Wasserstoffspeicher mit Ablassrohr und Verschlussspindel
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Wasserstoffspeicher mit Ablassrohr und Verschlussspindel

    Wasserstoff: Wann startet Bayern in die Zukunft?

    Ab 2030 soll grüner Wasserstoff nach Bayern transportiert werden. Wegen Klimakrise und Gasknappheit hat das für bayerische Firmen höchste Priorität. Doch der Zeitplan scheint in Gefahr.

    Die Gasnetzbetreiber schlagen Alarm. Der Anschluss Bayerns an das europäische Wasserstoffnetz könnte länger dauern als erhofft, warnt Stefanie Jacobi vom Fernleitungsnetzbetreiber Bayernets. Das Problem sei nicht die Technik, sondern die Politik. Und die Zeit drängt.

    Denn die Nachfrage nach Wasserstoff, insbesondere nach grünem Wasserstoff (H2), ist groß. Wegen Klimakrise und Gasknappheit pocht die Industrie auf eine schnelle Versorgung. Bis 2030 soll Bayern an das europäische Wasserstoffnetz angeschlossen sein. Technisch sei das machbar, sagen die Netzbetreiber. Bestehende Gasleitungen könnten zu Wasserstofftransportleitungen umgerüstet werden.

    Leitungen für den Transport von Wasserstoff und Gas nötig

    Im Freistaat müssten dafür in den nächsten zehn Jahren fast 700 Kilometer Gastransportleitungen umgestellt und 150 Kilometer Leitungen für den Wasserstofftransport neu gebaut werden. An dieses übergeordnete Wasserstoff-Transportnetz können sich dann zusätzlich zu großen Industriekunden auch regionale H2-Verteilernetze (u.a. Stadtwerke) anschließen. Das geht aus einem vorläufigen Netzentwicklungsplan der in Bayern tätigen Fernleitungsnetzbetreiber Ferngas, Bayernets und OEG hervor:

    Grafik: Geplante Wasserstoffleitungen in Bayern

    Bildrechte: Quelle Bayernets/Grafik BR (Stand: 2022)

    Karte geplanter Wasserstoffleitungen in Bayern

    Aufbau des Wasserstoffnetzes als Kernproblem

    Im Rest Deutschlands sieht es ähnlich aus. Insgesamt ist von rund 8.500 Kilometern Pipelines die Rede, die auf Wasserstofftransport umgerüstet werden müssten. Ein Energie-Großprojekt. Aber: "Wir könnten auch schon bis Mitte des Jahrzehnts erste Leitungen in Bayern in Betrieb nehmen", sagt Stefanie Jacobi von Bayernets.

    Dafür gebe es allerdings zwei wichtige Voraussetzungen: Erstens, dass dann auch Wasserstoff in großen Mengen zur Verfügung steht. Und zweitens, "dass wir endlich den politischen Auftrag bekommen, ein Wasserstoffnetz aufzubauen. Sonst werden wir von den derzeitigen Pilotprojekten nicht wegkommen", sagt die Wasserstoffbeauftragte des Fernleitungsnetzbetreibers Bayernets.

    Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sieht im Aufbau des Wasserstoffnetzes das Kernproblem. "Das Wasserstoffnetz muss nun höchste Priorität haben", so die Wirtschaftswissenschaftlerin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Interview mit BR24.

    Politik bei Lieferverträgen und Netzausbau gefragt

    Für die Politik heißt das: Sie muss sich zum einen schleunigst um Lieferverträge mit Partnerländern wie Schottland oder Tunesien kümmern. Diese Länder haben aufgrund von großen Offshore-Wind- bzw. Solarparks die Möglichkeit, grünen Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren und dann auch zu exportieren.

    Zum anderen muss die Bundesregierung den Gasnetzbetreibern den konkreten politischen Auftrag erteilen, ein Wasserstoffnetz aufzubauen, fordern Jacobi und Grimm. Doch das scheitert auch an europäischen Richtlinien. "Die EU-Kommission will, dass Gasnetzbetreiber nicht gleichzeitig Wasserstoffnetzbetreiber sind", sagt Jacobi. Das ist ihrer Ansicht nach absurd. Die Leitungen liegen schließlich schon in der Erde und könnten genutzt werden. Die Bundesregierung müsse sich daher in der EU schnellstens dafür einsetzen, dass Gasnetzbetreiber über ihre Leitungen auch reinen Wasserstoff transportieren dürfen.

