt Klinikpersonal vor Überlastung
Schon vor zehn Jahren ist der Verein PSU Akut auf Initiative der Landesärztekammer gegründet worden. Die Idee: das Klinikpersonal vorbeugend aufklären, vor Stress und Überbelastung schützen, informieren. Mittlerweile hat der Münchner Verein rund 100 Mitglieder.
Als Corona kam, ist PSU Akut überrannt worden. Auch jetzt suchten immer noch erschöpfte, psychisch angeschlagene Klinikmitarbeitende Hilfe, berichtet Vereinsmitglied Andrea Forster, selbst gelernte Kinderkrankenschwester für Intensivpflege.
Tod und Gewalt, Suizide und Sorgen: Klinikpersonal muss mit vielem zurechtkommen
Der Hauptgrund, warum sich überlastete Kolleginnen und Kollegen mit ihren Sorgen und Ängsten meldeten, seien schwerwiegende Ereignisse in den Kliniken, wie tragische Todesfälle, dramatische Reanimationen, Gewaltsituationen, Lebensgefahrsituationen für einen selbst, Suizid von Patientinnen und Patienten, aber auch von Mitarbeitenden, schwere Diagnosen, Schicksalsschläge, zählt die 37-Jährige auf.
In rund 2.600 Fällen konnte der Verein bayernweit seit der Pandemie helfen. Akute Interventionen nach Krisensituationen in Kliniken gab es bisher vor allem im Großraum München. Fortbildungen des Vereins und die Helpline, eine telefonische Beratung, nutzen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte aus ganz Deutschland. Nicht alle Kliniken in Bayern hätten eigene entsprechende Angebote für ihre Mitarbeitenden, sagt Vereinschef Andreas Igl. Es gebe große Träger, die schon vor der Pandemie eine psychosoziale Unterstützung (PSU) einführen wollten, jetzt aber fehle dafür das Personal.
Außerdem hätten viele Klinikmitarbeitenden kein Vertrauen mehr in ihren Arbeitgeber, so die Erfahrung des Vereinschefs. "Wenn es zu Krisen- oder Akutsituationen kommt, macht es aber durchaus Sinn, neben Kolleginnen und Kollegen, die man in der Klinik hat, auch auf jemanden von außen zurückzugreifen, der sich mit diesem Arbeitsfeld auskennt, aber in der Situation nicht beteiligt oder betroffen ist."
Im Aufbau: Zentrale Anlaufstelle für alle Mitarbeitenden im bayerischen Gesundheitswesen
Kollegiale Hilfe von außen mit Fachkompetenz: Immer mehr wollen dieses Vereinsangebot nutzen. Nun soll diese psychosoziale Unterstützung flächendeckend im bayerischen Gesundheitswesen eingeführt werden. Das heißt: auch in Alten- und Pflegeheimen, niedergelassenen Praxen, in der ambulanten Pflege sowie im Rettungsdienst.
Dafür ist eine zentrale Koordinierungsstelle auf Landesebene geplant. Das bayerische Gesundheitsministerium und die Landesärztekammer unterstützen das Projekt. Es wird federführend von PSU Akut aufgebaut. Die Finanzierung ist laut Verein bisher nur für dieses Jahr gesichert.

Den Kliniken in Bayern droht der Kollaps - die Mitarbeitenden sind am Ende ihrer Kräfte.
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