    "Bayern sitzt am Ende der Fresskette"

    Aber auch der Freistaat ist laut Netzbetreibern gefragt. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) müsse nun Druck auf die Bundesregierung machen. Denn Bayern sitzt am Ende der "Fresskette", wie Jacobi sagt. "Aiwanger muss dafür sorgen, dass der Freistaat nicht abgehängt wird, dass Wasserstoff nicht als letztes nach Bayern kommt."

    Katharina Großmann vom Gasnetzbetreiber Ferngas sieht das wie ihre Kollegin Jacobi. Noch sei nicht abschließend geklärt, woher der viele Wasserstoff kommen soll, sagt Großmann. "Wasserstoff wird künftig wahrscheinlich in Häfen wie Rotterdam anlanden und verbrauchsintensive Abnehmer, die vorgelagert am Netz hängen wie beispielsweise das Ruhrgebiet, nehmen den Wasserstoff ab, bevor er nach Bayern kommen kann."

    Bleibt dann überhaupt noch Wasserstoff übrig, muss er bis nach Süddeutschland viele Transport-Kilometer zurücklegen. Wenn bayerische Unternehmen deswegen am Ende höhere Netzentgelte bezahlen müssen, sind sie benachteiligt gegenüber den Industrien in Norddeutschland, die quasi an der Quelle liegen.

    Wasserstoffversorgung ab 2030: CSU rechnet mit Verzögerungen

    Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte kürzlich Zweifel geäußert, dass Bayern tatsächlich bis 2030 mit ausreichend Wasserstoff versorgt wird. Er geht eher von 2050 aus. CSU-Generalsekretär Martin Huber warnt ebenfalls vor Verzögerungen und kritisiert die Ampel-Regierung, die "nur von Norden nach Süden denkt".

    Bis das Leitungsnetz in den Süden gebaut sei und auch genug Wasserstoff hier ankomme, dauere es zu lange, sagt Huber. Er fordert daher dringend eine Anbindung Bayerns ans Pipelinenetz "nicht nur vom Norden, sondern auch vom Süden her" - über das italienische Triest und das slowenische Koper. Diese Südpipeline soll zum Beispiel aus Tunesien grünen Wasserstoff liefern, wo mit Ökostrom aus großen Solarparks Wasserstoff hergestellt werden könnte. Auch Huber fordert Wirtschaftsminister Aiwanger auf, dahingehend mehr Druck auf die Bundesregierung auszuüben.

    Aiwanger will Lieferverträge vorbereiten

    Als Wasserstoff-Befürworter trete er schon seit Jahren an die Bundesregierung heran und verlange mehr Tempo, verteidigt sich der bayerische Wirtschaftsminister. Anfangs sei er nur belächelt worden, mittlerweile werde er damit aber auch in Berlin ernst genommen. Wir müssen "unser Erdgasnetz H2-ready machen, also auf Wasserstoff vorbereiten, und das sehr schnell", sagt Aiwanger im Interview mit BR24.

    Aiwanger schlägt vor, schon jetzt dem Erdgas einige Prozent Wasserstoff beizumengen – mit steigender Tendenz. Das wäre heute technisch schon möglich, so Aiwanger. "Und jeder Kubikmeter grüner Wasserstoff im Erdgasnetz, würde auch die Co2-Bilanz deutlich verbessern und man könnte sich auf den Stoff einstellen."

    Außerdem will der bayerische Wirtschaftsminister nun die möglichen Wasserstoffgroßkunden in Bayern, wie die Autobauer, zu konkreten Bestellungen drängen. Erst dann könne man mit den Lieferländern konkrete Verträge abschließen. Das habe er im Frühjahr bei seiner Wasserstoff-Reise nach Norwegen gelernt. Der norwegische Wirtschaftsminister habe ihn damals aufgefordert: "Sagt uns, wann ihr wie viel Wasserstoff zu welchem Preis braucht. Dann produzieren wir euch den." Wenn jeder nur abwarte, werde das laut Aiwanger also nie etwas. Deswegen seien jetzt eben auch die Kunden gefragt.

    Wirtschaftsweise Grimm widerspricht Aiwanger

    Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm bezweifelt, dass das so klappt, wie Aiwanger sich das vorstellt. "Wenn die Infrastruktur nicht gebaut ist, nützt das der Wirtschaft nichts. Denn sie kann sich dann nicht darauf einstellen", erklärt die Wirtschaftsweise. Es müssen laut Grimm zuerst Lieferverträge abgeschlossen werden und der Ausbau eines Wasserstoffnetzes in Gang kommen.

    "Es muss absehbar sein, dass das gelingt." Erst dann könne die Wirtschaft reagieren und ihre eigene Produktion auf Wasserstoff umstellen. Nach Ansicht Grimms ist also zuerst die Politik gefragt. Sie muss die Rahmenbedingungen liefern und ein ausreichendes Angebot an Wasserstoff sicherstellen.

    Große Nachfrage bei der bayerischen Wirtschaft

    Die Nachfrage sei auf jeden Fall da, bestätigt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Wacker Chemie in Burghausen etwa hat nach eigenen Angaben bis Anfang der 2030er Jahre einen Bedarf von 15.000 Tonnen grünem Wasserstoff für die stoffliche Nutzung im Unternehmen. Marktabfragen zeigen zudem, dass neben Großverbrauchern wie Chemieunternehmen auch immer mehr mittelständische Firmen Bedarf anmelden. Laut vbw-Geschäftsführer Bertram Brossardt kann die aktuelle Energiekrise sogar zu einem schnelleren Ausbau der Wasserstoffwirtschaft führen, da Erdgas auch langfristig teurer sein wird als dies in der Vergangenheit der Fall war.

    "Das macht Produktion und Einsatz von Wasserstoff wirtschaftlicher, und eine steigende Nachfrage kann zu einer Beschleunigung beim Angebot führen", hofft Brossardt. Der Anschluss an das europäische Wasserstoffnetz ab 2030 sei dringend notwendig, um den starken Industriestandort Bayern angemessen zu versorgen.

    Hinzu kommt, dass bayerische Firmen derzeit auch im technologischen Bereich gut aufgestellt sind – "zum Beispiel in der Elektrolysetechnologie oder der (chemischen) Wasserstoffspeicherung", ergänzt Wasserstoffexpertin Katharina Großmann von Ferngas. Diese Position sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden.

    Grüne: Im Kleinen loslegen statt auf die Zukunft warten

    Die Grünen im Landtag wollen gar nicht so weit in die Zukunft schauen. Schon jetzt könne in Sachen Wasserstoffwirtschaft einiges getan werden, sagt Martin Stümpfig, der Energieexperte der Landtagsgrünen. Die Kommunen sollten über ihre Stadtwerke selbst Wasserstoff produzieren und dafür Elektrolyseure aufstellen, so Stümpfig.

    Er verweist auf das "Vorzeigeprojekt Haßfurt". In der unterfränkischen Stadt wird überschüssiger Windstrom mittels Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und die Energie so gespeichert. Ein Blockheizkraftwerk verwandelt diesen grünen Wasserstoff wieder in Strom zurück. Ein gutes Beispiel für die dezentrale Energiewende, freut sich der Energie-Experte der Grünen.

    Am Ende bleibt der Netzausbau die wichtigste Grundlage

    Um Bayern flächendeckend mit Wasserstoff zu versorgen, sind Modellprojekte wie jenes in Haßfurt aber nicht geeignet. Dafür produziere Bayern zu wenig erneuerbare Energien, sagt Wasserstoffexpertin Katharina Großmann vom Gasnetzbetreiber Ferngas. Um auch Großabnehmer wie die Chemieindustrie zufrieden zu stellen, muss Wasserstoff aus dem Ausland importiert und innerhalb von Bayern verteilt werden. Am Aufbau eines weitreichenden Wasserstoffnetzes geht somit kein Weg vorbei.

    Am Ende bleibt also ein Henne-Ei-Problem: Die Wasserstoff-Lieferländer produzieren erst auf Bestellung. Die Firmen bestellen erst, wenn sie sicher sind, dass alles klappt mit der Lieferung. Die Lieferung klappt nur, wenn es genug Leitungen gibt. Und die Wasserstoff-Leitungen wird es nicht geben, solange die Politik sie nicht bei den Gasnetzbetreibern in Auftrag gibt.

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